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Radetzkymarsch. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Radetzkymarsch - Йозеф Рот


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bedeutend leichter gefallen. «Was für ein Mißbrauch?» fragte der Jurist. «Ich habe nie bei der Kavallerie gedient», glaubte Hauptmann Trotta am besten anfangen zu müssen, obwohl er selbst einsah, daß man ihn so nicht begreifen konnte. «Und da schreiben diese schamlosen Schreiber in den Kinderbüchern, daß ich auf einem Fuchs, einem schweißbedeckten Fuchs, schreiben sie, herangesprengt bin, um den Monarchen zu retten, schreiben sie.» — Der Notar verstand. Er selbst kannte das Lesestück aus den Büchern seiner Söhne. «Sie überschätzen das, Herr Hauptmann», sagte er. «Bedenken Sie, es ist für Kinder!» Trotta sah ihn erschrocken an. In diesem Augenblick schien es ihm, daß sich die ganze Welt gegen ihn verbündet hatte: die Schreiber der Lesebücher, der Notar, seine Frau, sein Sohn, der Hauslehrer. «Alle historischen Taten», sagte der Notar, «werden für den Schulgebrauch anders dargestellt. Es ist auch so richtig, meiner Meinung nach. Die Kinder brauchen Beispiele, die sie begreifen, die sich ihnen einprägen. Die richtige Wahrheit erfahren sie dann später!» — «Zahlen!» rief der Hauptmann und erhob sich. Er ging in die Kaserne, überraschte den diensthabenden Offizier, Leutnant Amerling, mit einem Fräulein in der Schreibstube des Rechnungsunteroffiziers, visitierte selbst die Wachen, ließ den Feldwebel holen, bestellte den Unteroffizier vom Dienst zum Rapport, ließ die Kompagnie antreten und befahl Gewehrübungen im Hof. Man gehorchte verworren und zitternd. In jedem Zug fehlten ein paar Mann, sie waren unauffindbar. Hauptmann Trotta befahl die Namen zu verlesen. «Abwesende morgen zum Rapport!» sagte er zum Leutnant. Mit keuchendem Atem machte die Mannschaft Gewehrübungen. Es klapperten die Ladestöcke, es flogen die Riemen, die heißen Hände schlugen klatschend auf die kühlen, metallenen Läufe, die mächtigen Kolben stampften auf den dumpfen, weichen Boden. «Laden!» kommandierte der Hauptmann. Die Luft zitterte von dem hohlen Geknatter der blinden Patronen. «Eine halbe Stunde Salutierübungen!» kommandierte der Hauptmann. Nach zehn Minuten änderte er den Befehl. «Kniet nieder zum Gebet!» Beruhigt lauschte er dem dumpfen Aufprall der harten Knie auf Erde, Schotter und Sand. Noch war er Hauptmann, Herr seiner Kompagnie. Diesen Schreibern wird er’s schon zeigen.

      Er ging heute nicht ins Kasino, er aß nicht einmal, er legte sich schlafen. Er schlief traumlos und schwer. Den nächsten Morgen beim Offiziersrapport brachte er knapp und klingend seine Beschwerde vor den Obersten. Sie wurde weitergeleitet. Und nun begann das Martyrium des Hauptmanns Joseph Trotta, Ritter von Sipolje, des Ritters der Wahrheit. Es dauerte Wochen, bis vom Kriegsministerium die Antwort kam, daß die Beschwerde an das Kultus- und Unterrichtsministerium weitergegeben sei. Und abermals vergingen Wochen, bis eines Tages die Antwort des Ministers einlief. Sie lautete:

      «Euer Hochwohlgeboren,

      sehr geehrter Herr Hauptmann!

      In Erwiderung auf Euer Hochwohlgeboren Beschwerde, betreffend Lesebuchstück Nummer fünfzehn der autorisierten Lesebücher für österreichische Volks- und Bürgerschulen nach dem Gesetz vom 21. Juli 1864, verfaßt und herausgegeben von den Professoren Weidner und Srdeny, erlaubt sich der Herr Unterrichtsminister respektabelst, Euer Hochwohlgeboren Aufmerksamkeit auf den Umstand zu lenken, daß die Lesebuchstücke von historischer Bedeutung, insbesondere diejenigen, die Seine Majestät, den Kaiser Franz Joseph höchst persönlich, sowie auch andere Mitglieder des Allerhöchsten Herrscherhauses betreffen, laut Erlaß vom 21. März 1840, dem Fassungsvermögen der Schüler angepaßt und bestmöglichen pädagogischen Zwecken entsprechend gehalten sein sollen. Besagtes, in Euer Hochwohlgeboren Beschwerde erwähntes Lesestück Nummer fünfzehn hat Seiner Exzellenz dem Herrn Kultusminister persönlich vorgelegen und ist dasselbe von ihm zum Schulgebrauch autorisiert worden. In den Intentionen der hohen sowie auch nicht minder der niederen Schulbehörden ist es gelegen, den Schülern der Monarchie die heroischen Taten der Armeeangehörigen, dem kindlichen Charakter, der Phantasie und den patriotischen Gefühlen der heranwachsenden Generation entsprechend, darzustellen, ohne die Wahrhaftigkeit der geschilderten Ereignisse zu verändern, aber auch, ohne sie in dem trockenen, jeder Aneiferung der Phantasie, wie der patriotischen Gefühle entbehrenden Tone wiederzugeben. Zufolge dieser und ähnlicher Erwägungen ersucht der Unterzeichnete Euer Hochwohlgeboren respektvollst, von Euer Hochwohlgeboren Beschwerde Abstand nehmen zu wollen.»

