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Flammen des Sommers. Madeleine PuljicЧитать онлайн книгу.

Flammen des Sommers - Madeleine Puljic


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sah sie Lrartsnjoks Kopf nur als schwarze Silhouette, doch seine Augen leuchteten golden und rund. Große Tränen quollen daraus hervor und tropften auf den festgetretenen Erdboden.

      Mit einem Mal fühlte sie sich schuldig wegen des Verhaltens, das sie bisher an den Tag gelegt hatte. Egal, was der Drache sonst noch sein mochte, Plagegeist hin oder her, er war vor allem eines: ein Kind, das von zu Hause fortgeschickt worden war. Und seine Gastgeberin hatte ihn nicht gerade freundlich aufgenommen.

      Es gelang ihr, ein aufmunterndes Lächeln aufzusetzen. Sie tätschelte seine schuppige Wange. »Du hast die wichtigste Aufgabe überhaupt. Du musst auf den Hof aufpassen! Es muss doch jemand hier sein, wenn Berekh zurückkommt, und ihm sagen, wo ich bin. Sonst laufen wir schließlich aneinander vorbei.«

      Lrartsnjok schniefte. »Wirklich?«, fragte er voll neuer Hoffnung.

      »Natürlich!«

      Daena stieg in den Sattel und winkte dem Drachen noch einmal zu, der seine Brust stolz herausgestreckt hatte und den Blick wachsam über das verlassene Grundstück schweifen ließ. Dann drückte sie dem Braunen die Schenkel in die Flanken und ritt los.

      ***

      Daena war erstaunt, wie gut es sich anfühlte, nach den Monaten der Sesshaftigkeit nun wieder unterwegs zu sein. Die gleichmäßige Bewegung des Pferderückens, die Weite des Sternenhimmels über ihr und vor ihr nichts als die staubige Straße. Nach all der Zeit war sie endlich wieder aktiv, hatte sie ein Ziel vor Augen. Wäre da nicht das Wissen gewesen, welches Ziel das eigentlich war.

      Aber auch wenn sie sich an frühere Tage erinnert fühlte, nichts war wie damals. Sie hatte in ihrer Kämpferzeit niemals ein Pferd besessen – was nicht gerade für einen gerechten Lohn sprach. Oft genug hatte sie ihr Leben für ein paar Brotkrumen und ein halbwegs trockenes Lager für die Nacht riskieren müssen. Auf der anderen Seite war sie damals selten allein gereist. Den Großteil ihrer Wanderzeit hatte sie mit Berekh als Begleiter verbracht, ohne jemals zu wissen, wohin ihre Reise sie führen würde.

      Vieles hatte sich geändert seit damals, sie selbst am allermeisten. Nie wieder würde sie ihr Leben damit verbringen, vor etwas davonzulaufen. Nie wieder wollte sie einem Feind solche Macht über sich gewähren, indem sie sich von ihrer Angst beherrschen ließ. Und ihre größte Angst bestand im Augenblick darin, ihren Mann zu verlieren. Daher gab es für sie nur einen Weg, und der führte voran.

      Umso frustrierender war es, als sie Wesan noch lange vor dem Morgengrauen erreichte und das Stadttor verschlossen vorfand. Der Nachtwächter öffnete die kleine Luke im Tor gerade weit genug, um sie zu informieren, dass das auch so bleiben würde.

      »Scher dich fort!«, bekam Daena zu hören. »Städtische Öffnungszeiten von Sonnenauf-bis -untergang. Komm wieder, wenn es hell ist.«

      »Bist du blind? Das ist der Wappengreif der Kämpferakademie auf meinem Arm, also mach das Tor auf!«

      »Da könnte ja jeder kommen! Ob du da einen Greif oder den Hintern des Königs aufgemalt hast, das ist mir gleich. Hier wird keine Ausnahme gemacht, für dahergelaufene Leute welchen Berufs auch immer.«

      »Aber es sind noch Stunden, bis die Sonne aufgeht!«

      »Na und? Das hättest du dir eben überlegen sollen, bevor du hier angeklopft hast. Dort drüben ist eine Herberge. Gesell dich zu den anderen Streunern. Gute Nacht!« Mit diesen Worten klappte er die Luke wieder zu.

      Sie hätte ihn bestechen können. Eine Flasche Schnaps oder ein paar Münzen wären vermutlich alles gewesen, was er verlangt hätte. Aber der Markt hatte zu so später Stunde ohnehin nicht geöffnet, also hätte sie dadurch wenig gewonnen. Ihr Geld sparte sie sich lieber für einen Magier auf, der würde teuer genug werden.

      Falls sie überhaupt einen finden konnte. Immerhin hatte Berekh sich für diese Gegend entschieden, weil Wesan weitab von all den königlichen Hauptstädten lag, in die es gewöhnliche Zauberer üblicherweise zog.

