Love Crash - Der Traum vom Neubeginn. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
sein, aus jedem Winkel angestarrt zu werden. Sie hätte das niemals gekonnt.
Vorsichtig blickte sie zu Luca. Er starrte konzentriert auf seinen Mac, die Stirn aber noch immer gerunzelt. War er tatsächlich wütend auf sie?
»Jules.«
»Hm?«
»Auspacken«, befahl Melissa.
Mit einem Kopfschütteln vertrieb Julie die Gedanken. Sie war nicht extra in die Vorlesung gekommen, um jetzt nichts davon mitzubekommen. Der Reißverschluss des Rucksacks klemmte, doch schließlich bekam sie ihn geöffnet und zog ihren Laptop hervor. Er war vier Jahre alt, leistete aber noch gute Dienste. Als sie ihn letzte Woche in Beckys Café benutzt hatte, war Simon nach einem Blick auf den Desktop entsetzt zurückgewichen und hatte damit begonnen, Updates einzuspielen. Dabei hielt er ihr eine Standpauke über die Notwendigkeit davon, Programme immer zu aktualisieren. Leider hatten sich durch besagte Updates auch diverse Menüs verändert, weshalb sie bei der Arbeit doppelt so lange benötigte, wie zuvor.
Am Stehpult räusperte sich Patryk. Neben ihm am Tisch lehnten die Krücken. Immerhin wirkte er mittlerweile nicht mehr so bleich wie in den vergangenen Tagen. Ein Vollbart bedeckte sein Gesicht und verlieh ihm das Aussehen eines älteren Professors, obwohl er erst Anfang dreißig war.
Die Gespräche verstummten.
»Ich begrüße Sie alle zur heutigen Vorlesung ›Europäische Literatur des 18. Jahrhunderts‹. In der letzten Vorlesung haben wir uns zunächst einen Überblick über die verschiedenen literarischen Strömungen im 18. Jahrhundert verschafft. Am Ende der heutigen Vorlesungen erhalten Sie eine Lektüreliste von mir, die es vollständig abzuarbeiten gilt. In meinen Ausführungen nehme ich Bezug darauf und gebe keine ergänzenden Erklärungen.«
Ein Stöhnen ging durch die Reihen.
»Ja, das Leben ist schrecklich. Und ich weiß, dass Sie alle nicht nur diese Vorlesung haben. Trotzdem erwarte ich hundert Prozent Einsatz.«
Die Einführungsreden der Professoren glichen sich in ihrem Ton und der Art alle, bemerkte Julie. Einige brachten den berühmten Spruch: »Schauen Sie nach links, schauen Sie nach rechts. Von drei Studenten wird nur einer den Abschluss erreichen.« Nach dem ersten Schock nahm sie solche Sprüche gelassen. Jeder wies außerdem darauf hin, dass diese Vorlesung nicht gegenüber anderen zu vernachlässigen war. Als ob sie das könnten, immerhin gab es am Ende überall Klausuren, benotete Essays und Papers.
Patryk begann über einen Schriftsteller namens Moses Brown zu sprechen, ein Exkurs über die Unterschiede zwischen der hiesigen Literatur und der europäischen.
Obwohl Julie sich alle Mühe gab, schweiften ihre Gedanken ständig ab. Auch die Müdigkeit machte sich bemerkbar und so rutschte ihr Ellbogen, auf den sie ihr Kinn gestützt hatte, vom Pult. Ruckartig fiel sie nach vorne und sog scharf die Luft durch die Zähne.
»Vielleicht sollten wir dich in ein großes Kissen packen, damit du nirgendwo anstoßen kannst«, kommentierte Melissa. »Jules, wirklich, wenigstens ein paar Tage hättest du noch daheimbleiben können.«
Was gar nicht infrage kam. Für den Rest der Vorlesung gelang es ihr, aufmerksam zuzuhören und sich Notizen zu machen. Das brachte Melissa wiederum dazu, eifrig auf ihrem Smartphone zu tippen, schließlich fertigte Julie die notwendigen Aufzeichnungen an. Die Zeit floss zäh wie Honig dahin.
Endlich kam Patryk zum Ende, blendete die Lektüreliste ein und sorgte damit prompt für entsetzte Blicke. Julie konnte sich nur anschließen. Auf der Liste standen fünfzehn Titel! Wie sollte sie das neben ihrem Job und den anderen Vorlesungen hinbekommen?
»Großartig«, kommentierte Melissa. »Die werde ich auf keinen Fall alle lesen. Brauchst du nicht abschreiben, die kannst du auf Patryks Website herunterladen.« Sie schwenkte ihr Smartphone.
