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Der unschickliche Antrag. Andrea CamilleriЧитать онлайн книгу.

Der unschickliche Antrag - Andrea Camilleri


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seit nunmehr mindestens zwei Jahren sich den Kopf zurechtgerückt hat und einen einwandfreien Lebenswandel führt, man weiß von keinen Frauen um ihn, er gibt sich keinen flüchtigen Vergnügungen mehr hin. Derlei Seitensprünge blieben seiner Gattin immer verborgen; diese hat, unter anderem, eine überaus gute Beziehung zur zweiten Gattin ihres Vaters, die sozusagen gleichaltrig ist. Der Genuardi hat auch die Freundschaft mit dem Buchhalter Rosario (genannt Sasà) La Ferlita gelockert, einem wirklich lasterhaften Menschen, der sich jeder Ausschweifung hingibt und das schwarze Schaf einer angesehenen Familie ist. Dessen Bruder Giacomo (genannt Zagaglino, wegen eines leichten Stotterfehlers) ist ein tüchtiger Beamter bei der Königlichen Präfektur von Montelusa.

      Genuardis Schwiegervater, der den besseren Einsichten wohl nicht traute, hat in Genuardis Lager einen alten Vertrauensmann einstellen lassen, einen gewissen Calogero Jacono (genannt Caluzzè die Schrumpelfeige), der diesem über alles Bericht erstattet.

      Nichts ist zu Lasten des Genuardi im Strafregister eingetragen. Mithin gilt er als nicht vorbestraft.

      Hierdurch wird außerdem mitgeteilt, daß der Genuardi am 5. März diesen Jahres im Ortsbann Inficherna den Hirten Lococo Anselmo (genannt Sesè der Bleifuß, wegen seines langsamen Schrittes) angefahren, dessen linken Arm gebrochen und den Verlust zweier Ziegen aus der Herde verursacht hat. Der Lococo wurde jedoch überredet, keine Anzeige zu erstatten, da er ein hohes Schmerzensgeld erhielt, das ihm unverzüglich von Signor Emanuele Schilirò angeboten worden war.

      Der Genuardi saß am Steuer eines motorisierten Vierrades der Marke Panard und Levassor, das er in Paris gekauft hat, und zwar für einen außerordentlich hohen Preis, weil es sich dabei praktisch um ein Unikat handelte. Ebenfalls in Paris, wohin er sich mit seiner Gattin angelegentlich der Weltausstellung von 1889 begab, hat er auch einen Phonographen Edison mit Wachsrolle gekauft, von dem Musik zu hören ist, wenn man ein beigefügtes Leitrohr ans Ohr führt.

      Dieses alles führe ich nicht aus törichter Geschwätzigkeit auf, sondern um die oftmals eigenthümlichen Handlungen des Genuardi deutlich zu machen.

      Politische Vorstellungen gibt es bei Genuardi keine. Er wählt entsprechend den Anweisungen seines Schwiegervaters, der ein Urgestein ist. In der Öffentlichkeit hat er seine Meinung noch nie geäußert.

      Hochachtungsvoll

      Der Leiter der Polizeidienststelle von Vigàta

      (Antonio Spinoso)

       Gesagtes eins

A (Giacomo La Ferlita – Pippo)

      »Wozu haben Sie mich eigentlich hier runtergeschleppt, Signor La Ferlita?«

      »Weil das hier das alte Archiv der Präfektur ist, hier runter kommt keine Sklavenseele. Und keiner kann uns sehen. Ich will mit Ihnen nämlich nichts zu schaffen haben. Vielleicht hat mein Bruder Sasà sich ja nicht deutlich genug ausgedrückt, Signor Genuardi?«

      »Ihr Bruder hat sich absolut deutlich ausgedrückt. Sogar ein bißchen sehr deutlich.«

      »Und wieso belästigen Sie mich dann in der Präfektur? Ich habe einen geachteten Namen, klar?«

      »Kann man eigentlich mal erfahren, warum ihr euch alle in der Präfektur aufführt, als hätte euch der Hafer gestochen? Was hab ich getan? Hab ich vielleicht neben das Pinkelbecken gepißt, oder was?«

      »Das fragen Sie mich? Sie wissen doch selber, was Sie angerichtet haben! Und außerdem, ich höre mir nicht gern säuische Ausdrücke an!«

      »Was hab ich denn angerichtet?! Nichts hab ich angerichtet! Drei Briefe hab ich an den Präfekten geschrieben und ihn um Auskünfte gebeten, und da hat er sich gleich künstlich aufgeregt.«

      »Ich glaube nicht, daß das allein ausschlaggebend ist. Commendatore Parrinello ist mir ernsthaft besorgt vorgekommen.«

