Potsdam MM-City Reiseführer Michael Müller Verlag. Michael BussmannЧитать онлайн книгу.
am Alten Markt, dem heute wieder schönsten Platz der Stadt. Auf Fotos aus den 1950er-Jahren sieht er noch wie ein Gebiss des Grauens aus: das Schloss in Ruinen, die Nikolaikirche und das Alte Rathaus ebenso. Noch leerer wurde der Alte Markt, als das Stadtschloss 1960 abgerissen wurde. Der Platz mutierte zu einer öden, weiten Fläche, über die der Wind pfiff, wie geschaffen für Großkundgebungen. Heute, nach den Rekonstruktionen, kann man dem Alten Markt eine gewisse Grandezza wahrlich nicht absprechen. Urbane Lebendigkeit will sich aber nicht einstellen. Trotz der vielen Touristen, die hier auf- und abmarschieren. Schauen wir uns um.
Rund um den Alten Markt
Dominiert wird der Platz von der → Nikolaikirche mit ihrer mächtigen Kuppel. Unterhalb der Kuppel gibt es eine Aussichtsplattform. Gen Süden blickt man von dort auf Stuck und Gold rund um den Alten Markt, gen Osten auf düstere Modularbauten aus sozialistischer Zeit.
Vor der Kirche steht seit Mitte des 18. Jh. ein 25 m hoher, von barbusigen Sphingen bewachter Obelisk, den der Bildhauer Benjamin Giese ursprünglich mit den Bildmedaillons preußischer Kurfürsten und Könige verziert hatte. Zu DDR-Zeiten wurde der Obelisk wegen Baufälligkeit bis auf den Sockel abgetragen und mit Marmor aus der Sowjetunion und Jugoslawien wieder aufgebaut. Seitdem schmücken ihn keine preußischen Herrscher mehr, sondern die Reliefs berühmter preußischer Architekten. Die Figuren an den Ecken stellen antike Redner dar.
Der Bau rechts neben der Nikolaikirche mit dem vergoldeten Atlas auf dem Dach ist das Alte Rathaus, heute ein Teil des → Potsdam Museums. An der Südostseite, zur Alten Fahrt hin, folgt das → Palais Barberini, der Promi unter den Potsdamer Palästen. Im Inneren wird hochkarätige Kunst gezeigt.
Links der Nikolaikirche fallen Bauzäune ins Auge. Hier stand bis 2018 ein dreigeschossiger Bau der DDR-Moderne, der zuletzt die Fachbereiche Sozial- und Informationswesen der Fachhochschule Potsdam beherbergte. Das Gebäude war arg umstritten. Die einen liebten es, die anderen hassten es. Die, die in dem Gebäude ein Stück erhaltenswerte DDR-Architektur sahen und für dessen Erhalt kämpften, kämpften vergebens - die Hasser gewannen. Ab 2021 soll hier ein Block aus 15 Gebäuden im historisierenden Stil entstehen. Geplant ist eine „Mischung aus Wohnen, Einzelhandel, Gastronomie, Kunst und Kultur“.
Seinen würdigen Abschluss erhält der Alte Markt gen Süden durch das lachsrosafarbene → Stadtschloss, ein Fake-Schloss, dessen Rekonstruktion 150 Mio. Euro kostete. Im Schloss hat heute der Landtag seinen Sitz. An der Westseite des Schlosses, zur Friedrich-Ebert-Straße hin, erblickt man den goldenen Schriftzug „Ceci n’est pas un château“. Auf Deutsch: „Das ist kein Schloss“. Und im Klartext: „Das ist kein Abklatsch, sondern was Eigenes.“ Ausgedacht hat sich den Satz die Potsdamer Restauratorin Annette Paul. Davor steht die Ringerkolonnade, eine Kolonnade mit korinthischen Säulen. Was ihr fehlt, sind die namengebenden Ringerskulpturen, die noch auf ihre Restaurierung warten.
