Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
»Ein Bier wäre nicht schlecht«, sagte sie laut zu ihm.
Lachend reckte Kai den Daumen in die Luft.
»Ganz meine Tochter!«
*
Es war Abend geworden. Viola lag im Klinikbett und starrte durch das Fenster hinaus ins schwindende Licht des Tages. Die Sonne hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben und ein wahres Spektakel an Farben auf den Himmel gezaubert. Doch sie hatte keine Augen für die Pracht. Sie war so versunken in ihre eigene Gedankenwelt, dass sie noch nicht einmal das Klopfen an der Tür hörte. Erst als Daniel Norden eintrat, drehte sie den Kopf.
»Ich hoffe, ich störe nicht.« Lächelnd kam er ans Bett. »Wie fühlst du dich?«
»Willst du wirklich eine Antwort auf diese Frage?« Scharf schnitt ihre Stimme durch die Luft.
Daniel Norden sah sie erstaunt an, fragte aber nicht nach dem Grund für ihren Tonfall.
»Das liegt ganz bei dir«, versicherte er. »Wenn es dir lieber ist, können wir zuerst noch ein paar Dinge wegen der OP morgen besprechen.« Er öffnete die Mappe, die er mitgebracht hatte. »Ablauf, Risiken, solche Dinge.«
»Die Mühe kannst du dir sparen.« Viola fühlte sich verraten und verkauft und schleuderte ihm all ihre Verachtung entgegen. »Du hast schon genug angerichtet, als du Svenja gegen mich aufgewiegelt hast.«
Daniel klappte die Mappe wieder zu und sah seine Jugendfreundin an.
Daher wehte also der Wind!
»Ich habe ihr lediglich meine Meinung zu dem Thema gesagt. Das wird ja wohl noch erlaubt sein.«
»Du und deine Frau, ihr seid mir in den Rücken gefallen!«
»Wir sind keine Märchenerzähler, das ist alles.«
Violas Augen sprühten Funken vor Zorn.
»Tu doch nicht so, als ob du allen Patienten immer gleich die ganze Wahrheit auf die Nase binden würdest!«
»Wenn ich der Ansicht bin, dass sie sie verkraften, dann ist das sehr wohl so«, verteidigte Daniel sein Tun und Handeln.
Seine Überzeugung war bestechend und brachte Viola kurz aus dem Konzept.
»Hältst du Svenja wirklich für so stark?«
»Ja, das tue ich. Felicitas im Übrigen auch. Sonst hätte sie sich nicht für die Wahrheit entschieden.« Daniel trat an Violas Seite und wollte nach ihrer Hand greifen. Blitzschnell zog sie sie weg. Er seufzte. »Wir wollen doch beide nur das Beste für euch.«
»Ihr sorgt dafür, dass ich in einem völlig falschen Licht dastehe«, kritisierte Viola ihren Jugendfreund scharf. »Die überfürsorgliche Glucke, die ihrem Kind die Luft zum Atmen nimmt. So seht ihr mich doch.«
Bedauernd schüttelte Daniel den Kopf.
»Ich bilde mir kein Urteil. Ich sehe nur, dass es Gesprächsbedarf zwischen euch gibt.«
Nervös zupfte Viola mit den Zähnen an der Unterlippe.
»Ich habe Svenja gesagt, wer ihr Vater ist. Und ich weiß schon jetzt, dass das ein Fehler war.«
Ob dieser Neuigkeit stahl sich ein Lächeln auf Daniels Gesicht.
»Genau das glaube ich nicht. Du hast die richtige Entscheidung getroffen«, erklärte er mit Nachdruck. »Ich bin stolz auf dich.«
Viola dagegen hielt es nicht länger aus. Ruckartig fuhr sie hoch und starrte ihn an.
»Meine Güte, du bist doch selbst Vater! Wie kannst du da nur so unempathisch sein? Wieso verstehst du nicht, dass ich Angst um meine Tochter habe?« Und etwas leiser fügte sie hinzu: »Ich weiß doch gar nicht, was zwischen den beiden passiert.«
»Das klingt ja ganz so, als ob du Angst davor hast, dass Kai der große böse Wolf ist, der das kleine wehrlose Rotkäppchen Svenja auffrisst.«
»Rotkäppchen war nicht wehrlos«, entfuhr es Viola.
