Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Sie! Und genauso wenig bin ich ein verantwortungsloser Arzt, der seinen Patienten aus Profitgier, Ehrgeiz oder was auch immer ungeeignete Medikamente verabreicht.« Er stand auf zum Zeichen, dass das Gespräch an dieser Stelle für ihn beendet war. »Fragen Sie lieber mal den Kollegen Lammers. Er war es, der mir diese fragwürdige Therapie vorgeschlagen hat.«
Mit diesen Worten drehte sich Daniel um und ging zur Tür. Dieter Fuchs starrte ihm mit offenem Mund nach.
»Aber … aber … «, stammelte er.
Die Hand auf der Klinke, drehte sich Daniel noch einmal um.
»Um Ihre Neugier zu befriedigen: Es ist richtig, dass ich mit diesem Institut telefoniert habe. Ich habe mich bei einem Kollegen, den ich noch aus Studienzeiten kenne, über den Stand der Forschungen informiert. Im Übrigen hat Dr. Lorentz Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe von Eltern anaphylaktischer Kinder. Um das Leid ihrer Kinder zu lindern, gehen sie jeden möglichen Weg. Unter anderem auch den der Homöopathie. Auch die traditionelle chinesische Medizin erzielt beachtliche Erfolge in der Linderung der Symptome dieser Erkrankung. Darüber habe ich mich mehrmals ausführlich mit meinem Kollegen unterhalten.«
Wie erschlagen saß Dieter Fuchs im Sessel und hörte zu.
»Und was ist mit der Sendung aus dem Labor?«, fragte er tonlos.
Daniel lachte.
»Sieh mal einer an. Sogar das hat Lammers bemerkt.« Unvermittelt wurde er wieder ernst. »In dem Umschlag war ein homöopathisches Präparat, das mir Dr. Lorentz nach enger Abstimmung geschickt hat. Das war das Mittel, das ich Niklas Kronseder verabreicht habe.«
»Homöopathie?«, schnaubte der Verwaltungschef verächtlich. »Sie glauben an diesen Hokuspokus?«
»Selbst wenn eine Wirkung wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden kann, ist die Reaktion bei Kindern häufig sehr beeindruckend.« Daniel dachte nicht daran, sich aus dem Konzept bringen zu lassen. »Ich halte mich an die Devise: Was heilt, hat recht. Und dass es Niklas besser ging, ist unbestritten. Deshalb werde ich die Therapie auch nach seinem Einbruch fortsetzen.« Er drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. »Sie ist übrigens völlig nebenwirkungsfrei. Und ich bin optimistisch, dass wir Niklas damit und mit ein paar anderen Maßnahmen auf einen guten Weg bringen werden.« Damit war alles gesagt, was es zu diesem Thema zu sagen gab. »Einen schönen Tag noch«, wünschte Daniel Norden, ehe er das Büro endgültig verließ und sich beschwingt auf den Weg in die Pädiatrie machte.
*
In dieser Nacht hatte Leonie Jürgens kaum geschlafen. Die aufregenden Ereignisse des vergangenen Tages hatten sie wach gehalten.
»Wie kann ich Caspar nur davon überzeugen, dass er sich in eine fixe Idee verrannt hat?«, murmelte sie, als das erste Licht des Tages ins Zimmer kroch. Doch so viel sie auch hin und her überlegte, so wenig fiel ihr eine Lösung ein. Schließlich schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf.
Im Frühstücksrestaurant hatte das Personal eben erst die Lichter eingeschaltet. Der Duft frischgebackener Brötchen lag in der Luft. Irgendwo spielte ein Radio. Geschäftige Angestellte eilten auf lautlosen Sohlen hin und her, um das reichhaltige Buffet aufzubauen.
»Lasst euch von mir nicht stören«, bat Leonie und schenkte sich einen Kaffee aus der Maschine ein. Die Düsen zischten und brodelten noch, als ihr Mobiltelefon klingelte. Moritz’ Name leuchtete auf dem Display auf. Augenblicklich begann Leonies Herz zu rasen.
»Hallo!« Unsicher, wie sie war, wahrte sie vorsichtshalber die Distanz.
Und auch Moritz wirkte völlig verändert.
»Guten Morgen, Leonie. Kann ich dich kurz sprechen?« Offenbar hatte er beschlossen, sich nicht mit Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten.
Eine eiskalte Hand griff nach Leonies Herz. Sie wollte antworten, doch der Frosch in ihrem Hals ließ nur ein Krächzen zu. Sie räusperte sich.
»Um was geht es?«, fragte sie ebenso reserviert zurück.
