Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Elisabeth SwobodaЧитать онлайн книгу.
griff Heidi nach Angis Hand. »Bei uns brauchst du keine Angst zu haben. Hier bist du nie allein.«
Das ist schön, dachte Angi. Sie packte ihr Spielzeug aus, um es Heidi zu zeigen. »Die Puppe hier ist von meiner Mutti. Sie heißt Gitti.«
»Was sie für schöne Haare hat«, staunte Heidi. Andächtig strich sie über die langen blonden Locken.
Schwester Regine betrat das Zimmer. »Schlafenszeit«, verkündete sie. »Jetzt wird das Licht gelöscht. Schnell in die Betten.«
Folgsam kuschelte sich Angi unter die bunt geblümte Bettdecke. »Darf meine Gitti bei mir schlafen?« Sie zeigte Schwester Regine ihre Puppe. »Aber natürlich. Sei nur vorsichtig, dass du sie nicht zerdrückst.«
Angi schüttelte den Kopf. »Ich schlafe immer mit Gitti. Aber ich habe mich noch nie auf sie gelegt.«
*
Am Mittwoch war Jutta ins Krankenhaus eingeliefert worden. Am Freitag hätte sie operiert werden sollen. Doch ihr Zustand war so schlecht, dass der Chefarzt die Operation verschob. »Sie ist einfach zu schwach«, erklärte er dem neuen Stationsarzt, Dr. Jürgen Werner, der erst seit einem halben Monat in dem Krankenhaus arbeitete. »Frau Rauscher ist eine Jugendfreundin von mir«, sagte Dr. Werner zu seinem Chef. »Ich habe sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Deshalb hat mich ihr Zustand besonders erschreckt. Früher war sie immer so lustig, kräftig und lebensfroh. Und jetzt ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst.«
Der Chefarzt nickte. »Das sind die Geschwüre. Die setzen ihr schwer zu. Ich nehme allerdings an, dass es sich hier mehr um ein seelisches als um ein körperliches Leiden handelt.«
»Vermuten Sie, dass Frau Rauscher die Geschwüre aus Kummer oder Ärger bekommen hat?«, fragte Jürgen Werner. Er gab sehr viel auf die Meinung des erfahrenen Chefarztes.
Der nickte. »Ich bin davon überzeugt. Wissen Sie, ob die Patientin in den letzten ein oder zwei Jahren schwere Schicksalsschläge überstehen musste?«
»Sie hat vor einem Jahr ihren Mann verloren«, berichtete Jürgen Werner.
Der Chefarzt nickte. »Bereiten Sie alles für den Montag vor. Wir müssen Frau Rauscher operieren. Trotz ihres schwachen Zustandes.«
Dr. Werner nickte. »Ich werde alles vorbereiten.« Er sagte der Oberschwester Bescheid. Dann ging er zu Jutta, um sie seelisch auf die Operation vorzubereiten.
Die junge Frau war erster Klasse untergebracht. Zwar war das Zimmer nur klein, aber sie lag allein darin.
Als Jürgen Werner leise eintrat und sah, dass sie schlief, wollte er wieder gehen. Doch da öffnete sie die Augen und rief ihn zurück. »Jürgen!«
Er drehte sich um und kam zum Bett. »Ich dachte, du schläfst.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Auch nachts nicht. Immer wieder wache ich auf.«
»Ich werde der Schwester sagen, dass sie dir etwas bringen soll.« Er zog sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich. »Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?«
»Im Moment nicht.« Jutta schaute ihn an.
Ihre Augen sind noch genauso groß und schön wie früher, dachte der Arzt. Nur haben sie damals immer ein wenig schelmisch geblickt. Jetzt sind sie traurig. Er griff nach ihrer Hand. »Wir werden dich am Montag operieren, Jutta.«
Sie zuckte zusammen.
»Keine Angst«, fuhr er schnell fort. »Das ist keine schwierige Operation. In ein paar Wochen kannst du das Krankenhaus wahrscheinlich schon wieder verlassen.«
Sie schaute ihn zweifelnd an. »Meinst du das im Ernst? Oder willst du mich nur trösten?«
»Ich sage dir die Wahrheit, Jutta. Eine Magenoperation ist heutzutage nichts Besonderes. Du wirst hinterher kaum etwas spüren. Und bald wirst du auch wieder zu Kräften kommen. Du musst nur wollen.« Er schaute sie eindringlich an. »Das ist sehr wichtig. Glaube es mir. Alles darfst du verlieren, nur nicht den Mut und die Hoffnung.«
»Du bist ein guter Psychologe«, antwortete sie lächelnd. »Ich frage mich nur, worauf ich noch hoffen soll.«
»Auf eine gesunde Zukunft. Auf eine fröhliche Zukunft mit deiner Tochter«, sagte er eindringlich. »Du kannst doch nicht einfach aufgeben, Jutta.« Sein Blick war ernst und gleichzeitig bittend.
