Mami Staffel 10 – Familienroman. Lisa SimonЧитать онлайн книгу.
»Ginge das? Ich meine, ich kann dir Geld für einen Babysitter geben und alles andere, aber ich will doch nicht, daß er ins Heim muß…«
Sie schlug die Hände vor das Gesicht.
Die Vorstellung war auch wirklich zu schrecklich. Johannes war ein kleines Monster und trampelte manchmal ganz schön auf den Nerven herum, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte, aber er war dann auch wieder so lieb wie ein kleiner Engel und sein Lächeln warf einen sowieso um.
»Natürlich nehme ich ihn.«
»Wirklich? Geht das in Ordnung?«
»Na klar geht das.«
Sie würde Frau Schneider einfach zur Kinderpflegerin umfunktionieren. Wenn sie hinten im Büro eine Spielecke einrichtete und das Reisebett aufstellte, könnte sie sich um die Kunden kümmern, während Frau Schneider sich mit Johannes beschäftigte. In der Nähe der Buchhandlung gab es einen kleinen Park, so daß er auch genügend an die frische Luft käme. Frau Schneider würde diese Aufgabe mit Feuereifer erfüllen, da war Kristin sicher. Auch Johannes mochte sie, so daß es von daher auch keine Probleme geben dürfte.
»Ich werde noch ein Schriftstück aufsetzen, daß Johannes bei dir bleiben soll, ich meine, daß du seine Betreuerin sein sollst, falls mir etwas passiert. Ich habe mich schon erkundigt, wie man das macht.«
»Daran solltest du aber gar nicht denken, Marion. Ich bin sicher, daß alles gut werden wird. Ich meine, der Knoten kann doch erst ganz klein sein.«
»Es gibt verschiedene Formen von Krebs. Manche sind besonders bösartig, andere wachsen langsam, können aber längst Metastasen gebildet haben. Ich kann von gar nichts ausgehen. Aber es wäre mir eine große Beruhigung, wenn ich wüßte, daß du dich um Johannes kümmerst.«
»Ich verspreche es dir.«
Kristin wußte, was sie da sagte. Aber es konnte nur diese eine Antwort geben. Alles andere wäre undenkbar für sie.
Sie sprachen noch die halbe Nacht weiter, beleuchteten alles von dieser und jener Seite, stellten Pläne auf, und verwarfen sie wieder bis Kristin schließlich fast die Augen zufielen.
»Wir sollten jetzt schlafen gehen. Ich komme morgen früh rüber, hole dich und Johannes und bringe dich in die Klinik. Ich brauche für morgen früh eine Tasche mit Kleidung und Windeln, Spielzeug und das Reisebett. Johannes wird mit ins Geschäft genommen, und Frau Schneider kann sich um ihn kümmern. Nachts schlafe ich hier, wenn es dir recht ist, damit er sein vertrautes Zimmer hat.«
»Du bist ein Schatz, Kristin. Ohne dich wäre ich absolut aufgeschmissen. Aber du mußt mich nicht ins Krankenhaus bringen.«
»Natürlich tue ich das. Ich muß doch sehen, ob du dort gut untergebracht bist.«
Marion war zu schwach, um zu widersprechen. Sie umarmten sich und dann gingen sie schlafen. Wobei an Schlaf allerdings kaum zu denken war. Marion war von Angst besessen, Kristin gepackt von ihrem Entsetzen über das Gehörte.
*
Frau Schneider reagierte genauso, wie Kristin erwartet hatte. Sie war angesichts der Tragödie, die Johannes’ Mutter durchmachen mußte, natürlich entsetzt, aber sie freute sich sehr, daß sie sich um den Kleinen kümmern sollte.
Tatkräftig begann sie, das Büro umzugestalten, während Kristin Johannes bewachte, der durch die Regalreihen lief und immer wieder versuchte, Bücher herauszuziehen. Daß sie es ihm verbot, stachelte seinen Ehrgeiz nur an. Kristin war allerdings auch nicht streng genug, was er natürlich merkte.
Sie war noch immer bei Marion, die sie heute morgen in die Klinik gebracht hatte. Marion hatte eine Zusatzversicherung, so daß sie ein Einzelzimmer beziehen konnte. Es war hell und freundlich, auch die Schwestern schienen nett zu sein. Aber Krankenhaus war Krankenhaus, und um eine simple Blinddarmentzündung handelte es sich leider auch nicht.