Luca war anscheinend zu demselben Schluss gekommen, denn er packte den Laptop ein und verließ eilig den Vorlesungssaal. Dass er ihr dabei keinen Blick zuwarf, machte Julie erneut stutzig. Sie erhob sich und flitzte zum Ausgang, wobei ›Flitzen‹ eher an den schwankenden Gang einer achtzigjährigen Dame mit Rollator erinnerte.
»Luca!«, rief sie, denn einholen war utopisch.
Ruckartig hielt er inne. Langsam wandte er sich Julie zu und kam zurück. Wieder trat dieses wütende Funkeln in seine Augen, als er sie von oben bis unten musterte. »Hi.«
»Hi. Ich wollte mich bei dir bedanken. Viel habe ich ja nicht mitbekommen, aber …«
»Wieso bist du hier?«
Verwirrt sah Julie sich um. »Ich studiere hier.«
»Nein, ich meine heute. Du warst schwer verletzt und lagst im Krankenhaus, ist dir dein Leben so wenig wert?« Die goldenen Sprenkel in seinen Augen schienen von innen heraus zu glühen.
»Ich habe Vorlesung.«
»Wie kann man nur so verantwortungslos mit sich umgehen! Was ist, wenn du doch noch innere Blutungen hast oder etwas anderes nicht stimmt?!« Seine Stimme war lauter geworden und erste Studenten blieben wie zufällig stehen.
Gleichzeitig sah Julie wieder das Gesicht von Doktor Zimmerman vor sich, der ihr mit ernster Miene eine weitere Blutuntersuchung nahelegte. »Es ist mein Leben und ich weiß wohl am besten, was gut für mich ist.« Selbst in ihren eigenen Ohren klang das lahm.
»Wenn du das tatsächlich wüsstest, hättest du beim Fahrradfahren auf die Straße geschaut und nicht auf mich!«
Julies Brust wurde eng vor Scham. Er hatte es also bemerkt. »Da war eine Fliege …«
Seine Braue wanderte verächtlich in die Höhe. »Ja klar, die Fliege war schuld. Und sie flog zufällig in meine Richtung.«
Was genau genommen der Wahrheit entsprach. »Was ist eigentlich dein Problem?!«
»Leute wie du, die … ach, vergiss es! Vielleicht passt du das nächste Mal einfach besser auf, wenn du auf dem Rad sitzt.«
Damit wandte er sich um und stapfte davon. Ja, er war tatsächlich wütend. »Dieser …«
»Mistkerl«, erklang die Stimme von Melissa direkt neben Julies Ohr.
Worauf sie natürlich prompt zusammenzuckte und aufstöhnte. »Genau. Was denkt er eigentlich, dass er Gottes Geschenk an die Frauen ist?! Ich hätte ihn nicht so anstarren sollen, hat er gesagt, und das mit der Fliege nicht geglaubt.«
»Du hast die Fliege erwähnt? Oh, Jules.« Ein vorwurfsvoller Blick folgte.
»Was?! Ich musste doch was sagen!«
»Ja, aber vielleicht wäre etwas Intelligenteres sinnvoller gewesen. Jetzt schau mich nicht so an. Du hättest ja behaupten können, dass du den Typ neben ihm angestarrt hast.«
»So was durchschaut der doch sofort. Dieser arrogante Blödmann ist total von sich eingenommen.«
»Könnte daran liegen, dass ihm alle Mädchen hinterherstarren«, gab Melissa zu bedenken. »Einige Jungs übrigens auch.«
»Kein Wunder, dass er so eingebildet ist.« Julies Wut hatte ihren Höhepunkt erreicht und verrauchte so schnell, wie sie aufgekommen war. »Andererseits hat er sich rührend um mich gekümmert.«
Melissa seufzte auf. »Dich hat es ja ganz schön erwischt.«
»Jetzt übertreib mal nicht, es war nur ein kleiner Unfall. Es tut verdammt weh, aber ich werde es überleben. Andere enden mit gebrochenem Genick.«
»Wovon sprichst du?«
»Den Hämatomen.« Verwirrt erwiderte Julie Melissas Blick. »Wovon sprichst du?«
»Dass du verknallt bist, Warren.«
»Pfff, bin ich nicht.« Sie verschränkte die Arme, was eine gänzlich dumme Idee war. Sofort stöhnte Julie auf. Beinahe hätte sie wütend mit dem Fuß aufgestampft. Ihr Körper ließ überhaupt nichts mehr zu.
»Er hat natürlich recht, deine Freunde fänden es auch besser, wenn du