Potsdam MM-City Reiseführer Michael Müller Verlag. Michael BussmannЧитать онлайн книгу.
und jüngsten Geschichte Brandenburgs auf dem Programm stehen. Angeschlossen ist ein Café.
Am Neuen Markt 9, www.hbpg.de. Tram 91, 92, 93, 96, 98 bis Alter Markt/Landtag.
Phönix aus der Asche zum Zweiten
Garnisonkirche
Die Garnisonkirche ist eine Sehenswürdigkeit, die es noch gar nicht gibt. Aber schon mal gab. Und vielleicht irgendwann wieder geben wird. Oder auch nicht? Eine verzwickte Angelegenheit.
Die im Jahr 1732 geweihte Garnisonkirche des Baumeisters Philipp Gerlach galt als einer der Höhepunkte des deutschen Barock. Sie war die Hofkirche der preußischen Könige und eine Art preußisches Nationalheiligtum, in dem die sterblichen Überreste des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen aufbewahrt waren. Wilhelm I. ließ hier die erbeuteten Fahnen der Dänen, der Donaumonarchie und ihrer Verbündeten als ein Zeichen des Ruhmes seiner Armee aufbewahren. Hier wurden Soldaten gesegnet, die in die Kolonialkriege zogen und am Völkermord an den Herero und Nama beteiligt waren.
Hingucker war der fast 90 m hohe Turm der Kirche mit einem Glockenspiel. Jede halbe Stunde erklang Üb’ immer Treu und Redlichkeit. Zu jener Zeit galt die Kirche als Zentrum deutschnationaler, demokratiefeindlicher Kräfte. Hier verbeugte sich Hitler vor Hindenburg und besiegelte damit ein Bündnis, das als „Tag von Potsdam“ in die Geschichte einging.
Beim Luftangriff auf Potsdam am 14. April 1945 brannte die Kirche aus, die Außenmauern aber blieben stehen. Der Kirchturm stürzte einen Tag später ein. Gottesdienste wurden noch bis 1968 in einer Kapelle im Turmstumpf abgehalten. Dann ließ die SED Kirche und Turmstumpf trotz der Proteste der Bevölkerung sprengen.
Seit den Nullerjahren setzen sich Bürgerinitiativen für einen Wiederaufbau der Kirche ein. 2017 nahm dieser mit dem Wiederaufbau des Turmes Gestalt an. Doch das auf 40 Mio. Euro veranschlagte Projekt ist aufgrund der historischen Vergangenheit des Gotteshauses höchst umstritten. Gegen den Wiederaufbau der Kirche engagieren sich Denkmalpfleger, Wissenschaftler, Künstler, Architekten, Kirchenvertreter und Kulturschaffende. Online-Petitionen laufen.
Zurückversetzt vom Turm kann man eine kleine Ausstellung in der temporären, verglasten Nagelkreuzkapelle besuchen und sich über den aktuellen Stand des Projekts informieren.
Falls Sie sich noch fragen, was aus den Gebeinen der beiden Preußenkönige geworden ist: Sie wurden im Krieg in Sicherheit gebracht und schlafen heute im Park Sanssouci ihren ewigen Schlaf.
Ausstellung in der Nagelkreuzkapelle: Tägl. (außer Mo) 11-17 Uhr. Eintritt frei. Breite Str. 7. Termine für Gottesdienste und Baustellenführungen (anmelden!) auf www.garnisonkirche-potsdam.de. Bus 606 bis Naturkundemuseum.
Provisorisches Kreativhaus
Rechenzentrum
Der vielfenstrige, fünfgeschossige Quader entstand zwischen 1969 und 71 als Datenverarbeitungszentrum für den VEB Maschinelles Rechnen. Das Sockelgeschoss wird geschmückt von dem 18-teiligen realsozialistischen Glasmosaik Der Mensch bezwingt den Kosmos von Fritz Eisel. Auf den Mosaiken: Kosmonauten, Raketen, Frauen in der Technik, ein Marx-Zitat. Seit 2015 wird das marode Gebäude von rund 250 Künstlern und anderen Kreativen belebt, die darin Ateliers, Büros und Werkstätten eingerichtet haben. Immer wieder gibt es Konzerte, Ausstellungen, Workshops und Vorträge. Doch die Tage des Kreativzentrums scheinen gezählt zu sein, Ende 2023 laufen die Mietverträge aus. Doch das tun sie nicht zum ersten Mal. Und ob das Gebäude wirklich abgerissen wird, damit es dem Wiederaufbau der Garnisonkirche nicht im Weg steht, wird man noch sehen.
