Elfenzeit 5: Trugwandel. Uschi ZietschЧитать онлайн книгу.
blickte, sah er, dass ein Großteil der Außenmauer eingestürzt war, der Park zerstört. Stellenweise erreichten die Schatten der schwarzen Wolken Kammern, deren Dach abgedeckt oder eingebrochen war. Im Park schimmerte sogar hier und da der Spiegelboden durch. Dieser Bereich aber war die Zitadelle, das erste errichtete Fundament. So stabil, dass es dem Untergang getrotzt hatte, die Mauern standen unversehrt, auch wenn es innen verheerend aussah.
Der Getreue erreichte den Thronsaal, dessen hölzernes Portal – in dem ein Wurzelfüßer eingebaut worden war, der sich aufgegeben hatte – sich von selbst vor ihm öffnete, als es ihn nahen spürte. Das Geisterabbild trauriger Augen verfolgte den Getreuen, als er hindurchschritt und neben den Thron trat.
Schweigen schlug ihm entgegen, und er war selbst für einen Augenblick wie erstarrt.
Der Thronsaal war berstend voll, selbst an den Wänden hingen und klammerten sich Elfen fest, noch an der Decke, den Kerzenleuchtern. Der Boden war übersät mit Körpern, jeder freie Platz war besetzt.
Mit einem Blick erfasste der Getreue die Wesen, erkannte das eine oder andere.
»Herr!«, rief die Dryade Melemida. Sie raschelte auf ihn zu und verneigte sich zitternd. »Habt Ihr Nachricht von meiner Königin … unserer Gebieterin? Könnt Ihr mir sagen, wo sie ist, damit ich zu ihr und sie versorgen kann? Wie geht es ihr?«
Der Getreue schwieg, und Dunkelheit breitete sich in ihm aus.
Melemida war eine sehr mutige Frau. Sie wich vor seiner Kälte nicht zurück, sondern insistierte sogar: »Herr? Was habt Ihr für Nachrichten?«
»Keine«, antwortete er grollend, und ganz tief unten in der Dunkelheit entzündete sich Zorn. »Die Königin ist nicht hier, sagst du?«
Ein Raunen und Flüstern ging durch den großen Saal, von dessen einstiger Pracht nichts mehr geblieben war. Nur die Wände und der Thron standen noch, das meiste Stuckwerk, Dekoration, Pflanzenwerk waren zerstört. Wie im ganzen Schloss.
Viele Elfen richteten sich auf und streckten die Hände flehend nach ihm aus.
»Wo ist unsere Königin?«
»Was könnt Ihr uns sagen?«
»Bringt uns zu ihr!«
»Wir sind wie erstarrt vor Furcht und Sorge!«
»Seit Beginn der Zerstörung haben wir nichts mehr zu uns genommen!«
»Helft uns!«
Er hatte genug. »Ruhe!«, donnerte er, und sie duckten sich alle furchtsam. Was für ein elender Haufen, dachte er voller Verachtung. Sklaven sind sie, allesamt, haben kein Rückgrat, können nichts selbst entscheiden und besitzen keinen Stolz.
»Wieso seid ihr noch hier? Das Portal ist offen, das müsst ihr doch alle gespürt haben! Ihr seid frei!«, rief er.
Sie begriffen nicht, was er damit meinte, das konnte er deutlich den Mienen ablesen, egal wie fremdartig sie waren. Er wiederum verstand, dass sie noch gar nicht gewagt hatten, das private Gemach der Königin zu betreten, dass sie hier die ganze Zeit auf sie warteten. Dementsprechend wussten sie auch nichts von dem offenen Portal. Der Raum war magisch abgeschirmt, sie hatten es nicht spüren können.
»Warum seid ihr hier?«, scholl seine tiefe Stimme durch den Saal.
Melemida sah sich plötzlich allein mit dem Getreuen, alle starrten sie an, als wäre sie zur Sprecherin erkoren worden. »Die Königin gab uns keine Erlaubnis zu gehen«, flüsterte sie.
»Aber sie ist nicht hier«, erwiderte der Verhüllte.
»Herr … wohin sollten wir denn gehen?«, fuhr die Dryade verzweifelt fort. »Der Weg führt in die Menschenwelt. Wir wissen nicht, ob wir dort draußen noch Kräfte besitzen, und was sich verändert hat. Wir sind sterblich, verbannt und heimatlos …«
Der Getreue schüttelte fassungslos das Haupt. »Dann fangt neu an!«, fauchte er. »Habt ihr wirklich so große Angst vor diesem einen Schritt?«
Die meisten Elfen lagen flach am Boden, der Rest versuchte, sich unsichtbar zu machen.
