Der kleine Fürst Staffel 12 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
mir auch, dachte Verena verwirrt, klappte ihr Handy zusammen und schob es in die hintere Tasche ihrer Jeans. Dann malte sie weiter. Ein zorniges, trauriges Bild in einem verhaltenen Violetton, der von knallgelben Störlinien durchkreuzt wurde. Abends dann warf sie ihre Hose müde, erschöpft und gedankenlos zur Schmutzwäsche …
*
»Nicht schlecht«, murmelte Theo Swoboda zum wiederholten Mal. »Nicht schlecht.« Dieses Urteil galt den Bildern der jungen Frau, die letztens während des Unwetters seinen Galerieboden vollgetropft hatte. Gerade hatte er erfahren, dass das aufstrebende Maltalent Philip Kofler die nächsten sechs Monate in einer Entzugsklinik verbringen würde und die für Anfang Juli geplante Ausstellung deshalb ins Wasser fiel.
»Dummer Bub!«, nuschelte Swoboda verärgert in seinen Bart. »Glaubt er etwa, die Chancen kommen vom Himmel geflogen?«
Nun gut, des einen Leid, des anderen Freud. Hoffentlich war das deutsche Mädel klüger und griff zu, wenn sich die Gelegenheit bot. Er suchte nach seinem Telefon. Ach, wie er diese kleinen Dinger hasste, die man immer irgendwo hin legte und nicht mehr wieder fand. Dann musste man sich von jemand anderem das Handy ausborgen und sich selber anrufen, um das eigene Telefon wiederfinden. Wo waren die Zeiten, als diese Dinger noch in eine Männerhand passten und an der Wand hingen? Er seufzte.
Mühsam tippte er die Nummer ab, die auf dem kleinen Kärtchen auf der Vorderseite der Mappe stand. Aber die Kleine hob nicht ab. Ja, wozu waren diese Dinger denn gut, wenn nicht dafür, jeden jederzeit erreichen zu können? So funktionierte das doch heutzutage, oder etwa nicht? Kaum saß man in der Straßenbahn, da düdelte es doch schon von allen Seiten los. Was die Dinger nicht gerade sympathischer machte, dachte Theo. Ständig plärrten ohne Vorwarnung irgendwelche kreischende Popsänger los und pflanzten einem Ohrwürmer ein, die man dann tagelang nicht mehr los wurde.
Doch so oft er es auch versuchte, die Kleine hob nicht ab. Theo schaute noch einmal in ihre Mappe. Wären die Bilder weniger gut gewesen, hätte er gedacht: Pech gehabt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Doch leider: die Bilder gefielen ihm bei der zweiten Durchsicht gleich noch besser. Theo Swoboda grunzte beleidigt.
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Verena hob einfach nicht ab. Es war nicht zu fassen! Wütend warf Graf Markus sein Handy auf die silbergraue Überdecke des Hotelbetts und sich selbst dann gleich hinterher. Im Fallen streifte er die Schuhe ab, dann blieb er erst mal eine Weile mit ausgebreiteten Armen liegen. War das ein anstrengender Tag gewesen! Kaum war er in der Ausstellungshalle angekommen, hatten ihn auch schon die Geschäftspartner belagert. Ein Meeting war dem anderen gefolgt, unterbrochen nur vom hektischen Läuten seines Telefons, das ihn zwang, mit denen zu reden, die nicht persönlich anwesend waren. Wenn das wenigstens bedeuten würde, dass die Kasse klingelt!, dachte Markus frustriert. Aber die Seite, von der er sich am meisten erhoffte, schwieg vorerst. Der Abgesandte des Emirats Fudschaira wurde erst in den nächsten Tagen erwartet. In Gedanken spulte Markus zum x-ten Mal ab, was er dem hochrangigen Vertreter des Emirs alles zeigen wollte. Seine Arbeiten würden für sich sprechen und den Mann überzeugen, den Großauftrag für die Innengestaltung des Palastes an die Firma neu Bäumler zu vergeben. Zeit benötigte er allerdings auch, um seinen Vater dafür zu gewinnen, ihm die Leitung der Abteilung für Handwerk und Design zu übertragen. Zeit war jedoch leider jenes Element, das seine zarte Beziehung zu Verena Königshofer empfindlich störte. Warum nur ging sie nicht an ihr Telefon? Hatte sie ihn gar schon vergessen? War er nur eine Ablenkung und Inspiration für sie, die junge Künstlerin, gewesen und wurde nun, nachdem er seine Rolle erfolgreich gespielt hatte, abserviert? Nein. Warum er davon überzeugt war, dass das, was ihnen da passierte, mehr war als ein Flirt, konnte er nicht sagen. Er wusste es einfach.
