Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes LindemannЧитать онлайн книгу.
neben Hindutempeln und Kathedralen. Im Telefonbuch stößt man auf chinesische, indische, portugiesische, spanische, französische, holländische, deutsche und natürlich vor allem auf die britische Namen.
Gemeinsam sind den Menschen in den Antillen Großzügigkeit in Rassen- und Religionsfragen, ein herrliches Klima, eine bunt bewegte Vergangenheit und keine rosige Zukunft. Die britischen Inseln haben sich zu einer unabhängigen Westindischen Föderation zusammengeschlossen, die Mitglied des Commonwealth ist. Da einige Inseln erschreckend übervölkert sind und ihr Verwaltungsapparat sehr groß ist, werden sie nur dann zu Wohlstand gelangen, wenn sie außer einer noch geschickteren Agrarpolitik, die eine intensive Nutzung der Bodenfläche vorsieht, den Fremdenverkehr steigern können.
Wiedersehen mit Niña
Der Dampfer, mit dem Niña kommen sollte, war für zwölf Uhr mittags angesagt worden.
Eine halbe Stunde vorher fuhr ich zum Hafen. Zu meinem großen Schreck war jedoch der Dampfer schon angekommen – vor drei Stunden! Auf der Gangway hörte ich bereits vorwurfsvoll: „Ihre Frau wartet schon lange!“
Inmitten einer Gruppe von Passagieren und Insulanern fand ich sie. Als ich ihr zur Begrüßung nahe kam, schob sie mich entsetzt zurück: „Wie riechst du komisch!“
Das mir, der ich eine Dusche genommen und saubere Wäsche angezogen hatte! Was konnte ich dafür, daß auf der letzten Fahrtstredte, in dem dauernden Regen, die Wäsche muffig geworden war; meine Nase nahm das schon gar nicht mehr wahr. Acht Monate Trennung, und nun dieser Empfang! Später stritt Niña das alles ab; verwirrt und aufgeregt sei sie gewesen und habe nicht gewußt, was sie sagte – auf alle Fälle aber etwas ganz anderes!
Kaum hatte sie den Fuß auf die LIBERIA IV gesetzt, als sie – nach neuerlichem Naserümpfen – rigoros alles, was gewaschen werden konnte, einsammelte und in die Reinigung trug. Danach verbrachte sie einen Tag damit, das Boot bis in die entlegensten Ecken hinein mit heißem Wasser auszuwaschen; einen weiteren Tag sprühte sie immer wieder einmal, ihrer Nase folgend, Parfüm in die Winkel des Bootes – ein Glück, daß zwischendurch Freunde kamen, um uns die Insel zu zeigen.
Mangrovensümpfe zum Verkaufen
Die besten Siedler und Landgewinner an den Küsten der tropischen Meere sind die Mangroven. Gegen sie nehmen sich selbst die Holländer mit ihrem Spruch: „Gott schuf die Welt, die Niederländer aber Holland!“ als Anfänger aus. Überall, wo es flache Küsten gibt, zu beiden Seiten von Flußufern oder in Sümpfen, haben sie sich angesiedelt und fangen mit ihren viel verzweigten Wurzelarmen wertvolle Sedimentstoffe des Meeres ab.
Normalerweise können Wurzeln im Wasser nicht atmen. Was macht also die Mangrove? Sie schnorchelt! Ihre Wurzeln schicken kleine Atmungsröhren in die Höhe, die den Sauerstoff in die Wurzelspitzen leiten.
In Florida kaufen die Grundstücksmakler Mangrovensümpfe auf, die noch ganz unter Wasser liegen. Ich sah aus diesen Mangrovenwäldern Schilder herausragen: FOR SALE – Zum Verkauf. Die Mangrove ist der stille und bescheidene Mitarbeiter der Grundstücksmakler. Tausende von Hektar Land schenkt sie der Menschheit; in vielen Teilen der Welt setzt man ihre Siedlungsarbeit fort, indem man den Mangrovenwald entfernt und Land aufschüttet. Ich konnte das in Lagos und in Miami beobachten.
Sausen Tornados oder Hurrikane über ein Gebiet, in dem Mangroven zu Hause sind, so werden andere Bäume entwurzelt, Häuser zerstört und ganze Plantagen niedergewalzt, die Mangroven jedoch erleiden kaum Schaden. Sie sind niedrige Bäume, selten werden sie höher als fünf Meter, ihre dünnen, auf Stelzwurzeln stehenden Stämme stemmen sie nicht gegen den Wind, sie wiegen sich im Sturm wie Kokospalmen. Die Mangrove ist vorsichtig und klug; reißt ein Wurzelanker, hat sie gleich Ersatz zur Hand: sie sendet von Stämmen und Zweigen immer neue Wurzeln in den Schlammgrund, die selbst wieder zu Bäumen werden. Ihr ganzes Leben steht sie auf Stelzen, die wie ein polnischer Weichselzopf unentwirrbar miteinander verflochten sind.
