Mami Staffel 10 – Familienroman. Lisa SimonЧитать онлайн книгу.
Tür.
Dann drehte er sich um und kam wieder zurück.
»Ach, Frau…«
»Kristin de Bruhs. Ich bin die Inhaberin hier.«
»Angenehm, Frau de Bruhs. Was ich noch fragen wollte, können Sie auch Bücher besorgen, die nicht so geläufig sind?«
»Alles, was noch verlegt wird. Jeden Titel.«
»Das ist wunderbar. Dann werde ich in den nächsten Tagen noch einmal vorbeikommen. Ich muß die Titel erst zusammenstellen.«
»Sehr gern. Ich bin eigentlich jeden Tag hier. Das machen wir am besten zusammen. Frau Schneider ist keine Fachkraft.«
»Ich würde mich auch gern an Sie wenden können.«
Für einige Sekunden hielt er ihren Blick fest. Kristin wurden die Knie weich, doch dann war es schon vorbei und er ging wirklich hinaus.
Sie mußte sich erst einmal setzen und über das eben Erlebte nachdenken. Irgend etwas verband sie, aber was? Und wohin sollte es führen? Sie war nicht daran interessiert, Marions Fiasko mit Derrik nachzuerleben. Ein verheirateter Mann schied für Kristin von vornherein aus. Also sollte sie sich vielleicht nicht allzu intensiv mit ihren Gefühlen befassen, sondern seine Bekanntschaft einfach als das nehmen, was sie war – sie hatte einen netten neuen Kunden gewonnen.
So ein Mist. Es war sehr unbefriedigend, so denken zu müssen.
All das war vergessen, als sie am Abend nach Hause kam. Sie hatte ihre Tür noch gar nicht geöffnet, als Marion im Flur erschien.
»Kristin, kann ich dich mal kurz sprechen?«
»Mein Gott, wie siehst du denn aus? Ist etwas passiert?«
Marion war geisterbleich mit dunklen Schatten unter den geröteten Augen. Welche Katastrophe war jetzt wieder passiert?
»Kann ich mich erst kurz umziehen und eine Scheibe Brot essen? Ich falle um vor Hunger und war noch nicht einmal in der Wohnung.«
»Ja sicher. Kommst du dann gleich?«
»Ist Frederik nicht da?«
»Nein.«
Das Gesicht der Freundin verschloß sich wie eine Auster.
Aha. Es hatte also Streß zwischen den beiden gegeben, und Kristin mußte sich das nun alles anhören wie vorher die Geschichten über Derrik. Lust hatte sie dazu eigentlich nicht, aber danach war ja auch nicht gefragt. Ein Freundschaftsdienst stand an, den sie kaum ablehnen konnte. Vielleicht brauchte sie Marion noch einmal irgendwann.
»Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.«
»Danke, Kristin.«
Die Stimme von Marion war ebenfalls zum Gruseln. Als käme sie aus einem Brunnenschacht. Während sich Kristin umzog und eine Scheibe Brot mit Butter und Teewurst bestrich, überlegte sie die ganze Zeit, was wohl passiert sein mochte zwischen Frederik und Marion. War er sauer, weil sie so spät gekommen war, so daß er sein Seminar versäumt hatte? Ein Grund wäre das schon, denn immerhin war das seine »Arbeit«. Er hatte ja auf Johannes nicht aus eigenem Antrieb aufgepaßt, sondern war darum gebeten worden. Da hätte Marion schon ein bißchen Dampf machen können bei ihrem Arzt.
Sie würde es gleich erfahren. Und die richtigen Trostworte kämen dann sicher von allein. Sie war in psychologischer Literatur sehr bewandert und würde sicher auch das passende Buch zur Verfügung stellen können.
Als sie klingelte, sah Marion immer noch nicht besser aus. Im Gegenteil, jetzt weinte sie auch noch.
»Mensch, Marion, was ist denn bloß passiert? Du siehst ja schlimm aus…«
»Es ist auch schlimm. Komm herein. Ich muß Johannes nur noch ins Bett legen.«
Als spürte der Kleine, daß etwas Ungewöhnliches mit seiner Mutter geschehen war, ließ er sich ohne Theater ins Bett stecken. Kristin gab ihm auch noch einen Gute-Nacht-Kuß, dann setzten sich die beiden in die gemütliche Küche ihrer Freundin, wie immer, wenn es Probleme zu besprechen gab.
