Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
uns im Gefecht.« Sie legte den Pulser zurück und aktivierte beide Prallfelder wieder. »Ich werde keinerlei Diskussionen dulden. Lieutenant McCall, setzen Sie sich mit Alpha 365 in Verbindung und informieren Sie ihn über das Geschehen. Bitte verschlüsseln und sichern Sie alle ihre Logbücher. Die Kollision erfolgt in«, sie warf einen Blick auf ihr Display, »sechzehn Minuten. In zehn Minuten werde ich das Kurierboot mit allen aktuellen Logbüchern absetzen.«
Während einige Offiziere sie immer noch entsetzt anstarrten, begannen andere hektisch Eingaben vorzunehmen. Noriko hielt ihre Hände krampfhaft ruhig, obwohl ihr gesamter Körper unter Anspannung stand.
Als die SE-RA noch sechs Minuten entfernt war, leitete sie die Ausschleusung des Kurierbootes ein. Das flinke kleine Schiff würde den anfliegenden Parliden ausweichen, auf direktem Weg zur äußeren Grenze des Systems beschleunigen und schnellstmöglich in den Phasenraum wechseln.
Das war es also gewesen, wurde Noriko klar. Das kurze Leben der HYPERION. Michalew würde vermutlich eine Flasche Champagner öffnen.
»Ma’am, dort drüben passiert etwas«, meldete Lieutenant Kensington.
»Bitte etwas genauer, Lieutenant.«
»Die SE-RA«, Kensington zögerte und berührte dabei mehrere Icons auf ihrer Konsole. »Sie deaktiviert ihre Waffen und Schilde.«
Noriko nahm von ihrer Kommandokonsole aus direkten Zugriff auf die Ortungsdaten. Die Energieanzeige für das rentalianische Schiff sackte in den Keller. Antrieb, Schilde, das Waffensystem – alles deaktivierte sich. »Lieutenant Task, korrigieren Sie unseren Vektor. Bringen Sie uns längsseits zur SE-RA.« Erleichtert atmete sie auf. Das war verdammt knapp gewesen.
»Ma’am«, sagte Lieutenant Kensington. »Die Ortungsverzerrer der SE-RA sind deaktiviert. Ich kann das Schiff problemlos scannen. Die Sensoren finden keine Antimaterie.«
»Können die Rentalianer sie abgeschirmt haben?«
Kensington schüttelte den Kopf. »Nicht in einer Bombe, die obendrein kurz davorsteht, abgeworfen zu werden. Nein. Es sieht eher so aus, als befände sie sich nicht mehr an Bord.«
Noriko wurde eiskalt. »Scannen Sie die Umgebung.«
»Keine Ergebnisse, Ma’am.« Die Lieutenant runzelte die Stirn, sichtlich verärgert darüber, nichts anderes sagen zu können. Plötzlich riss sie entsetzt die Augen auf. »Die Lebenszeichen der Rentalianer verschwinden.«
»Was zum Oni geht dort drüben vor?«, rief Noriko.
»Ich messe die gleiche Strahlung wie im Elnath-System«, sagte Kensington tonlos. »Die Rentalianer sterben. Ich kann keinerlei Lebenszeichen mehr orten. Die meisten Systeme, darunter die Lebenserhaltung, haben sich deaktiviert. Auch die Trägheitskompensatoren sind offline.«
Noriko schloss für einige Sekunden die Augen. Die SE-RA raste noch immer mit 9200 m/s durchs All. Die Rentalianer an Bord waren in dem Augenblick gestorben, in dem die Trägheitskompensatoren sich abschalteten.
»An Bord der SE-RA kommt es zu kleineren Explosionen«, sagte Lieutenant Kensington. Noch während Noriko sich das weitere Vorgehen überlegte, keuchte die Ortungsoffizierin entsetzt auf. »Ich lokalisiere eine Antimaterieexplosion!«
Noriko fixierte die Darstellung der Sonne im Holotank. Doch es war nichts zu sehen. »Lieutenant?«
Kensington veränderte die Darstellung. Der zweite Planet des Systems wurde herangezoomt. »Die Sensorplattformen haben auf dem zweiten Planeten eine Explosion angemessen.«
Noriko starrte gebannt auf die eingehenden Daten. »Lieutenant, orten die Sensoren auch …?«
»Ja, Ma’am«, unterbrach Lieutenant Kensington Noriko und begriff damit, dass sie ebenfalls unter Schock stand, jedoch gleichzeitig zum selben Schluss gekommen war. »Kurz vor der Explosion kam es zu einem starken Anstieg der Sivor-Strahlung im Umkreis des Planeten und ebenso auf der SE-RA.«
Warum hatte sie das nicht in Betracht gezogen? Der Flug zur Sonne war ein Ablenkungsmanöver gewesen. Die SE-RA musste auf ihrem Weg eine Transmitterkapsel abgesetzt haben. Diese Kapseln enthielten jeweils ein Transmittertor und flogen selbstständig zu einem ausgewählten Ziel. Dort angekommen, konnten sie von dem Gegenstück an Bord des rentalianischen Schiffes angesteuert werden. Noch während die HYPERION die SE-RA verfolgt hatte, hatte die Besatzung die Bombe durch das Tor geschickt.
