Die Propeller-Insel. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
bestimmt, die in immerwährendem Grün prangen, während die intensiv ausgebeuteten Felder Gemüse und Früchte liefern und künstliche Wiesen einigen Viehherden als Weideplätze dienen. Hier bedient man sich eifrig der Elektrokultur, d.h. der Mitwirkung permanenter elektrischer Ströme, die das Wachstum der Pflanzen überraschend befördern und Gemüse von kaum glaublicher Größe hervorbringen helfen. So züchtet man z.B. hier Radieschen von fünfundvierzig Zentimeter Länge und erntet Mohrrüben von drei Kilo Gewicht. Die Zier- und Küchengärten, sowie die Obstanlangen können mit den schönsten in Virginien und Louisiana wetteifern. Kein Wunder: auf der Insel, die mit Recht das »Juwel des Stillen Ozeans« genannt wird, spart man keine Kosten, um alles in vollendetster Weise durchzuführen.
Ihre Hauptstadt Milliard City nimmt ungefähr ein Fünftel der Oberfläche ein, bedeckt also gegen fünf Quadratkilometer oder fünfhundert Hektar, bei einem Umfange von neun Kilometern. Unsere Leser, die ja Sébastien Zorn und seine Kameraden auf deren Spaziergange begleitet haben, kennen sie schon so weit, dass sie sich darin schwerlich verirren würden. Übrigens verirrt man sich überhaupt nicht in amerikanischen Städten, wenigstens nicht, wenn sie gleichzeitig das Glück und das Unglück haben, neueren Ursprungs zu sein – das Glück, wegen der Vereinfachung des Verkehrs und das Unglück wegen ihres vollständigen Mangels an künstlerischer Bedeutung. Wir wissen, dass Milliard City ein Oval bildet, das durch eine zentrale Verkehrsader, die First Avenue, die etwas über drei Kilometer lang ist, in zwei Hälften geteilt wird. Das an dem einen Ende derselben aufragende Observatorium hat am anderen als Pendant das großartige Stadt- oder Rathaus. In diesem finden sich die Amtsräume für die Behörden, für Wasser- und Wegebau, für Anpflanzungen und Promenaden, für die städtische Polizei, den Zoll, die Markthallen, für Beerdigungswesen, Hospize, die verschiedenen Schulen, sowie für die Kirchensachen und die Künste in bequemster Weise vereinigt.
Und wie stark ist die Bevölkerung auf diesem künstlichen Stückchen Erde von achtzehn Kilometer Umfang?
Die Erde zählt den derzeitigen Angaben nach zwölf Städte – vier davon in China – mit mehr als einer Million Einwohner. Die Schraubeninsel hat deren nur gegen zehntausend – lauter Eingeborene der Vereinigten Staaten. Man wollte es vermeiden, dass jemals internationale Streitigkeiten unter den Bürgern aufloderten, die auf diesem Werke neuester Art Ruhe und Erholung suchten. War es doch schon genug, wenn nicht zu viel, dass sie in religiöser Beziehung nicht zu einem und demselben Banner hielten. Es wäre aber zu schwierig gewesen, nur den Yankees aus dem Norden, den Backbordbewohnern von Standard Island, oder umgekehrt den Amerikanern aus dem Süden, den Steuerbordbewohnern, das Recht vorzubehalten, sich auf dieser Insel häuslich niederzulassen. Darunter hätten die Interessen der Standard Island Company gar zu empfindlich gelitten.
Nach Fertigstellung des metallenen Unterbaues und Herrichtung des für die Stadt reservierten Teiles zur Bebauung, nach der Annahme des Planes für die Straßen und Avenues, beginnen die Baulichkeiten aus dem Boden zu wachsen. Hier erheben sich Prachtgebäude oder einfache Wohnstätten, dort für den Detailhandel bestimmte Häuser, öffentliche Bauwerke, Kirchen und Tempel, nirgends aber jene Wohnhäuser mit siebenundzwanzig Stockwerken, jene hässlichen »Skyscrapers«, d.h. »Wolkenkratzer«, wie man sie in Chicago findet. Das verwendete Baumaterial ist gleichzeitig leicht und widerstandsfähig. Das nicht oxydierbare Metall, das in den Konstruktionen vorherrscht, ist das Aluminium, das fast siebenmal so leicht ist wie Eisen von gleichem Volumen – das Metall der Zukunft, wie es schon Sainte-Claire Deville genannt hat – und das allen Anforderungen an ein solides Bauwerk entspricht. Mit dem Metall verband man künstlichen Stein, Zementwürfel, die sich bequem anpassten. Man verwendete auch gläserne, hohlgeblasene Werkstücke, die also wie Flaschen hergestellt waren, und vereinigte sie durch ganz dünne Mörtelschichten – durchsichtige Bausteine, mit denen das Ideal, ein Haus aus Glas, zu erreichen wäre. In der Hauptsache herrschte aber doch die metallene Armatur vor, wie man sie heutigentags in den Erzeugnissen der Schiffsbaukunst findet. Standard Island ist ja schließlich nichts anderes als ein ungeheuer vergrößerter Schiffskörper.
Das Ganze ist Eigentum der Standard Island Company. Alle Bewohner der künstlichen Insel sind, wie groß auch ihr Vermögen sei, nur Abmieter. Übrigens wurde bezüglich des Komforts und der Zweckmäßigkeit hier alles vorgesehen, was die unglaublich reichen Amerikaner nur erwarten konnten, diese Leute, neben denen die Souveräne Europas und die Nabobs Indiens nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Wenn statistisch nachgewiesen ist, dass der Goldvorrat der Erde achtzehn Milliarden und der Silbervorrat zwanzig Milliarden beträgt, so besitzen die Bewohner dieses Juwels des Stillen Weltmeers davon in der Tat einen recht beträchtlichen Teil.
Von Anfang an hat sich das ganze Unternehmen übrigens finanziell vorzüglich gestaltet. Einzelhäuser und Wohnungen wurden zu gradezu fabelhaften Preisen vermietet, sodass solche zuweilen mehrere Millionen übersteigen, denn nicht so wenige Familien waren in der beneidenswerten Lage, derartige Summen alljährlich nur für ihr Unterkommen anzulegen. Die Company erzielte damit schon aus dieser einen Quelle einen Überschuss. Hiernach wird jedermann zugestehen, dass die Hauptstadt von Standard Island den ihr beigelegten Namen mit Recht verdiente.
Von jenen überreichen Familien abgesehen, gibt es hier mehrere hundert andere, deren Mietzins hundert- bis zweihunderttausend Francs beträgt und die sich mit solchen bescheidenen Verhältnissen begnügen. Die noch übrige Einwohnerschaft umfasst dann Lehrer jedes Faches, Lieferanten, Angestellte, Dienstboten und Fremde, deren Zufluss nur gering ist und denen nicht gestattet wird, sich in Milliard City oder sonstwo auf der Insel anzusiedeln. Von Advokaten gibt es nur wenige, wodurch auch Prozesse nur selten sind; Ärzte noch weniger, wodurch die Sterblichkeit auf eine lächerlich tiefe Stufe herabsinkt. Jeder Bewohner kennt übrigens sehr genau seine Konstitution, seine am Dynamometer gemessene Muskelkraft, seine mittels Spirometer festgestellte Lungenkapazität (Atmungsgröße), die am Sphygmometer beobachtete Zusammenziehungsfähigkeit seines Herzens und endlich seine am Magnetometer ablesbare allgemeine Lebenskraft. In der Stadt gibt es übrigens weder