      Dieses Schriftstück war vom Kultus- und Unterrichtsminister gezeichnet. Der Oberst übergab es dem Hauptmann Trotta mit den väterlichen Worten: «Laß die Geschichte!»

      Trotta nahm es entgegen und schwieg. Eine Woche später ersuchte er auf dem vorgeschriebenen Dienstwege um eine Audienz bei Seiner Majestät, und drei Wochen später stand er am Vormittag in der Burg, Aug’ in Aug’gegenüber seinem Allerhöchsten Kriegsherrn.

      «Sehn Sie zu, lieber Trotta!» sagte der Kaiser. «Die Sache ist recht unangenehm. Aber schlecht kommen wir beide dabei nicht weg! Lassen’s die Geschicht’!»

      «Majestät», erwiderte der Hauptmann, «es ist eine Lüge!»

      «Es wird viel gelogen», bestätigte der Kaiser.

      «Ich kann nicht, Majestät», würgte der Hauptmann hervor.

      Der Kaiser trat nahe an den Hauptmann. Der Monarch war kaum größer als Trotta. Sie sahen sich in die Augen.

      «Meine Minister», begann Franz Joseph, «müssen selber wissen, was sie tun. Ich muß mich auf sie verlassen. Verstehen Sie, lieber Hauptmann Trotta?» Und, nach einer Weile: «Wir wollen’s besser machen. Sie sollen es sehen!» Die Audienz war zu Ende.

      Der Vater lebte noch. Aber Trotta fuhr nicht nach Laxenburg. Er kehrte in die Garnison zurück und bat um seine Entlassung aus der Armee. Er wurde als Major entlassen. Er übersiedelte nach Böhmen, auf das kleine Gut seines Schwiegervaters. Die kaiserliche Gnade verließ ihn nicht. Ein paar Wochen später erhielt er die Mitteilung, daß der Kaiser geruht habe, dem Sohn seines Lebensretters für Studienzwecke aus der Privatschatulle fünftausend Gulden anzuweisen. Gleichzeitig erfolgte die Erhebung Trottas in den Freiherrnstand.

      Joseph Trotta, Freiherr von Sipolje, nahm die kaiserlichen Gaben mißmutig entgegen, wie Beleidigungen. Der Feldzug gegen die Preußen wurde ohne ihn geführt und verloren. Er grollte. Schon wurden seine Schläfen silberig, sein Auge matt, sein Schritt langsam, seine Hand schwer, sein Mund schweigsamer als zuvor. Obwohl er ein Mann in den besten Jahren war, sah er aus, als würde er schnell alt. Vertrieben war er aus dem Paradies der einfachen Gläubigkeit an Kaiser und Tugend, Wahrheit und Recht, und, gefesselt in Dulden und Schweigen, mochte er wohl erkennen, daß die Schlauheit den Bestand der Welt sicherte, die Kraft der Gesetze und den Glanz der Majestäten. Dank dem gelegentlich geäußerten Wünsch des Kaisers verschwand das Lesebuchstück Nummer fünfzehn aus den Schulbüchern der Monarchie. Der Name Trotta verblieb lediglich in den anonymen Annalen des Regiments. Der Major lebte dahin als der unbekannte Träger früh verschollenen Ruhms, gleich einem flüchtigen Schatten, den ein heimlich geborgener Gegenstand in die helle Welt des Lebendigen schickt. Auf dem Gut seines Schwiegervaters hantierte er mit Gießkanne und Gartenschere, und ähnlich, wie sein Vater im Schloßpark von Laxenburg, beschnitt der Baron die Hecken und mähte den Rasen, bewachte er im Frühling den Goldregen und später den Holunder vor räuberischen und unbefugten Händen, ersetzte er mürbe gewordene Zaunlatten durch frische und blankgehobelte, richtete er Gerät und Geschirr, zäumte und sattelte eigenhändig die Braunen, erneuerte rostige Schlösser an Pforte und Tor, legte bedächtig sauber geschnitzte hölzerne Stützen zwischen müde Angeln, die sich senkten, blieb tagelang im Wald, schoß Kleintier, nächtigte beim Förster, kümmerte sich um Hühner, Dung und Ernte, Obst und Spalierblumen, Knecht und Kutscher. Knauserig und mißtrauisch erledigte er Einkäufe, zog mit spitzen Fingern Münzen aus dem filzigen Ledersäckchen und barg es wieder an der Brust. Er wurde ein kleiner slowenischer Bauer. Manchmal kam noch sein alter Zorn über ihn und schüttelte ihn, wie ein starker Sturm einen schwachen Strauch. Dann schlug er den Knecht und die Flanken der Pferde, schmetterte die Türen ins Schloß, das er selbst gerichtet hatte, bedrohte die Taglöhner mit Mord und Vernichtung, schob am Mittagstisch den Teller mit bösem Schwung von sich, fastete und knurrte. Neben ihm lebten, schwach und kränklich, die Frau in getrennten Zimmern, der Junge, der den Vater nur bei Tische sah und dessen Zeugnisse ihm zweimal jährlich vorgelegt wurden, ohne daß sie ihm Lob oder Tadel entlockt hätten, der Schwiegervater, der heiter seine Pension verzehrte, die Mädchen liebte, Wochenlang in der Stadt blieb und seinen Schwiegersohn fürchtete. Er war ein kleiner, alter, slowenischer


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