Mami Staffel 10 – Familienroman. Lisa SimonЧитать онлайн книгу.
Sonst ist Schluß, dann mußt du hier weg!«
Ihr Ton ließ keine Zweifel aufkommen, daß sie genau das meinte, was sie sagte. Zwar wußte Kristin nicht, wohin sie ihn bringen sollte, aber das wußte ja Johannes nicht.
Das Wunder geschah. Er sah sie groß an, in seinem Blick lag der ganze Weltschmerz einer gequälten Kinderseele, aber dann stellte er sein Schreien ein und ließ sich seine großen Legosteine in die Hand geben. Kristin drehte er den Rücken zu, aber Frau Schneider bekam ein Lächeln.
»Das hat aber gewirkt. Ich wußte gar nicht, daß Sie so gut mit Kindern umgehen können und wissen, wie man sie bändigt.«
»Das wußte ich auch nicht. So schnell lernt man«, erwiderte Kristin noch immer ein wenig verblüfft.
Am Abend fuhr sie mit einem müden Johannes ins Krankenhaus. Als er seine Mutter sah, strahlte er und streckte die Arme aus. Sie zog ihn an sich, und schaute über seinen Kopf hinweg Kristin an.
»Ich werde morgen schon operiert.«
»Gott sei Dank. Das ist doch besser, als noch ewig zu warten.«
»Es dauert aber eine Weile, bis sie ein genaues Ergebnis haben. Nur ob es bösartig ist oder nicht, können sie mir dann schon sagen.«
»Das ist doch, was du wissen mußt.«
»Ich mußte unterschreiben, daß ich auch mit einer Amputation einverstanden wäre…«
»Das ist doch nur Routine, Marion. Mach dich nicht verrückt. Ich habe ein bißchen nachgelesen. Paß auf, morgen abend lächelst du schon wieder.«
Sie glaubte selbst nicht so recht daran, und deshalb konnte sie auch Marion nicht überzeugen. Es blieb nichts zu tun außer abzuwarten. Um Marion ein bißchen abzulenken, erzählte sie von dem, was Johannes heute alles erlebt hatte. Frau Schneider war mit ihm Enten füttern gegangen, er hatte mittags sein Gemüse ohne zu murren aufgegessen, sogar eine Stunde geschlafen und wartete jetzt nur noch auf sein Bad und sein Bett.
»Du machst das wunderbar, Kristin. Ich wußte, daß Johannes es gut bei dir hat. Und wenn du ihm mal Schokolade geben willst, habe ich auch nichts dagegen…«
Kristin nickte. Sie erzählte allerdings nicht, daß Johannes am Nachmittag nur mit einem Stück Kinderschokolade davon abzubringen gewesen war, in Kristins Ordnern herumzukritzeln.
Als Johannes dann endlich friedlich schlafend im Bett lag, kam auch Kristin dazu, sich ein wenig zu entspannen. Sie trug noch immer die Liste von Dr. Bachner mit sich herum. Morgen früh wollte Kristin seine Bücher bestellen, heute war sie einfach nicht dazu gekommen. Es dauerte sicher noch ein bis zwei Tage, bis sie einen neuen Rhythmus gefunden hätte, der Johannes’ Bedürfnisse integrierte.
Sie gönnte sich eine kurze Dusche in ihrer Wohnung. Viel Zeit nahm sie sich nicht, falls Johannes wach wurde. Wie angebunden man mit so einem Kind war, wurde ihr jetzt erst bewußt. Bei aller Freude, die der Kleine machte, wußte sie nicht, ob das auf Dauer etwas wäre für eine Frau wie sie. Aber noch ging Kristin davon aus, daß Marion wieder gesund werden würde. Dann mußte sie darüber ja auch nicht nachdenken, denn für vierzehn Tage konnte sie sich gut einschränken.
Nachdem sie sich etwas zu essen gemacht und sich überzeugt hatte, daß Johannes fest schlief, setzte sich Kristin mit der Liste auseinander. Es waren sehr unterschiedliche Bücher, die Dr. Bachner haben wollte. Daraus könnte sie bestenfalls entnehmen, daß sein Interessengebiet weit gestreut war. Wieder wuchs ihre Neugier. Wenn sie ihn das nächste Mal sah, wollte sie ihn doch einmal fragen, ob er die Bücher beruflich brauchte…
Am nächsten Tag gelang es Johannes, das Kabel vom Computer zu erwischen und aus der Steckdose zu ziehen, was einen Absturz des Systems bedeutete. Gott sei Dank schaffte Kristin es, alles wieder in Ordnung zu bringen. Es war vielleicht doch gar nicht so schlecht gewesen, einen kundigen Freund gehabt zu haben. Einiges war hängengeblieben.