»Ma’am, ich empfehle einen Fluchtkurs«, sagte Lieutenant Kensington. »Die Heimatflotte der Parliden ist auf dem Weg hierher.«
Noriko nickte aus Reflex, obwohl sie gedanklich noch immer mit dem sterbenden Planeten beschäftigt war. Eine bittere Erkenntnis stieg in ihr auf: Sie hatte versagt.
*
»Eine Gefängniswelt?« Jayden war sich nicht sicher, ob Lu die Skepsis in seiner Stimme erkannte?
»Ein Gefängnissystem«, korrigierte Lu. »Nach dem Ende des Großen Krieges versuchten wir, mit den Parliden in diplomatischen Kontakt zu treten, um unsere Gefangenen zurückzubekommen.«
»Lass mich raten«, unterbrach Jayden ihn. »Ihr bekamt keine Antwort.«
Lus Ohren wackelten zustimmend. »Also verlegten wir uns darauf, Informationen einzuholen. Es dauerte vierzig eurer Erdenjahre, bis wir auf dieses System stießen. Die Errichtung der Forschungsstation nahm weitere zwanzig Jahre in Anspruch.«
Jayden warf erneut einen Blick auf den 3D-Monitor. »Und diese ausgedehnten unterirdischen Anlagen …«
»… finden sich auf jeder der vier inneren Welten. Auf dem zweiten Planeten befindet sich eine militärische Basis. Es mag auf den ersten Blick nicht so aussehen, da die Parliden das wahre Ausmaß ihrer Präsenz geheim halten wollen, doch sie sind schwer bewaffnet. Der Einflug der HYPERION in das System blieb zudem nicht unbemerkt. Ein Dutzend Schiffe ist bereits auf dem Weg zu ihrer Position. Vermutlich wird man die Gefängniswelten nun verlegen.«
Jayden spürte Entsetzen bei dem Gedanken, dass die Parliden noch Jahrzehnte nach dem Krieg Gefangene hielten. Waren auch Menschen darunter? Und noch viel wichtiger: Hatten die Rentalianer mit ihrer Vermutung überhaupt recht? Immerhin neigten sie ein wenig zur Paranoia. Nachvollziehbar, nachdem ein Großteil ihrer Sternensysteme vernichtet worden war und nur noch das Hauptsystem – in Form einer waffenstarrenden Festung – überlebt hatte. »Was war euer Plan?«
»Der Oberste Rudelführer hatte beschlossen, ausreichend Beweise zu sammeln, um sie den anderen Völkern vorzulegen. Ein gemeinsamer Schlag gegen dieses System hätte allen Gefangenen die Freiheit gebracht.«
Jayden hatte die Politik der Solaren Union mittlerweile kennengelernt. Selbst mit noch so vielen Beweisen hätten die Parteien des Solaren Rates erst einmal mit Diskussionen begonnen und diplomatische Mittel auszuschöpfen versucht. Während er das in der Regel begrüßte, machte dies bei den Parliden jedoch keinen Sinn. Stattdessen spielte ein solcher Beweis unweigerlich Admiral Michalew in die Hände. Gleichzeitig war genau das aber bedeutungslos. Wenn die Parliden seit Jahrzehnten menschliche Gefangene auf diesen Welten festhielten, mussten diese befreit werden. Doch wie?
»Durch die Attacke ist das alles …«
Die Daten auf dem Monitor änderten sich abrupt. Kurvenverläufe schossen in die Höhe.
»Soeben ist eine Antimateriebombe auf dem zweiten Planeten explodiert«, kommentierte Lu und stieß kurz darauf ein trauriges Jaulen aus. Seine Ohren zitterten. »Die freigesetzte Energie hat alle stationierten Parliden und Bodeneinheiten ausgelöscht. Die Fusionskettenreaktion ist in Gang gesetzt.«
Jayden verfolgte das grausige Geschehen mit einer morbiden Faszination. Die Feuersbrunst fraß sich förmlich in das Innere des Planeten. Bereits ein Viertel der Planetenmasse war erfasst. Die Antimaterie bewirkte eine so heftige Reaktion, dass eine unaufhaltsame Kettenreaktion in Gang gesetzt wurde. Den Brennstoff für diesen Vorgang bildete der Planet selbst.
»Diese Welt wird vernichtet. Aber das haben wir einkalkuliert, als wir aufbrachen.«