»Das würde ich gern persönlich mit dir besprechen. Ich warte im Wagen auf dich.«
Unwillkürlich flog Leonies Blick durch die großen Scheiben und hinaus auf die Straße. Tatsächlich stand eine schwarze Limousine am Straßenrand. Wer darin saß, konnte sie nicht erkennen.
»Also gut. Ich bin in zwei Minuten bei dir.« Leonie stellte den Kaffee beiseite und verließ das Restaurant. Sie musste sich zwingen, langsam zu gehen. Was mochte das alles bedeuten?
»Was hast du mir zu sagen?«, fragte sie, als sie wenig später neben Moritz im Wagen saß. Sie hatten sich weder geküsst noch andere Zärtlichkeiten ausgetauscht. Es war, als träfen sich zwei Geschäftsleute zu einer Besprechung. Leonie musterte Moritz ungeniert. Mit einer gewissen Genugtuung stellte sie fest, dass auch er eine schlaflose Nacht gehabt haben musste.
»Caspar wird uns auseinanderbringen«, teilte er endlich die Gedanken mit ihr, die ihm schon die ganze Nacht durch den Kopf gingen.
Leonie starrte ihn mit großen Augen an.
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ich habe mir vorgestellt, wie meine Tochter damals in so einer Situation reagiert hätte. Deshalb ist mir halbwegs klar, dass Caspar dich vor die Wahl stellen wird. Entweder er oder ich.« Er machte eine Pause und fixierte Leonie. »Und? Wie wirst du dich entscheiden?«
Leonie biss sich auf die Lippe. Sie wandte sich ab und starrte aus der Seitenscheibe.
Moritz lachte leise und unglücklich.
»Siehst du. Du sagst nichts.« Sie spürte, wie er seine Hand sehr sanft auf die ihre legte. »Keine Angst. Ich bin dir nicht böse. Es ist die natürlichste Entscheidung der Welt.«
In diesem Moment fuhr Leonie zu Moritz herum und funkelte ihn mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wut an.
»Hörst du dir eigentlich zu? Du sprichst wie eine Frau! Es ist unser Privileg, immer alles schwarz-weiß zu sehen! Caspar wird zur Vernunft kommen.«
In ihrem Zorn war sie noch verführerischer als ohnehin schon. Es kostete Moritz alle Selbstbeherrschung, sie nicht an sich zu reißen und festzuhalten. Doch die Vernunft war stärker. Langsam schüttelte er den Kopf.
»Du kennst seinen Dickkopf so gut wie ich. Außerdem ist er dein einziger Sohn, deine Familie. Du würdest niemals etwas tun, was ihn verletzen würde. Auch wenn du selbst auf dein Glück verzichten müsstest.« Nie zuvor war sein Herz schwerer gewesen als in diesem Moment. Er ertrug ihren Anblick nicht länger und senkte den Kopf. »Ich denke, es ist besser, wenn wir uns nicht wiedersehen. Es … Es hat keinen Sinn.«
Diesen Satz hörte Leonie nicht zum ersten Mal. Immer wieder hatten sich Männer verabschiedet, weil sie es nicht ertrugen, die zweite Geige in ihrem erfolgreichen Leben als Geschäftsfrau zu spielen. Mit Moritz wäre das anders gewesen, das wusste sie genau.
Zum Glück funktionierte ihr Selbstschutzmechanismus ausgezeichnet. Innerlich erstarrte sie zu Eis. Doch nach außen hin trug sie ein reserviertes Lächeln zu Schau.
»Du hast deine Entscheidung getroffen. Ich wünsche dir alles Gute, Moritz.« Sie nickte ihm huldvoll zu und stieg aus.
Moritz sah Leonie nach, wie sie mit selbstsicheren Schritten davon ging. Für ihre Haltung bewunderte er sie grenzenlos, hatte er doch tiefer geblickt, auf den Grund ihrer Seele. Als sie in ihrem Hotel verschwunden war, schlug er wütend mit der Hand auf das Lenkrad. Die Versuchung war groß, in die Klinik zu fahren und Caspar den Kopf zu waschen, wie er es als väterlicher Freund schon öfter getan hatte. Doch diesmal lagen die Dinge anders.
*
»Schade, dass wir nicht mehr im Mittelalter leben«, bemerkte Fee düster, nachdem ihr Mann ihr vom krönenden Abschluss der Geschichte – dem Gespräch mit Dieter Fuchs – erzählt hatte. Den ersten Teil hatte sie bereits am vergangenen Abend gehört. »Dann könnten wir diesen Verräter Lammers mitten in der Eingangshalle an den Pranger stellen. Die Klinikküche würde bestimmt verfaultes Obst und Gemüse kostenlos