      Statt in die Schenke einzukehren, suchte sie sich deshalb ein bequemes Fleckchen Wiese an der Stadtmauer, von wo aus sie das Tor im Blick behalten konnte. Das Schwert platzierte sie gut sichtbar auf ihren Knien, um aufdringliche Wegelagerer und übermütige Trunkenbolde aus besagtem Wirtshaus abzuhalten. Anschließend übte sie sich in Geduld.

      ***

      Ohne ersichtlichen Grund war Berekhs Flamme mitten in dem unterirdischen Gang einfach stehengeblieben und hatte sich nicht dazu bringen lassen, weiterzuschweben. Unter Tosalars amüsiertem Blick hatte Berekh sie wieder auf die Hand genommen und versucht, sich seinen Ärger darüber nicht anmerken zu lassen.

      Das war der Moment gewesen, in dem die Schreie begonnen hatten.

      Lang gezogen und voller Schmerz drangen sie aus der Tiefe der verfallenen Tempelanlage herauf.

      »Was war das?« Die Belustigung war schlagartig aus dem Gesicht des Erzmagiers verschwunden. »Hast du nicht gesagt, hier ist niemand?«

      Berekh hatte noch einmal seinen mentalen Tastsinn ausgesandt, doch das Ergebnis war dasselbe geblieben wie bei seinem ersten Besuch: nichts. Wer auch immer da Qualen gelitten hatte, war längst fort. Also waren sie weitergegangen.

      Mittlerweile verfolgten die Stimmen sie schon eine gefühlte Ewigkeit. Sie weinten, flehten um Erlösung, schrien voller Verzweiflung und Angst, kamen jedoch niemals näher, egal wie weit die beiden Zauberer in die unterirdische Ruine hinabstiegen.

      Jetzt, wo Berekh darüber nachdachte, fragte er sich, ob sie jemals unten ankommen würden. Als der Tempel noch seinem eigentlichen Zweck gedient hatte, war er nie in die heiligen Hallen vorgedrungen, die sich irgendwo dort unten verbergen mussten. Geistesabwesend schlug er mit seiner freien Hand nach einer Spinnwebe, die den halben Gang überspannte und ihm klebrig und staubig über das Gesicht gestreift war.

      Ähnliche Gedanken bewegten wohl auch seinen Begleiter. »Wenn ich daran denke, dass wir den ganzen Weg auch wieder zurückgehen müssen …«, sagte Tosalar und stöhnte.

      Berekh stutzte. Langsam hob er die Hand in das Licht der magischen Flamme und betrachtete sie.

      »So weit werden wir nicht gehen müssen«, murmelte er. Innerlich verfluchte er seine eigene Blindheit. Diese Spinnwebe hatte er jetzt mindestens zum fünften Mal beiseite gewischt.

      »Was soll das heißen?«

      »Wir gehen im Kreis.«

      »Im Kreis? Wir sind an keiner einzigen Abzweigung vorbeigekommen!«

      »So ist es.« Berekh legte seine Finger an die Wand, nur um sie sogleich wieder angeekelt zurückzuziehen. Pure schwarze Magie pulsierte unter dem Stein, formte und verformte ihn.

      »Es ist ein Labyrinth.« Das war keine Schlussfolgerung, die ihn begeisterte.

      Ein magisches Labyrinth war einfach zu durchqueren für jene, die es kannten. Für alle anderen war es ein Hinterhalt, der leicht tödlich enden konnte. Es wiederholte sich ins Unendliche, ohne jemals irgendwo hinzuführen.

      Wer konnte schon ahnen, was im Kopf des Nekromanten vorgegangen war, der dieses Exemplar ersonnen hatte?

      »Na großartig«, kommentierte Tosalar wenig hilfreich. »Also müssen wir den richtigen Schlüssel finden, um es zu deaktivieren?« Er sandte einen Blitzzauber aus, der irgendwo in der Finsternis des Tunnels vor ihnen verschwand und nicht die geringste Wirkung zeigte. »Das war es nicht.«

      »Ich glaube nicht, dass ein Zauber der Schlüssel ist. Das wäre zu gewöhnlich.«

      Der Erzmagier schnaubte. Auch Berekhs finsterer Blick schüchterte ihn nicht ein. »Du beharrst doch auf deinem Ruf als allmächtiger Zauberer. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, es zu beweisen.«

      Berekh brummte unwillig, aber seine Gedanken rasten bereits. Was konnten die Nekromanten als Schlüssel festgelegt haben? Es konnte so gut wie alles sein. Ein Geräusch, eine Handlung, ein Gefühl … Währenddessen hörte Tosalar nicht auf, mit Zaubern um sich zu werfen, und der unentrinnbare Gestank begünstigte auch nicht gerade Berekhs Denkvermögen. Tod, Magie … und Krajas Parfum, das wie


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