»Es ist so …«, begann Melemida zaghaft. »Bandorchu hat uns den Lebenswillen zurückgegeben. Sie schenkte uns eine Heimat. Wir führen ein gutes Leben hier in diesem Grauen. Sie hat versprochen, uns herauszuführen, und nun ist es soweit. Wir werden aber nicht ohne die Königin gehen. Sie soll uns den Weg weisen, sie ist unsere Zukunft. Wir folgen ihr.«
Der Getreue ließ seinen Blick schweifen. »Gilt das für euch alle? Auch für die, die zitternd draußen harren? Sagt es!«
Zuerst folgte nur ein schüchternes »Ja«, doch bald wurden es mehr Stimmen, die sich schließlich gegenseitig anspornten, und zuletzt war der Saal erfüllt von unterschiedlichem »Ja!«-Geschwirr, und selbst von draußen scholl es noch herein.
Da nickte der Getreue zufrieden. »Damit seid ihr, die ihr geantwortet habt, durch Treueid an die Königin gebunden und werdet ihr weiterhin folgen, wohin sie auch geht, ihr dienen und gehorchen. Der Schwur gilt, bis sie euch davon freispricht!«
Da erst begriffen sie, dass er sie in eine Falle gelockt hatte. Und sie waren auch noch sehenden Auges hineingetappt! Er hatte ihnen doch zuvor genau gesagt, dass sie frei wären …
»Und nun«, fuhr der Mann ohne Schatten fort, »sucht nach Bandorchu!«
Je länger die Suche dauerte, umso ungeduldiger wurde der Verhüllte. Die Elfen suchten zusehends panischer, zogen immer weitere Kreise und setzten sich lieber den schwarzen Wolken und dem Spiegelboden aus, nur um so weit wie möglich vom Getreuen entfernt zu sein. Und er wütete unter ihnen, je mehr sein Zorn wuchs. Er zerschmetterte die Hände der Steinzwerge, setzte die Wurzeln des letzten Wulkbaums in Brand, riss dem Basilisken die Augen aus … Leid und Schmerz kam über das Volk der Verbannten. Sie verdoppelten ihre Bemühungen, spornten sich gegenseitig an, doch die Königin blieb spurlos verschwunden. Auch auf magischem Wege gab es keine Möglichkeit, sie zu finden. Selbst der Aurenseher, der die letzten Ereignisse an einem Ort erfassen konnte, wusste nicht mehr zu sagen, als dass die Königin einige Seelen verschlungen hatte und anschließend das Portal öffnete.
»Was geschah, nachdem sie die Seelen verschlungen hatte?«, hakte der Getreue nach. Noch niemand hatte das miterlebt, nicht einmal er.
»N-nichts«, stotterte der Aurenseher ängstlich und schrie auf, als der Verhüllte mit einem Messer auf ein Auge zielte. Die Augen des Aurensehers beherrschten sein Gesicht, sie waren so groß wie Handflächen, und von unendlicher Tiefe. Für die normale Sicht waren sie blind, doch in der Welt der Magie sahen sie nahezu alles.
»Und jetzt noch einmal«, befahl der Getreue drohend.
Der Aurenseher sank auf die Knie. »Herr, ich schwöre Euch … ich kann es nicht erkennen. Es ist völlig verschwommen. Die magischen Strömungen überlagern und vervielfachen sich, als ob die Königin sich wie ein Baum verzweigt. Aus einem mir unbekannten Grund ist keine klare Sicht darauf möglich. Erst mit dem Beginn des Öffnungszaubers kann ich sie wieder erkennen.«
Der Getreue war versucht, seine Kapuze zurückzuschlagen, um sich allen im Thronsaal zu zeigen.
Aber das wäre nicht sinnvoll. Und er sollte sich auch in seinem zerstörerischen Zorn mäßigen, sondern sich mehr auf die Vernunft konzentrieren. Der Aurenseher konnte ihm nicht weiterhelfen, seine eigene Magie stieß an ihre Grenzen. Was blieb ihm zu tun?
»Melemida!«, rief er mit dröhnender Stimme, während er einen Heilzauber über die von ihm geschundenen Wesen warf; er konnte sie noch brauchen. Die Dryade stakste eilig herbei.
»Gebieter?«
»Lass alle zusammenrufen, die im Eid der Königin stehen, und diejenigen, die ihr auch so folgen wollen. Wer kann, soll sich bewaffnen. Wachen und Throngarde sollen sich bereithalten. Sorg dafür, dass Ruhe und Disziplin herrscht. Verlangsamt euch, damit ihr keinen Hunger erleidet. Steht zusammen. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Herr. Ich werde es sofort veranlassen.« Die Stimme Melemidas klang plötzlich hoffnungsvoll.