Sturm über der Eifel. Katja KleiberЧитать онлайн книгу.
Die Hauptverdächtige war eine Art Hexe gewesen.
Sie riss sich zusammen. Dies war ein neuer Fall. Nicht alle Morde in der Eifel waren so kompliziert wie der vom letzten Jahr. Selbst wenn es jetzt wieder einen Bezug zu Antweiler gab. Verdammt, das hier war ihre Arbeit, und sie machte sie gerne. Sie würde systematisch vorgehen, so wie sie es gelernt hatte. Sie besaß alle Fähigkeiten und Kenntnisse, die nötig waren, um die Tat aufzuklären, rief sie sich ins Gedächtnis. Außerdem war sie nicht allein. Kripochef Anton Brettschneider, hinter vorgehaltener Hand »Tünnes« genannt, hatte bereits ein Dutzend Kollegen zusammengetrommelt, die alle an einem Strang ziehen würden.
Sie würde ihren Teil dazu beitragen, den Fall aufzuklären. Mochte er sie auch in die tiefste Eifel führen, wo sie noch nicht mal den Dialekt verstand und wo Tote aussahen wie dieser hier. Auch Ötzis hatten ein Recht darauf, dass ihre Mörder gefunden wurden.
Tanja zückte erneut ihr Handy, um Peter Claes anzurufen. Der Erste Kriminalhauptkommissar in Adenau war für den Landkreis Ahrweiler zuständig und somit auch für Antweiler. Er würde die Laufarbeit erledigen, sie die Kopfarbeit. Außerdem verstand er Eifler Platt. Wenn er auch nicht besonders helle war, hatte er beim letzten Fall, den sie gemeinsam gelöst hatten, doch gute Arbeit geleistet. Mit Claes an ihrer Seite hätte sie vielleicht eine Chance, sich in der Mordkommission hervorzutun.
Je schneller sie die Sache abschlössen, desto besser. Sie brauchte Zeit für die Vorbereitung ihres Workshops, einer Fortbildung an der Polizeihochschule in Büchenbeuren. Kripochef Brettschneider hatte ihr den Kurs vorgeschlagen und etwas gemurmelt, wovon sie nur das Wort »Gender« mitbekam. Wahrscheinlich brachte ihre Fortbildung dem Kriminaldirektor auf höherer Ebene Punkte ein für die besondere Förderung weiblicher Mitarbeiter. Aber das konnte ihr egal sein, solange die Fortbildung auch ihre eigene Karriere vorantrieb.
Sie drückte auf das grüne Symbol für die Anruftaste und lauschte dem Rufton. Doch Claes meldete sich nicht. Tanja runzelte die Stirn.
Wieder drifteten ihre Gedanken zu der Fortbildung. Als sie sich genauer mit den Unterlagen für den Kurs beschäftigt hatte, war ihr klar geworden, wie sie sich profilieren konnte, wenn sie dort eine Fallanalyse präsentierte. Fast könnte man denken, dass sich hinter der bräsigen Art des Kripochefs ein messerscharfer Verstand verbarg. Sicher hatte er in Zukunft einiges mit ihr vor. Sie durfte ihn nicht enttäuschen.
In dem Moment rollte ein dunkler Mercedes durch das Tor in der Umzäunung des Golorings, gefolgt von weiteren Streifenwagen. Der Staatsanwalt und weitere Einsatzkräfte, die die kriminaltechnische Arbeit übernehmen würden.
Noch einmal schaute Tanja sich um. Wo genau befand sie sich eigentlich? Am Eingang hatte sie ein Schild bemerkt mit irgendwelchen Erklärungen für Touristen. Offenbar war sie an einem historisch bedeutsamen Ort. Ihr Blick fiel auf den flachen Erdwall zwischen den Bäumen. War dies eine Stellung aus dem letzten Weltkrieg? Ein Teil des Westwalls? Aber der hatte doch Panzersperren aus Beton, erinnerte sie sich, und solche waren hier weit und breit nicht zu sehen. Außerdem müsste sich der Westwall auch weiter westlich in der Eifel befinden. Dies hier schien ein älterer Wall zu sein, vielleicht von den Römern? Oder sogar noch älter? Aber war das überhaupt wichtig? Sie fröstelte.
Die Jurte
Hatte sich Tanja in der Adresse geirrt? Peter starrte auf das Haus. Sein Schädel schmerzte. Nachwirkungen vom Wochenende in Köln. Hatte Tanja vielleicht auch einen Kater? Er schielte zur Seite. Sie wirkte energiegeladen wie immer, der blonde Pferdeschwanz wippte eifrig.