Erst als Daniel wissend lächelte, wurde ihr bewusst, was sie da gesagt hatte.
»Eben«, gab er ihr recht. »Svenja ist alles andere als wehrlos. Und du warst diejenige, die ihr das Werkzeug mitgegeben hat, das sie braucht, um in dieser Welt bestehen zu können.« Seine Stimme war warm und voller Freundschaft. »Warum hast du nicht mehr Vertrauen in deine Tochter? Warum hast du nicht mehr Vertrauen in dich? In deine Erziehung?«
Diese Frage war berechtig. Violas Ärger verpuffte wie Luft aus einem Ballon. Beschämt senkte sie den Blick.
»Ich weiß es nicht«, gestand sie leise.
Diesmal wehrte sie sich nicht, als Daniel seine Hand auf die ihre legte. Ihre Wärme spendete den Trost, den sie so dringend brauchte.
*
Am Ende dieses anstrengenden Abends saßen Daniel und Felicitas nebeneinander auf dem Sofa. Jeder hatte ein Buch vor der Nase. Während Fee in einem Reiseführer las, arbeitete Daniel noch einmal Fachliteratur für den bevorstehenden Eingriff am nächsten Morgen durch. Er war so vertieft in die Lektüre, dass er nicht bemerkte, wie seine Frau das Buch weglegte und sich zu ihm umdrehte. Minutenlang sah sie ihm dabei zu, wie er sich Randnotizen machte.
»Ist das nicht furchtbar langweilig?«, fragte er unvermittelt.
Felicitas zuckte zusammen.
»Was denn?«
»Na, mir beim Arbeiten zuzuschauen«, fragte Daniel. Gleichzeitig unterstrich er einen bemerkenswerten Satz in seinem Fachbuch.
Fee lächelte.
»Ganz im Gegenteil. In der Klinik kann ich dich ja schlecht anschmachten. Dann muss ich das eben jetzt tun.«
Daniel sah kurz zu ihr hinüber. Seine Miene verriet, dass er ihr nur mit halbem Ohr zuhörte. Im nächsten Moment konzentrierte er sich wieder auf seine Unterlagen.
»Und warum schmachtest du mich an?«, fragte er beiläufig.
Das Lächeln auf Fees Gesicht wurde tiefer. Sie rutschte ein Stück näher.
»Weil ich dich zum Anbeißen finde.«
Daniel ließ das Buch sinken und sah sie überrascht an.
»Bin ich nicht alt und faltig?«, fragte er nicht ganz ernst.
Fee lachte leise.
»Du weißt doch, wie ungerecht das ist. Frauen werden alt, Männer dafür immer attraktiver.«
Nachdenklich wiegte Daniel den Kopf.
»Ich finde das eigentlich gar nicht so ungerecht. Vor allen Dingen deshalb, weil du für mich alterslos schön bist.«
»So poetische Worte wären früher nie über deine Lippen gekommen.«
Wieder hielt Daniel in seiner Arbeit inne und dachte kurz nach.
»Früher musste ich dich ja auch nicht mit Worten beeindrucken. Da wolltest du einen starken, gesunden Mann mit gutem genetischen Material für deine zukünftigen Kinder«, deklamierte er mit erhobenem Zeigefinger. »Heute haben sich die Prioritäten verschoben. Heute sind Attribute wie Bildung, geistige Reife und Intelligenz wichtiger.« Er hauchte ihr einen Kuss auf den Mund, ehe er sich wieder über das Buch beugte.
Nur mit Mühe konnte sich Fee ein Lachen verkneifen.
»Denkst du das wirklich?«
»Das ist wissenschaftlich bewiesen«, murmelte Daniel abwesend.
»Tatsächlich?« Sie rutschte noch näher zu ihm hinüber. Sie legte ihre Hand in seinen Nacken, zog Daniel zu sich und küsste seinen Hals. »Ein Glück, dass ich endlich eine wissenschaftliche Erklärung dafür habe, warum ich dich immer noch so unverschämt anziehend finde, mein intelligenter, gebildeter, reifer Mann«, raunte sie zwischen vielen kleinen Küssen.
Derart abgelenkt von der Arbeit, klappte Daniel das Buch endgültig zu und