Sterne gucken
Das FH-Gebäude verschwand zwar. Gerettet aber wurde sein Fassadenschmuck, wabenartig miteinander vernetzte Sterne aus weiß lackiertem Aluminium, einem Origami-Kunstwerk ähnlich. Bereits vor dem Abriss 2018 waren die Sterne zum Symbol des Kampfes für den Erhalt des Bauwerks geworden: „FH bleibt!“. Und zum Zeichen des Protests gegen die politische Kultur in der Stadt. Selbst auf Stofftaschen wurden sie gedruckt. Ein Teil der Sternefassade ist heute auf dem FH-Campus an der Kiepenheuerallee nördlich des Zentrums eingelagert und soll künftig u. a. bei der Verschönerung des Campus Verwendung finden. In der dortigen Bibliothek hängen schon welche. Auch anderswo schafften es die Sterne bereits in den öffentlichen Raum: Werfen Sie z. B. einen Blick auf das abgerockte Gebäude der Bibliothek konte◊ :x◊ t an der Ecke Hermann-Elflein-Straße/Gutenbergstraße (der Stern hängt hofseitig zur Gutenbergstraße hin). Viel Spaß beim Sternegucken!
Entlang der Breiten Straße
Früher verband die Kolonnade das Stadtschloss mit dem → Marstall auf der anderen Seite der Straßenbahnschienen. In dem imposanten Gebäuderiegel - länger als ein Fußballplatz, aber nicht mal so breit wie ein Tennisplatz - ist heute das Filmmuseum untergebracht. Direkt hinter dem Marstall entsteht zur Friedrich-Ebert-Straße hin Potsdams neue Synagoge, bis 2023 soll das Projekt abgeschlossen sein.
Wir umrunden den Marstall mit seinen zwei prächtigen Portalen samt wiehernden Pferden entlang der Breiten Straße. Auf der Rückseite des Marstalls, bei der Statue von General Steuben, biegen wir nach links in den Neuen Markt ein. Apropos Steuben. Friedrich Wilhelm von Steuben (1730-1794) war ein preußischer Offizier. Als seine Homosexualität bekannt wurde, flüchtete er nach Amerika und machte im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Karriere. Er sprach bestes Denglisch, angeblich mit „oll korrekt“ statt mit „all correct“ zeichnete er seine Papiere ab - Kurzform: „o.k.“.
Neuer Markt
Gebäude in Potsdam-Gelb, Prinzessinnenrosa und Mintgrün. Historische Straßenlaternen, die das Kopfsteinpflaster bescheinen. Der Neue Markt ist eine der charmantesten Ecken der Stadt. Gleich rechter Hand steht dort das Kabinetthaus (Hausnr. 1). Hier tagte einst das königlich-preußische Kabinett, daher der Name. Zuvor schon, genau genommen 1770, wurde darin der spätere König Friedrich Wilhelm III. geboren.
Barockplatz at its best: Neuer Markt
Die Häuser am Platz sind größtenteils Originale. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs verschonten den Neuen Markt, der bereits seit 1722 so heißt. Heute sind hier Wissenschaft und Forschung zu Hause: Am Neuen Markt sitzen u. a. das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam , das Moses Mendelssohn Zentrum, das Einstein Forum und das Deutsche Kulturforum östliches Europa.
In der Mitte des Platzes steht die ehemalige städtische Ratswaage, die noch zu DDR-Zeiten in Betrieb war. Heute befindet sich darin ein italienisches Restaurant namens Waage. In der historischen Gaststätte zur Ratswaage in der Nachbarschaft hingegen serviert heute das Kochzimmer sternegekrönte Küche - also nicht den falschen Tisch im falschen Lokal buchen (mehr dazu → Essen & Trinken).
Ein Durchgang - über dem Portal eine Quadriga mit Kutschern und Stallburschen - führt vom Neuen Markt in den Hof des Kutschstall-Ensembles mit dem → Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Verlässt man den Hof auf der gegenüberliegenden Seite, steht man vor einer Brache - oder vielleicht schon vor einer Baustelle? Hier soll ein neues Kreativquartier namens Kreativ Quartier³ entstehen. Integriert wird darin auch ein „neuer“ Langer Stall. Der „alte“ Lange Stall, ursprünglich 170 m lang, diente der Garnison für Winterübungen. Er wurde 1871 erbaut und im Zweiten Weltkrieg zerstört. Einzig die Portalfassade mit Säulen und Giebelschmuck blieb erhalten - von hinten sieht sie aus wie eine frei stehende Brandwand.
Der Turm, der hinter der Portalfassade des Langen Stalls in den Himmel ragt, ist der wieder aufgebaute Turm der → Garnisonkirche. Mitte 2022 sollen die Arbeiten an dem Turm