Der Archipel in Flammen. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
mit jenen bescheidenen Küstenfahrern, welche während einer schwierigen Fahrt meist einen Rosenkranz mit großen Kugeln, wie sie in den Meeren des Archipels gebräuchlich sind, hin und her gleiten lassen. Nein, dieser hier begnügte sich, mit tiefer und ruhiger Stimme dem auf dem Hinterteil des Decks befindlichen Steuermann nur seine Anweisungen zu erteilen.
Da erlosch plötzlich die Laterne am felsigen Strande. Doch auch das störte die Sacoleve nicht, welche unbeirrt ihren Weg fortsetzte. Einen Augenblick hätte man vielleicht glauben können, dass sie bei einer Wendung einen gefährlichen Felsen anlaufen könne, der ziemlich bis zur Wasserfläche, eine Kabellänge vom eigentlichen Hafen, hinaufragte und den in der Dunkelheit unmöglich jemand sehen konnte. Eine leichte Wendung des Steuers genügte aber, die Richtung des Schiffes zu ändern, das zwar ganz nahe an diesem Riffe vorüberstreifte, dasselbe aber nicht im Geringsten berührte.
Dieselbe Gewandtheit entwickelte der Steuermann, als es notwendig wurde, eine zweite Untiefe zu passieren, welche nur eine ganz beschränkte Fahrstraße im Kanal übrig ließ – eine Untiefe, auf der schon manches Schiff festgefahren war, ob dessen Lotse nun ein Komplize der Vityliner war oder nicht.
Letztere hatten nun keine Aussicht mehr, auf einen Schiffbruch zu rechnen, der ihnen die Sacoleve fast wehrlos überliefert hätte. Binnen wenigen Minuten musste diese im Hafen verankert liegen. Um sich ihrer zu bemächtigen, galt es nun Gewalt zu gebrauchen.
Das wurde denn auch nach einer kurzen Verhandlung unter den Schurken von diesen beschlossen und sollte bei der eben herrschenden und einem solchen Unternehmen besonders günstigen Dunkelheit sofort ins Werk gesetzt werden.
»In die Boote!« rief der alte Gozzo, dessen Befehl ohne Widerspruch Geltung hatte, vorzüglich wenn es sich um eine Plünderung handelte.
Etwa dreißig kräftige Männer, von denen die einen mit Pistolen bewaffnet waren, die anderen Dolche oder Äxte schwangen, warfen sich in die am Quai befestigten Boote und ruderten, offenbar an Zahl der Besatzung der Sacoleve überlegen, auf diese zu.
Da ertönte an Bord der letzteren ein kurzes Kommando. Die Sacoleve, welche jetzt über den Kanal herausgekommen war, befand sich inmitten des Hafens. Ihre Hisstaue wurden gelöst, der Anker rasselte in den Grund, und sie lag, nach einem kurzen Stoß infolge der Anspannung der Ankerkette, unbeweglich.
Die Boote befanden sich nur noch wenige Faden von derselben entfernt. Ohne besonderes Misstrauen zu zeigen, hatte sich doch die ganze Besatzung, wohl bekannt mit dem üblen Ruf der Bewohner von Vitylo, ausreichend bewaffnet, um gegebenenfalls zur Verteidigung bereit zu sein.
Vorläufig geschah aber nichts. Der Kapitän der Sacoleve war, nachdem das Schiff fest lag, mehrmals auf dem Deck hin und zurück gegangen, während seine Leute, ohne sich besonders um die Annäherung jener Boote zu bekümmern, ruhig fortfuhren, die Segel in Ordnung zu bringen und das Verdeck frei zu machen.
Indes hätte man doch beobachten können, dass sie diese Segel nicht einbanden, sondern sie so weit frei ließen, um sofort wieder auslaufen zu können.
Das erste Boot legte neben dem Backbord der Sacoleve an. Die anderen drängten sogleich nach. Und da die Seitenwände des Fahrzeugs nur niedrig waren, brauchten die Angreifer, welche jetzt ein wütendes Geschrei ausstießen, sich nur in die Höhe zu schwingen, um sich auf dessen Verdeck zu befinden.
Die Verwegensten derselben eilten nach dem Hinterteil. Einer derselben ergriff eine brennende Stocklaterne und hielt sie dem Kapitän vor das Gesicht.
Da ließ dieser durch eine schnelle Handbewegung die Kapuze herabsinken, sodass sein Gesicht in vollem Licht erschien.
»Eh«, sagte er, »die Leute von Vitylo erkennen nicht einmal ihren Landsmann Nicolas Starkos?«
Bei diesen Worten kreuzte der Kapitän gelassen die Arme. Kurze Zeit darauf stießen die Boote eiligst wieder ab und zogen sich nach dem Hintergrund des Hafens zurück.
1 Die äußere Erscheinung von Lebewesen, insbesondere des Menschen und hier speziell die für einen Menschen charakteristischen Gesichtszüge. <<<
2 Kap Tenaro (auch: Kap Matapan) ist die Südspitze der Halbinsel Mani auf dem griechischen Peloponnes. <<<
3 Als Barbareskenstaaten wurden vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert die Staaten in der als Barbarei bezeichneten Region, namentlich das Sultanat Marokko und die osmanischen Regentschaften Algier, Tunis und Tripolis, bezeichnet. (Wikipedia) <<<
4 Die Takelage eines Schiffes umfasst alles für die Bemastung sowie die Besegelung erforderliche Tauwerk nebst Befestigungen. <<<
5 Mole <<<
6 (Meist) zweitgrößtes Segel eines Mastes <<<
Zweites Kapitel – Auge in Auge
Zehn Minuten später verließ ein leichtes Boot, eine Gig, die Sacoleve und führte nach dem Fuß des Molos ohne jede Begleitung und ohne Waffen den Mann, vor dem die Vityliner so schnell den Rückzug angetreten hatten.
Es war der Kapitän der »Karysta« – so nannte sich das kleine Fahrzeug, welches eben im Hafen vor Anker gegangen war.
Unter der dicken Seemannsmütze zeigte dieser nur mittelgroße Mann eine hohe stolze Stirn und in den grausamen Augen einen höchst entschlossenen Blick. Über seine Oberlippe lief der Klephte-Schnurrbart waagerecht nicht in Spitzen, sondern in starken Haarbüscheln aus. Seine Brust war breit, seine Glieder muskulös. In Locken fielen ihm die schwarzen Haare auf die Schultern. Wenn er fünfunddreißig Jahre überschritten hatte, konnte das nur um wenige Monate sein. Aber sein durch Sonne und Wind gebräunter Teint, die Härte seiner Züge und eine Falte auf der Stirn, die wie eine Furche vertieft erschien, in der kein guter Samen keimen konnte,