Die Abenteuer des Huckleberry Finn. Mark TwainЧитать онлайн книгу.
so schöne Kleider, wie der welche anhat; und ne goldne Uhr mit Kette hat der, und nen Spazierstock mit Silberknauf – dieser grässlichste alte grauhaarige Nabob im ganzen Staat. Und was glaubste? Die sagen, der wär ’n Prfessor in nem College und könnt allerhand Sprachen und wüsst alles. Und das schlimmste kommt noch! Die sagen, der könnt wählen, wenn er bei sich zu Haus ist. Also, da hat’s bei mir ausgesetzt! Wie weit isses bloß mit dem Land gekommen! denk ich. Wahltag isses grad, und ich will grad selber wählen gehn, wenn ich nich zu besoffen gewesen wär, um hinzukommen; aber als se mir erzählt ham, ’s gäb nen Staat in diesem Land, wo se den Nigger da wählen lassen, da isses mir vergangen. Nie mehr geh ich wieder wählen, sag ich. Das sin meine Worte gewesen, genau; alle haben’s gehört; soll doch von mir aus das Land da krepieren – wählen geh ich nie mehr in meim Leben. Und dann noch die unverschämte Art von dem Nigger da – wär der mir doch glatt nich ausm Weg gegangen, wenn ich ihn nich weggschubst hätt. Sag ich zu ’n Leuten, wieso wird dieser Nigger nich auf ne Auktion gebracht und verkauft, he? – das will ich mal wissen! Und was glaubste, ham die gesagt? Also, die ham gesagt, dass er erst verkauft werden kann, wenn er sechs Monat hier im Staat ist, und so lang sei der noch nich hier. Da hast du’s – so geht’s bei uns zu! Das nennen die Regierung, wo ’n freien Nigger nich verkaufen kann, bevor der nich sechs Monat hier im Staat ist. Da is ne Regierung, die sich selber Regierung nennt, und so tut, wie wenn se ne Regierung wär, und sich einbildet, ne Regierung zu sein, und doch muss die geschlagne sechs Monat lang stocksteif zusehn, bevor se so nen Rumschleicher und Dieb, so nen weißbefrackten Teufel von freiem Nigger sich greifen kann, und –«
Pap war so in Fahrt, dass er gar nicht mehr gemerkt hat, wo ihn seine alten wackligen Beine hintrugen, und so ist er kopfüber über das Fass mit eingepökeltem Schweinefleisch gefallen und hat sich beide Schienbeine aufgeschürft, und seine Rede ging in nem einzigen wüsten Gefluche unter – auf den Nigger vor allem und die Regierung, obwohl auch das Fass ab und zu was abgekriegt hat. Er ist ganz schön in der Hütte rumgehopst, erst aufm einen Bein und dann aufm andern, und hielt sich erst das eine Schienbein und dann ’s andre, bis er auf einmal mit dem linken Fuß ausholt und dem Fass nen Mordstritt verpasst. Aber das war nicht grad klug, weil’s der Stiefel war, an dem vorne zwei Zehen rausguckten; und da ist er in ein Geheul ausgebrochen, dass einem die Haare zu Berge standen, und er warf sich in den Dreck und wälzte sich und hielt sich die Zehen; und die Flüche, die er jetzt losließ, haben alles in den Schatten gestellt, was ihm bis dahin über die Lippen gekommen war. Das hat er hinterher selber gesagt. Den alten Sowberry Hagan in seinen besten Tagen hätt er noch gehört, und er prahlte, sogar den hätt er noch abgehängt; aber das war vielleicht doch zu dick aufgetragen, glaub ich.
Nach dem Abendessen hat sich Pap den Krug gelangt und meinte, es wär genug drin für zwei Räusche und ein Delirium tremens. Das war immer sein Stichwort. In einer Stunde war er vermutlich stockbesoffen, und dann wollt ich ihm den Schlüssel stehlen oder mich raussägen, eins von beiden. Er soff und soff, bis er irgendwann auf seine Decken runtergesackt ist; aber ich hatte kein Glück. Er schlief nicht fest ein, er war so unruhig. Er stöhnte und ächzte und warf sich noch lang von einer Seite auf die andre. Und irgendwann wurd ich so müde, dass ich meine Augen beim besten Willen nicht mehr offenhalten konnte, und noch eh ich wusste, was ich eigentlich tun wollte, war ich tief eingeschlafen, und die Kerze brannte weiter.