»Du bist ein guter Arzt«, erwiderte sie leise.
Fast unmerklich schüttelte er den Kopf. »Du bist eine Patientin, deren Schicksal mir am Herzen liegt, Jutta. Ich habe den festen Willen, dich wieder ganz gesund zu machen. Aber du musst mir ein bisschen dabei helfen. Versprichst du mir das?«
Sie nickte und lächelte sogar ein bisschen. Das wertete er als ein gutes Zeichen. »Du wirst sehen, in zwei bis drei Monaten bist du wieder eine gesunde und glückliche Frau.«
Gesund vielleicht, dachte sie. Aber glücklich? Glücklich war ich, als mein Mann noch lebte. Mit seinem Tod begannen die Schwierigkeiten.
Jutta merkte kaum, dass Jürgen aufstand und aus dem Zimmer ging. Mit geschlossenen Augen dachte sie nach. Sie kam schließlich zu dem Ergebnis, dass Jürgen recht hatte. Sie durfte nicht aufgeben. Sie musste kämpfen. Für sich und für ihr Kind.
Über diesen Gedanken schlief Jutta ein. Quälende Schmerzen weckten sie nach einer Stunde auf. Sie läutete nach der Schwester und bat um ein schmerzstillendes Mittel. Als sie nach Jürgen fragte, erfuhr sie, dass er das Krankenhaus bereits verlassen hatte.
Bald darauf bekam Jutta ein spärliches Abendessen, das nur aus einer Haferschleimsuppe bestand. Aber nicht einmal diese Suppe konnte sie aufessen.
»Essen Sie doch wenigstens noch ein paar Löffel«, bat die Schwester. »Sonst wird die Operation Ihre letzten Kräfte aufzehren.«
Jutta zwang sich und aß noch zwei Löffel. Dann schob sie den Teller zurück. Die Schmerztablette enthielt gleichzeitig ein Mittel, das einschläferte. Nur so konnte sie die Nacht durchschlafen.
Drei Tage später wurde Jutta operiert. Alles verlief normal. Aber nach der Operation waren ihre letzten Kraftreserven aufgebraucht. Zwei Tage lang wurde sie künstlich ernährt und bekam Bluttransfusionen. Erst danach besserte sich ihr Zustand geringfügig.
Jürgen sorgte sich sehr um sie. Er schaute alle drei bis vier Stunden nach ihr und schärfte den Schwestern ständig ein, ihm jede Veränderung zu berichten.
Die ersten Tage nach der Operation verschlief Jutta. Sie hatte starke Betäubungsmittel bekommen und spürte keine Schmerzen. Erst als Jürgen diese Tabletten absetzte, war sie tagsüber wach und ansprechbar. Aber gleichzeitig begann sie über Schmerzen zu klagen.
Jürgen tröstete sie. »Das ist ganz normal. Nach jeder Operation treten Schmerzen auf. In acht bis zehn Tagen wird das allmählich aufhören.«
Juttas Augen weiteten sich erschrocken. »So lange noch?«
Er griff nach ihren Händen. »Im Moment kommt dir das entsetzlich lange vor. Ich weiß. Aber die Zeit wird schneller vergehen, als du denkst.«
Sie bemühte sich, seinen Worten zu glauben, obwohl das nicht ganz einfach war. Die Tage und Nächte wollten einfach nicht vergehen. Sie hatte manchmal das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben. Besonders dann, wenn die Schmerzen sie Stunde um Stunde quälten.
»Es wird besser werden«, versicherte Jürgen immer wieder. »Mit jedem Tag ein kleines bisschen.«
Jutta spürte seinen vertrauten Blick und den Druck seiner Hände. Sie nickte. »Ja, Jürgen. Ich bin so froh, dass du hier bist. Das hilft mir sehr.«
*
Der sechsunddreißigjährige Arzt war noch Junggeselle und der Schwarm aller ledigen Schwestern. Denn Jürgen Werner sah gut aus. Aber fast noch anziehender wirkte seine charmante und liebenswürdige Art. »Er hätte nicht Arzt, sondern Diplomat werden sollen«, sagte sein Vorgesetzter über ihn. »Überall findet er ein verbindliches Wort. Nie fällt er aus der Rolle.«