»Soll ich uns einen Tee kochen?« bot Kristin an.
»Wie du willst. Ich mag nicht.«
Schlechtes Zeichen, ganz schlechtes Zeichen. Sonst besprachen sie Katastrophen immer bei einem Becher starken süßen Tees. Kristin kochte sich aber trotzdem einen. Sie fühlte sich ein bißchen hilflos und konnte sich so wenigstens am Becher festhalten.
»Also, nun erzähl mal. Hat Frederik Streß gemacht? Er war kurz im Laden mit Johannes, weil er dich gesucht hat.«
»Mit Ferderik ist es aus.«
»Aber warum denn das? Ich meine, ein Streit wäre wohl normal gewesen, das kann ich schon verstehen, aber auf mich wirkte er eher besorgt als wütend.«
»Ich habe ihn weggeschickt. Es ist aus. Darüber brauchen wir nicht zu sprechen.«
Das klang so entschieden und so untypisch für Marion, daß es Kristin die Sprache verschlug. Ungläubig schaute sie ihre Freundin an, der noch immer Tränen über die Wangen rollten und von ihrer Kinnspitze auf den Tisch fielen. Marion nahm nicht einmal eines der Papiertaschentücher zu Hilfe, die hier überall griffbereit herumlagen, weil Johannes ein Meister im Schmieren war.
»Was heißt, darüber brauchen wir nicht zu sprechen? Ich dachte, deshalb bist du in diesem Zustand.«
»Nein, es ist viel ernster, Kristin. Ich brauche jemanden, der sich für vierzehn Tage um Johannes kümmert. Und ihn vielleicht später ganz zu sich nimmt. Und mir fällt niemand ein außer dir.«
Sie wollte ihr Kind weggeben? Das wurde ja immer bunter! Kristin starrte Marion noch immer sprachlos an.
»Kristin, ich frage dich nicht ohne Grund. Ich habe… vermutlich Brustkrebs.«
Hätte sie eine Bombe geworfen, könnte die Wirkung nicht verheerender sein. Kristin schnappte nach Luft und stieß einen leisen Schrei aus. So etwas passierte niemandem, den sie kannte. So etwas las man, aber es ging nicht an, daß die Freundin hier vor einem saß und den Alptraum in das eigene Leben schleuderte.
Brustkrebs. Einfach so.
»Ich weiß, es ist ein Schock. Tut mir leid. Ich habe es selbst noch nicht begriffen. Es ist nur so, daß ich sofort in die Klinik muß. Der Knoten soll entfernt und untersucht werden. Eventuell müssen sie gleich die Brust entfernen. Keine Ahnung.«
»Aber Marion… seit wann… ich meine, wieso bist du so sicher? Du warst doch erst heute morgen beim Arzt…«
Es darf gar nicht wahr sein. Man mußte es von sich wegschieben, vielleicht war alles nur ein Irrtum. Ärzte konnten sich irren, das passierte oft genug.
»Es sieht nicht gut aus. Ich habe das schon an der Reaktion von Dr. Huber gemerkt, und der Röntgenarzt sagte mir ganz klar, daß ich mich darauf einrichten müsse, daß es nicht gutartig sei. Ich weiß nicht genau, woran er das erkannt hat. Sie haben da wohl ihre Merkmale. Er hat mir auch alles mögliche erklärt, aber ich war so durcheinander…«
»O Gott, das tut mir so leid…«
Kristin konnte die Tränen auch nicht zurückhalten. Sie stand auf und umarmte Marion. Vergessen war alles, was sie hätte trennen können, auch Frederik spielte keine Rolle mehr. Aber Moment… Frederik…
»Sag mal, hat er vielleicht bescheuert reagiert? Frederik, meine ich?«
Marion schüttelte den Kopf und preßte die Lippen aufeinander.
»Was ist? Nun sag schon.«
»Er weiß es nicht. Ich will nicht, daß er es weiß und glaubt, aus Mitleid bei mir bleiben zu müssen. Wir haben uns gerade erst kennengelernt, wie du weißt. Nein, das ist vorbei.«
»Aber vielleicht würde er dir gern helfen? Ich dachte, ihr liebt euch…«
»Ich kann jetzt nur an Johannes denken. Frederik ist zwar lieb zu ihm, aber er hat keine