In dem stinkigen, schleimigen Mangrovenschlamm lebt eine Tierwelt für sich; sie lehnt es ab, sich anderswo aufzuhalten, nur in diesem Schlamm fühlt sie sich wohl. Da ist zum Beispiel ein Mangrovenkrebs, der seine Scheren immer dann zusammenschlägt, wenn man es am allerwenigsten erwartet; weil man bei diesem Geräusch erschreckt zusammenfährt, nennt man ihn auch „Pistolenkrebs“, obschon er eine zarte Garnele ist und kein Pistolenheld.
Fische klettern auf Bäume
Interessanter noch ist der Schlammspringer, den ich am Du-River in Liberia häufig antraf. Er hat Augen, die er beim Schwimmen wie ein Periskop über Wasser halten und in jede beliebige Richtung drehen kann, jedes Auge in eine andere. Er klettert mit Hilfe seiner Brustflossen auf Mangroven und springt bis zu einem Meter weit; sonnt er sich in der heißen Tropensonne, braucht er keine Sonnenbrille, kann er seine Augen doch ganz in die Augenhöhlen zurückziehen. Hält er sich an der Land-Wasser-Grenze auf, steckt er seinen Schwanz ins Wasser, um zu „atmen“: der Schwanz ist voller Blutgefäße, die dem Wasser Sauerstoff entziehen können und auf diese Weise die dicht verschließbaren Kiemen ersetzen. Der Schlammspringer fängt wie ein betrunkener Gecko Fliegen und schwimmt wie ein kranker Fisch! Bloß fliegen kann er noch nicht – zoologisch gesehen ist er ein Fisch!
Weitere Vertreter der Tierwelt im Mangrovensumpf sind die Milliarden von Moskitos und kleinen Stechgnitzen, gegen deren Bösartigkeit man sich kaum schützen kann, schlüpfen sie doch selbst durch Moskitonetze hindurch. Die Indianer Floridas lebten jahrhundertelang in von diesen Moskitos verseuchten Sümpfen; sie rieben sich zum Schutz mit dem Extrakt einer Pflanze ein, der die Insekten vertreibt. Auch diese Art von Moskitos hat sich an die eigenartige Umwelt angepaßt: ihre Larven gedeihen bestens im Salzwasser.
Stehen Mangroven im klaren Wasser, so wachsen manchmal Austern an ihren Wurzeln – als treibendes Plankton setzten sich die Schalentiere in ihrer Jugend an den Wurzeln fest und beginnen zu wachsen.
Die Mangrove ist eine Landpflanze, die im Laufe von Millionen von Jahren ihre Liebe zur See entdeckte und von der Land- in die Randzone übersiedelte, in die Gezeitenzone. In dieser langen Zeit hat sie auch genügend Muße gefunden, sich an ihre neuen Aufgaben im salzigen Wasser zu gewöhnen. Wie, zum Beispiel, pflanzt sie sich fort? Fruchtkapseln würden doch ins Meer hinausgetrieben, wie sollten sie je den Boden erreichen?
Mutter Natur hat vorgesorgt: die Mangrove bekommt „Junge“, sie ist sozusagen lebendgebärdend, denn ihre Früchte keimen bereits auf den Bäumen. Die jungen Pflanzen haben dann die Form einer länglichen Bombe; fallen sie in den Schlammgrund, bilden sie sofort Wurzeln und wachsen weiter. So geschieht es bei Ebbe; bei Hochwasser hingegen fällt der Sämling ins Wasser und kann irgendwo an fernen Ufern angetrieben werden, viele Meilen vom Mutterbaum entfernt. Es gibt sogar Forscher, die vermuten, die afrikanischen Mangroven seien durch Äquatorialströmungen nach Südamerika gelangt; demnach müßten die Sämlinge wochenlang auf dem Meer treiben können, ohne ihre Lebensfähigkeit zu verlieren.
Auch nach ihrem Tode hat die Mangrove noch Wert für den Menschen, sei es, daß man ihre bizarren Wurzelgeflechte zu dekorativen Zwecken ins Zimmer stellt, zu Leuchtern, Aschenbechern und Blumentopfhaltern umarbeitet, oder sei es, daß Eingeborene die Rinde der roten Mangrove zum Lohen von Netzen und Segeln benutzen.
Tollwütige Vampire
Ganz im Gegensatz zu meiner sonstigen Gewohnheit schlief ich in Trinidad nicht im Cockpit, sondern in der Kajüte, deren Bullaugen ich sorgfältig mit Moskitonetzen verhängte. Das hatte seinen besonderen Grund: Vampire!
Ursprünglich verstand man unter einem Vampir die unstete Seele eines Toten, die nachts in eine Tiergestalt schlüpfte, um in ländlichen Gegenden nach Opfern zu suchen, denen sie Blut absaugen konnte. Als Oviedo dann im 16. Jahrhundert aus Trinidad Fälle beschrieb, in denen 40 Spanier vom Fledermäusen gebissen wurden und später daran starben, nannte man diese blutsaugenden Fledermäuse ebenfalls Vampire.
Vampire beißen im tropischen Amerika seit langen Zeiten vor allem Rinder und zapfen ihnen jährlich so viel Blut ab, daß man damit einen Tanker füllen könnte.