Ich weiß nicht, wie lang ich so geschlafen habe, aber plötzlich hör ich einen fürchterlichen Schrei und fahr hoch. Pap steht da, mit wildem Blick, hopst rum und brüllt was von Schlangen. Sie wollen ihm an den Beinen raufkriechen, sagt er; und dann macht er nen Satz und kreischt, eine hätt ihn in die Backe gebissen, aber ich hab nirgendwo Schlangen gesehn. Dann rennt er durch die Hütte, immer im Kreis rum, und brüllt: »Nimm se weg! Nimm se weg! Sie beißt mich in Hals!« Ich hab nie wieder einen Menschen mit so wildem Blick gesehn. Und dann klappt er zusammen und fällt japsend hin; und unglaublich schnell wälzt er sich über und über, stößt alles weg, schlägt um sich und fuchtelt in der Luft rum und schreit und jammert, die Teufel wollten ihn packen. Er war jetzt erschöpft und lag ne Weile still und stöhnte. Dann lag er noch stiller da und gab keinen Laut mehr von sich. Ich konnte die Eulen und die Wölfe im Wald draußen hören, und es kam mir fürchterlich still vor. Er lag in der Ecke drüben. Nach ner Weile richtet er sich wieder halb auf und lauscht, den Kopf auf eine Seite geneigt. Ganz leise sagt er:
»Trapp – trapp – trapp; das sind die Toten; trapp – trapp – trapp; sie kommen mich holen; aber ich will nich mit – oh, da sind se! Fasst mich nich an – nein! Hände weg! – sie sind kalt; lasst mich doch – oh, lasst nen armen Teufel doch in Ruh!«
Dann lässt er sich auf alle viere fallen, kriecht weg und bettelt, sie sollen ihn in Ruh lassen, und immer weiter bettelnd rollt er sich in seine Decke ein und wälzt sich unter den alten Kieferntisch; und dann schluchzt er los. Ich konnte ihn durch die Decke hören.
Bald rollt er sich wieder raus und springt, wild um sich blickend, auf die Füße, sieht mich und geht auf mich los. Dann macht er mit nem Klappmesser Jagd auf mich durch die ganze Hütte, nennt mich den Todesengel und droht, er will mich totstechen, dann könnt ich nicht mehr kommen und ihn holen. Und ich bettle und sag, ich bin doch bloß der Huck, aber er lacht nur solch ein furchtbar gellendes Lachen und tobt und flucht und hetzt mich immer weiter. Einmal, als ich mich geschwind umgedreht habe und unter seinem Arm durchgeschlüpft bin, schnappt er nach mir und erwischt mich an der Jacke zwischen den Schultern, und ich denk mir, jetzt ist es aus; aber blitzschnell schlüpf ich aus der Jacke raus und kann mich retten. Bald war er restlos erledigt, rutschte mit dem Rücken gegen die Tür auf den Boden und sagte, er wollt sich nen Moment ausruhn und mich dann umbringen. Er legte sein Messer unter sich und sagte, er wollt jetzt schlafen und Kraft sammeln, und dann wollt er doch mal sehn, wer da wer ist.
Bald ist er dann eingedöst. Nach ner Weile nahm ich den alten Korbstuhl, stieg so sachte wie möglich rauf, um keinen Lärm zu machen, und holte die Flinte runter. Ich schob den Ladestock rein, um sicherzugehn, dass sie auch geladen war, und dann legte ich die Flinte auf Pap zielend quer übers Rübenfass und setzte mich dahinter, um zu warten, bis er sich rührte. Und wie langsam und leise ist die Zeit dahingeschlichen!
Kapitel 7
Ich überliste Pap und fliehe
»Steh auf! Was soll das?«
Ich machte die Augen auf, sah mich um und versuchte rauszufinden, wo ich war. Die Sonne war schon heraus, ich hatte also tief geschlafen. Pap stand über mir und sah mürrisch aus – und schlecht auch. Er sagt:
»Was machsten du mit der Flinte da?«
Ich hab gemerkt, dass er nichts mehr davon wusste, was er gemacht hatte, und so sag ich:
»Jemand hat versucht, hier reinzukommen, darum hab ich mich auf die Lauer gelegt.«
»Wieso hast du mich nich geweckt?«
»Ich hab’s versucht, aber es ging nicht; hab dich nicht wach gekriegt.«
»Na schön. Aber steh jetzt nich den ganzen Tag rum und quassel – raus mit dir und sieh nach, ob ’n Fisch fürs Frühstück an der Leine hängt. Ich bin gleich wieder da.«
Er schloss die Tür auf, und ich hab mich verdrückt, das Flussufer rauf. Ich sah ein paar Äste und lauter so Zeug flussab treiben, auch ein bisschen Baumrinde; und von daher wusste ich, dass der Fluss zu steigen anfing. Ich dacht mir, dass jetzt ne schöne Zeit für mich käm, wenn ich im Dorf drüben wär. Das Junihochwasser war immer ein Glück für mich; sobald der Fluss ansteigt, kommt hier Klafterholz angetrieben, und auch ganze Floßstücke – manchmal ein Dutzend Baumstämme auf einmal; man braucht sie bloß rausfischen und an die Holzlager und die Sägemühle verkaufen.
Ich bin flussauf am Ufer lang und hab mit einem Auge nach Pap geschielt und mit dem andern nach irgendwas, was das Hochwasser vielleicht mitbrachte. Auf einmal kommt ein Kanu daher, und was für ein Prachtstück, gut dreizehn oder vierzehn Fuß lang und wie ne Ente hoch auf dem Wasser schwimmend. Und ich kopfüber wie ein Frosch ins Wasser, mit Kleidern und allem, und auf das Kanu zugeschwommen. Ich war fast sicher, dass da einer drinliegt, weil oft ein Kerl so die Leute narrt, und wenn man so ein Boot fast rausgezogen hat,