      »Die sollen sich doch beide in den Arsch ficken lassen, der und Seine Exzellenz!«

      »Hören Sie, ich hab Ihnen schon mal gesagt, daß ich säuische Ausdrücke …«

      »Na gut, dann bitte ich um Verzeihung und komme zum Grund meines Besuches. Schließlich bin ich ja nicht meinetwegen hier, Signor Giacomino. Ich bin hier wegen Ihres Bruders Sasà.«

      »Hören Sie mir ja auf mit Sasà.«

      »Das kann ich nicht! Wenn ich’s bloß könnte! Hier geht’s um Freundespflicht!«

      »Hören Sie …«

      »Nein, jetzt reicht’s, jetzt hören Sie mir zu. Ich muß Sasà warnen, daß ihn jemand sucht, der ihm das Fell über die Ohren ziehen will.«

      »Aber wieso denn?«

      »Was heißt das, wieso denn? Spielen Sie jetzt den Ahnungslosen, oder was? Ja, wissen Sie denn nicht, daß Ihr Bruder Sasà die halbe Welt in den Arsch gefickt hat? Wissen Sie nicht, daß er ganz Sizilien Geld schuldet?«

      »Das weiß ich. Aber er begleicht seine Schulden regelmäßig. Die sollen Geduld haben und warten, früher oder später kriegen die ihr Geld schon zurück.«

      »Bringen Sie mich doch nicht zum Lachen, Lachen schlägt mir auf die Leber! Dann wissen Sie also auch nicht, daß Ihr Bruder Sasà, jeden, ganz gleich wen, um sein Geld betrügt, ganz nach Lust und Laune? Auch Nino Longhitano, den Bruder von Commendatore Don Lollò, hat er um zweitausend Lire geprellt.«

      »Oh, der Wichser, der verdammte Wichser.«

      »Was denn, so unflätig? Nehmen Sie jetzt etwa säuische Ausdrücke in den Mund?«

      »Ausgerechnet den Bruder von Don Lollò Longhitano mußte diese Gurke von Sasà um zweitausend Lire prellen? Da frag ich mich doch und sag: Bruder mein, gebenedeiter, mußtest du denn ausgerechnet da, wo das Feuer brennt, reintappen?«

      »Was wollen Sie da machen? So ist er eben. Aber Sie wissen sehr gut, daß Commendatore Longhitano jemand ist, mit dem man nicht scherzen darf. Er will, daß sein Bruder Nino honoriert wird. Ich habe von Sasà nur seine alte Adresse in Palermo, die an der Piazza Dante, die neue hat er mir noch nicht schreiben können. Wenn ich warte, bis er sie mir schreibt, kann es womöglich zu spät sein.«

      »Heilige Madonna! Zu spät wofür?«

      »Für das, was Sie ganz richtig verstanden haben. Commendatore Longhitano läßt Sasà nicht nur das Fell über die Ohren ziehen, sondern ihm das Laster womöglich ein für allemal austreiben! Es ist an Ihnen, verehrter Signor Giacomino La Ferlita, ob Sie das Leben Ihres Bruders auf dem Gewissen haben wollen oder nicht.«

      »Gut, dann schreib ich ihm gleich heute noch.«

      »Was wollen Sie?«

      »Ihm schreiben.«

      »Was geht eigentlich in Ihrem Kopf vor? Sie greifen zum Federhalter und schreiben! Zunächst mal wissen wir doch gar nicht, wann der Brief ihn erreicht, stimmt’s? Ist doch gut möglich, daß der Brief von Vigàta nach Palermo eine Woche braucht. Und dann ist es zu spät. Und danach, wenn die Fakten Fakten sind und die Carabinieri zur Tatortbesichtigung kommen, entdecken sie Ihre wunderschöne Warnung. Dann können Sie sich Ihre Karriere in der Präfektur in die Haare schmieren. Sobald Sie sich aber entscheiden, mir zu sagen, wo zum Teufel Sasà sich aufhält, nehm ich den Zug und besuch ihn. Begreifen Sie doch, Signor La Ferlita: Ich selber setze meine Existenz aufs Spiel, um Sasà zu helfen. Geben Sie sich einen Ruck!«

      »Na, gut. Mein Bruder Rosario wohnt auf dem Corso Tukory, auch in Palermo. Nummer fünfzehn, bei Familie Bordone.«

      »Das hat aber lange gebraucht! Wo zum Teufel geht es raus aus diesem Scheißlabyrinth?«

B (Polizeipräsident – Commendatore Parrinello)

      »Ich danke Ihnen, lieber Commendatore Parrinello, daß Sie meiner Bitte zu kommen so schnell entsprochen haben.«

      »Dazu bin ich doch da, Herr Polizeipräsident.«


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