»Ich komme heute abend wieder und bringe Johannes mit«, hatte sie Marion zum Abschied versprochen. »Wenn du etwas brauchst, ruf an.«
Es war so schrecklich. Auch daß Marion sich von Frederik getrennt hatte, war nicht weniger schlimm. Die beiden hatten doch an die große Liebe geglaubt! Sollte die das nicht aushalten? Andererseits wußte Kristin, daß sie genauso reagiert hätte. Die Angst, daß der Liebste sich verpflichtet fühlte, bei ihr zu bleiben, lag nach so kurzer Zeit eben doch nahe. Und dann würde er es nicht durchhalten, das war klar. Was nichts anderes hieße, daß er dann zu einem späteren Zeitpunkt gehen würde, wo man es vielleicht noch viel schwerer ertrug.
Weil Kristin das nachvollziehen konnte, versuchte sie auch nicht, Frederik anzurufen und ihm zu erzählen, warum Marion ihn weggeschickt hatte. Er mußte ja ganz schön durcheinander und irritiert sein, daß er hatte gehen müssen, nachdem er so schön auf Johannes aufgepaßt hatte… Aber es ging sie nichts an. Sie durfte Marion nicht in den Rücken fallen.
»So, Frau de Bruhs, ich bin dann soweit. Es ist zwar alles ein bißchen eng, aber so wird es Johannes gefallen. Ich nehme ihn jetzt.«
»Danke, Frau Schneider. Falls Sie ein bißchen mehr Geld haben möchten…«
»Ich bitte Sie! Es ist mir doch ein Vergnügen…«
Dann war das also auch geklärt. Kristin konnte sich wieder um die Kunden kümmern.
Der erste Kunde, der erschien, war Dr. Bachner. Kristin wußte, daß sie heute nicht gerade vorteilhaft aussah. Die Nacht ohne ausreichenden Schlaf und die traurige Pflicht, Marion ins Krankenhaus zu bringen, waren an ihr nicht spurlos vorübergegangen.
Aber bitte, es spielte eigentlich keine Rolle. Zum Flirten war ihr sowieso nicht zumute.
»Guten Morgen, Frau de Bruhs. Ich habe die Liste mitgebracht. Vielleicht können Sie Ihr Glück versuchen…«
Es kamen noch zwei Kunden herein, die sich suchend umschauten. Kristin würde keine Zeit haben, sich mit Dr. Bachner zu unterhalten. Dabei hätte es sicher Gelegenheit gegeben, mit ihm die Titel einzeln durchzugehen. Außerdem wäre sie gespannt gewesen, warum er welches Buch bestellte…
»Ich bin heute allein hier im Verkauf, leider…«
»Oh, ich sehe schon. Natürlich. Ich nehme an, daß Sie mit der Liste zurechtkommen? Sonst rufen Sie mich vielleicht an?«
»Ja, sicher, das mache ich gern. Sagen Sie mir Ihre Nummer?«
»Die steht auf der Liste.«
Er zog sie aus der Tasche, legte sie auf den Thresen und wandte sich zum Gehen.
»Ich melde mich auf jeden Fall, ob ich die Bücher alle bekomme«, rief sie ihm hinterher.
»Danke, das wäre nett.«
Und schon war er hinaus. Kristin fühlte sich, als hätte sie einen Verlust erlitten.
Sie hatte nicht einmal Zeit, die Liste anzuschauen. Der erste Kunde wollte ein Geschichtsbuch und mäkelte an den Preisen herum. Der zweite tat sich furchtbar wichtig mit seinen Computerkenntnissen, die er durch ein entsprechendes Fachbuch zu ergänzen suchte. Er kam Kristin gerade richtig. Schließlich hatte sie sich seine Angeberei lange genug angehört, zumal von hinten aus dem Büro Johannes’ Geschrei erklang.
»Tut mir leid, ich kann Ihnen offenbar nicht helfen. Entweder Sie schauen selbst oder versuchen es woanders.«
»Ich dachte, Sie sind eine Fachverkäuferin!«
»Ich bin die Inhaberin der Buchhandlung und habe Literatur studiert, nicht aber Informatik. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden.«
Er musterte sie so unverschämt, daß sie ihm am liebsten noch einen Schubs gegeben hätte. Manche Männer waren eine Heimsuchung. Und für Dr. Bachner hatte sie keine Zeit gehabt…
Johannes wollte unbedingt an ihrem Computer spielen, wie Frau Schneider ihr erklärte. Deshalb schrie er jetzt und warf sein Spielzeug, das Frau Schneider ihm immer wieder anbot, durch die Gegend. Schließlich verließ Kristin auch hier die Geduld. Wenn sie das vierzehn Tage ertragen