Graf Markus ließ seinen Blick durch das triste Interieur des Hotelzimmers schweifen. Warum waren diese Zimmer immer gleich? Solange man nicht in einer Luxussuite residierte – und dafür hatte der Juniorchef der Firma Bäumler momentan leider kein Geld –, musste man mit der ewig gleichen lieblosen Einrichtung vorlieb nehmen. Hier ein nichtssagendes Bild unter rahmenlosem Glas, da ein geschmackloser Klotz von einem Kleiderschrank. Helle, unfreiwillig ergraute Tapeten. Ob er die Bekanntschaft mit dem Emir nicht auch gleich nützen sollte, Kontakte mit den Hoteliers von Fudschaira und Abu Dhabi zu knüpfen? Nun, dafür musste er den guten Mann erst von der Qualität seiner Arbeiten überzeugen. Und bis dahin hieß das, in einem tristen Hotel neben dem Flughafen zu wohnen.
Wieder griff der junge Graf zu seinem Telefon. Wieder verhallte das Läuten am anderen Ende der Leitung unbeantwortet. Markus seufzte, dann tippte er eine andere Nummer ein und sprach auf die Mailbox: »Hallo Gabi! Du musst was für mich tun! Dringend. Es geht um Leben und Tod. Es ist nämlich so, dass ich mich verliebt habe, Schwesterherz. Mich hat es total erwischt. Ich bin völlig hin und weg … Verena …« Er räusperte sich, strich sich mit der Hand eine verirrte Haarlocke aus der Stirn und fuhr dann fort:
»Nun, jedenfalls hocke ich hier in Mailand fest und kann sie nicht erreichen. Ich fürchte, Verena ist aus irgendeinem Grund sauer auf mich. Vielleicht, weil ich so spontan abreisen musste, oder weil sie erfahren hat, wer ich bin – sie hat mich für einen einfachen Tischler gehalten, aber das ist eine andere Geschichte, ich erklär’s dir beizeiten. Mit den sogenannten reichen Leuten hat sie furchtbar schlechte Erfahrungen gemacht, und ich war zu feige und hab’ den Irrtum nicht aufgeklärt. Ich hoffe nur, dass sie nicht von meinem Titel erfahren hat, ein Graf, das wäre voll das Letzte, das ihr gefallen würde. Bitte, bitte liebes Schwesterlein, ruf sie morgen tagsüber an und sag ihr, dass ich sie liebe. Bitte! Ich schick dir eine SMS mit ihrer Nummer. Bitte. Du darfst …« Es knackte. Die Mailbox war voll.
*
»Sieh mal, Verena, was ich gefunden habe!« Mit einem breiten Lächeln hielt die Haushälterin Anna Verenas pinkfarbenes Handy empor. »Beinahe hätte ich dein Telefon mitgewaschen, stell dir vor!«
Erleichtert griff Verena nach ihrem Handy. »Das habe ich schon gesucht!« Sogleich studierte sie die Anzeige auf dem Display: Dreizehn Anrufe in Abwesenheit, die meisten davon waren von Markus, stellte sie fest. Dann gab es da noch eine andere, unbekannte Nummer. Gerade als sie diesen Anrufer zurückrufen wollte, läutete ihr Telefon.
»Hallo Verena!« – Wo hatte sie diese Stimme bloß schon einmal gehört? Aber sie musste nicht lange nachdenken. So bekannt war ihr die schrille Stimme der Anruferin, dass ihr gleich ein kalter Schauder über den Rücken kroch.
»Wir müssen miteinander reden!«, sagte Gabriela von Bäumler in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Verena wunderte sich. Was hätte ihr Markus’ Schwester wohl zu sagen?
»Es ist dringend!«, beharrte Gabriela. »Hast du Zeit?«
»Wann – jetzt?«, stammelte Verena überrumpelt.
»Na klar. In einer Stunde. Kärntner Straße, Sky-Bar?«
Eigentlich verspürte Verena überhaupt keine Lust auf ein Treffen mit dieser arroganten Frau. Aber leider fiel ihr auf die Schnelle keine Ausrede ein. »Ich … ich…«, stammelte sie verlegen.
»Okay, dann also abgemacht.« Gabriela lachte kurz auf. Es klang wie eine Vollbremsung mit anschließendem Blechschaden.
Missmutig schlüpfte Verena wieder in ihre Schuhe, schnappte die Leine von Herrn Franz und machte sich in Begleitung des Mopses auf den Weg in die Innenstadt.
Komtess Gabriela saß bereits an einem Tischchen neben der Bar. Gelegentlich umschloss sie mit dunkelrot geschminkten Lippen einen schwarzen Strohhalm und zog eine giftgrüne Flüssigkeit aus einem hohen Glas, das mit einem rosa Papierschirmchen und einer Maraschinokirsche verziert war. Verena betrachtete die perfekt gestylte junge Frau mit ihren langen schwarzen Haaren und bedauerte es in diesem Moment sehr, sich nicht doch noch umgezogen zu haben. Auf einmal kam sie sich in ihren Lieblingsjeans, dem weißen T-Shirt und den flachen Leinenschuhen schäbig vor. Gabriela hingegen trug ein leichtes Sommerfähnchen, das sehr tief ausgeschnitten war. Wie unbeabsichtigt rutschte der Spaghettiträger immer wieder über die Schulter und gab die Aussicht auf einen schwarzen BH-Träger frei.
Der Barmann polierte schon seit einer Ewigkeit dasselbe Glas, die Augen wie hypnotisiert