Am Nachmittag schlug Frau Schneider vor, mit Johannes in ihre Wohnung zu gehen. Kristin könnte ihn dort abholen, nachdem sie seine Mutter im Krankenhaus besucht hatte. Das war ein guter, nervenschonender Vorschlag, jedenfalls für Kristin. Ob Frau Schneider danach immer noch begeistert war, würde sich zeigen. Auf keinen Fall sollte Johannes seine Mutter nach der Operation sehen.
Marion sah wirklich erschütternd aus. Sie war zwar schon wieder wach, aber voller Angst. Der Knoten hatte sich als bösartig erwiesen, aber die Brust hatte erhalten bleiben können.
»Es tut mir leid, Marion, daß es doch Krebs ist. Aber vielleicht hast du doch Glück und es nicht die schlimmste Form. Hat der Arzt denn noch gar nichts sagen können?«
»Sie müssen erst die feingewebliche Untersuchung machen. Das dauert eben seine Zeit.«
Ihre Stimme klang, als hätte sie bereits mit allem abgeschlossen. Aber vielleicht war Marion auch voller Beruhigungsmittel.
»Jetzt verlier nicht die Hoffnung. Dein Sohn braucht dich. Ich bin bestenfalls eine gute Tante für ihn.«
»Du machst deine Sache bestimmt großartig. Er mag dich.«
»Ich ihn auch. Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das schon. Sag mal, soll ich nicht doch Frederik…«
»Nein, auf keinen Fall. Ich will ihn nicht sehen.«
Das klang so entschieden, daß Kristin es aufgab.
Marion war schnell erschöpft, deshalb verabschiedete sich Kristin nach einer Viertelstunde. Sie war auch nicht böse darum. Der Krankenhausgeruch und die schicksalsergebene Art, wie Marion ihre Erkrankung annahm, machten ihr schwer zu schaffen. Wann war sie eigentlich zuletzt zur Vorsorge gewesen? Als sie gestern beim Duschen ihren Busen abgetastet hatte, waren überall Knoten gewesen. Soweit zu ihrer Phantasie. Am besten wäre es, sie ließe das ihren Arzt entscheiden, doch im Moment hatte sie keine Zeit, ihn aufzusuchen.
Frau Schneider war noch immer begeistert von Johannes, also würden sie es am nächsten Tag wieder so machen. Ab Mittag wollte Frau Schneider mit ihm nach Hause gehen. Kristin war dankbar. Vielleicht hätte Frau Schneider Kindergärtnerin werden sollen bei diesem Talent.
Zwei weitere Tage verstrichen. Langsam gewöhnte sich Kristin an das Tempo, mit dem sie im Moment organisieren und leben mußte. Johannes schien es gut zu bekommen.
Marion erholte sich von dem Eingriff. Etwas Neues wußte sie jedoch immer noch nicht. Kristin fand es fast unerträglich, daß man sie so lange warten ließ. Sie wußte nicht einmal, ob noch eine Chemotherapie folgen mußte oder vielleicht Bestrahlungen, weil es auf die Art des Tumors ankam.
Heute konnte sie Dr. Bachner anrufen. Ein Buch hatte sie noch nicht bekommen, die drei anderen lagen abholbereit. Sie hatte es vermieden, sich für diesen Tag besonders zurechtzumachen, obwohl sie am Morgen noch darüber nachgedacht hatte. Er spukte ihr im Kopf herum, aber die Vernunft siegte schließlich.
Er meldete sich sofort, nachdem sie seine Nummer gewählt hatte. Jetzt könnte sie sich einbilden, daß er bereits sehnsüchtig auf ihren Anruf gewartet hatte. Das war vielleicht sogar richtig, aber nur, weil er die Bücher haben wollte. Kristin legte geschäftsmäßig Sachlichkeit in ihre Stimme.
»Guten Tag, Herr Dr. Bachner. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß die Bücher da sind. Bis auf eines, allerdings. Das dauert noch eine Weile.«
»Das ist ja wunderbar. Dann komme ich gleich vorbei und hole sie ab.«
Kristin durchzuckte eine völlig unangebrachte Freude bei dem Gedanken, ihn gleich wiederzusehen.
»Ja, tun Sie das gern. Sie liegen an der Kasse bereit, falls ich nicht dasein sollte.«
Warum machte sie solche Spielchen? Wollte sie jetzt, daß er danach fragte, wann er sie persönlich anträfe? Sie konnte den Laden doch gar nicht verlassen, denn Frau Schneider paßte auf Johannes auf und sie mußte die Kunden bedienen.
»Vielen Dank für Ihre Mühe.«
Das hatte sie verdient. Kristin legte auf und kämpfte einen Moment mit dem Gedanken, daß sie sich vielleicht in diesen interessanten Mann verliebt haben