Dortustr. 46, Veranstaltungen auf www.rz-potsdam.de. Bus 606 bis Naturkundemuseum.
Realsozialistisch: Glasmosaik von Fritz Eisel am Rechenzentrum
Bei Nancy & Co
Naturkundemuseum
Der Sammlungs- und Forschungsschwerpunkt dieses Museums, dem ein Facelifting zu wünschen wäre, liegt auf der Tierwelt Brandenburgs. Wer ein Herz für ausgestopfte und aufgespießte Tiere sowie Dermoplastiken hat, ist hier genau richtig. Im Erdgeschoss begegnet man u. a. Maulwurf, Wiesel und Schleiereule, außerdem der Eisbärin Nancy. Die Ziehtante des legendären Knut verstarb 24-jährig im Jahr 2014 im Berliner Zoo. Das 1. OG bevölkern heimische Fell- und Federtiere wie Wildschwein und Eisvogel. Hier erfährt man auch, dass es 2017 sage und schreibe 16 Elch-Sichtungen in Brandenburg gab. Das 2. OG ist Tieren aus aller Welt vorbehalten. Im Keller schließlich wird’s nass - dort schwimmt u. a. die große Welsdame Weline in einem kleinen Aquarium.
Tägl. (außer Mo) 9-17 Uhr. 4 €, erm. die Hälfte. Breite Str. 13, www.naturkundemuseum-potsdam.de. Bus 606 bis Naturkundemuseum.
Großes Haus für kleine Menschen
Ehemaliges Militärwaisenhaus
Der spätbarocke, von vier Straßen umgebene Gebäudekomplex entstand zwischen 1771 und 1777 für Waisen und ungewollte Kinder von Militärangehörigen. Architekt war Carl von Gontard, der auch für das Neue Palais und die Domtürme auf dem Berliner Gendarmenmarkt verantwortlich zeichnet. Die Initiative dazu ging von einer Stiftung aus, die der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. bereits 1724 hatte gründen lassen. Abgesehen von einer langen Pause zwischen 1952 und 1992 existiert die Stiftung bis heute und fördert als „Großes Waisenhaus zu Potsdam“ noch immer Kinder- und Jugendhilfeprojekte. Neben der Stiftung sitzen heute u. a. mehrere Ministerien in dem Gebäudekomplex.
In preußischer Zeit lebten in dem Gebäude bis zu 2000 Jungen und Mädchen in teils überaus beengten Verhältnissen. Zwar bekamen die Kinder Schulunterricht, mussten aber auch auf den Maulbeerplantagen oder in der Textilindustrie schuften - und das bis zu zehn Stunden täglich. Die Nazis unterhielten im Komplex eine nationalpolitische Erziehungsanstalt (Napola), eine brutale Kaderschmiede. Dann fielen die Bomben. Schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde der Haupttrakt samt seinem 46 m hohen Torturm (Monopteros) und der auf sechs Säulen schwebenden Kuppel. Die güldene Caritas obenauf fiel ab und ward nie mehr gesehen, erst 2004 wurde sie durch eine Kopie ersetzt. Erhalten blieb das ungemein elegante Treppenhaus darunter - eine architektonische Meisterleistung mit schmiedeeisernem Rokokogitter. Werktags ist ein Blick ins Treppenhaus möglich. Das Waisenhaus-Museum im Innenhof ist nur nach vorheriger Anmeldung zugänglich.
Treppenhaus: Mo-Fr 8-17 Uhr. Waisenhaus-Museum: Nur nach Anmeldung Mo-Fr 10-17 Uhr. 3 €. Breite Str. 9A (Eingang zum Treppenhaus jedoch von der Lindenstr. 34A), www.stiftungwaisenhaus.de. Bus 606 bis Naturkundemuseum.
Goldig: Caritas krönt den Monopteros des ehemaligen Militärwaisenhauses
Sehenswertes abseits des Spaziergangs
Grün-bunte Oase im Zentrum
Freundschaftsinsel
Auf der 7 ha großen Freundschaftsinsel zwischen Altem Markt und Hauptbahnhof riecht Potsdam im Sommer ein wenig nach Berlin. Studenten sitzen auf der Wiese zusammen, trinken Bierchen, kiffen. Verliebte säuseln sich auf schneeweißen Bänken süße Worte ins Ohr. Angler hoffen am Havelarm Alte Fahrt auf den großen Fang. Aber es ist doch nicht Berlin. Was fehlt: der Siff der großen Nachbarstadt.