Gerade blickte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen auf ihr Handy, wo sie die Adresse gespeichert hatte. Guckte wieder hoch. Wies auf das Metallschild mit der Hausnummer. Die Farbe war teilweise abgeplatzt, aber die Zahl noch deutlich erkennbar. »Hier muss es sein.«
Das Dach des Hauses hatte sich bereits bedenklich gesenkt. Die Dachrinne hing an einigen Stellen herunter, sodass sie in einer Art Zickzack verlief. Neben der Tür, die dringend einen neuen Anstrich benötigte, befand sich ein Fenster. Die Scheibe war gesplittert, vielleicht hatte ein Nachbarskind einen Ball hineingeschossen.
Tanja steckte den Schlüssel ins Schloss, den sie in der Hosentasche von ihrem Ötzi gefunden hatten. Er glitt problemlos hinein. Sie drehte ihn um. Das Schloss klickte.
Peter öffnete die Tür. Der Gang war dunkel. Er tastete nach rechts, bis seine Fingerspitzen einen Lichtschalter berührten. Er drückte, doch es tat sich nichts. Stromausfall? Rechnung nicht bezahlt?
»Taschenlampe ist im Kofferraum«, hörte er Tanja hinter sich sagen. Schickte sie ihn jetzt als Laufburschen los? Er wandte sich um.
Ihr Kopf ruckte in Richtung Streifenwagen.
War er hier der Praktikant, oder was? Er unterdrückte ein Murren, trottete zurück zum Auto und fand die Taschenlampe zwischen allerhand Krempel im Handschuhfach.
Ihr Strahl leuchtete einen Flur aus, dessen Zustand keinen Deut besser war, als das Haus von außen vermuten ließ. Renoviert zuletzt anno 1950, wenn nicht noch früher. Geputzt auch so um den Dreh, wenn man die Dreckschicht auf dem Boden betrachtete.
Peter seufzte. Lieber würde er jetzt auf seinem Sofa liegen und in die Glotze starren. Wenn Tanja ihn nicht angerufen hätte, hätte er sich heute krankgemeldet. Das Wochenende in Köln war zu anstrengend gewesen. Und vor allem zu frustrierend. Statt zu Hause rumzugammeln, bis der Kopfschmerz nachließ, schob er sich jetzt in dieser Bruchbude durch den schimmeligen Flur. Mit Tanja auf den Fersen.
Er öffnete die erste Tür rechts und leuchtete in einen Raum. Vollkommen leer. Keine Möbel, nichts. Nur eine beige Tapete hing in Fetzen herab. Es roch muffig.
»Selbst für ’nen Ötzi ziemlich unwohnlich«, meinte Tanja. »Aber so, wie der Typ aussah, hätte ich sowieso eher auf eine Höhle getippt.«
»Und die Adresse stimmt?« Peter ließ die Frage in der Luft hängen.
Tanja zuckte mit den Schultern.
Links vom Flur stießen sie auf eine Küche. Ebenso unmöbliert. Keine Schränke, kein Tisch, nichts. Nur eine einsame Spüle. Tanja drehte den Hahn auf: kein Wasser.
Zurück im Gang, öffneten sie die nächste Tür.
»Wow!« Tanja konnte ihre Überraschung nicht verbergen.
Als Peter einen Blick in das dahinterliegende Zimmer erhaschte, sog er scharf die Luft ein.
Ein Bad wie aus einer Zeitschrift für schöneres Wohnen. Eine Wanne mit blitzenden Armaturen und vielen Düsen, anscheinend eine Art Home-Spa oder Whirlpool. Dazu eine bodengleiche Dusche mit Glaswänden. Das WC und das Waschbecken in edlem Champagnerton. Über dem Waschbecken eine Ablage mit Zahnputzzeug, Toilettenartikeln, Rasierpinsel und Rasierseife, darüber ein Spiegel. Die Wände des Raumes waren mit einer hellbraunen, körnigen Schicht bedeckt. Lehmputz? Ein großes Fenster ging zum Garten raus.
Peter legte seinen Finger auf einen Lichtschalter neben der Tür, ließ ihn dort ruhen, drückte schließlich. Eine Deckenlampe flammte auf.
»Im restlichen Haus kein Strom, hier Strom? Im restlichen Haus alles pfui, hier hui? Will der uns verarschen?« Er zog die Augenbrauen hoch. Vielleicht hatte der Tote das Haus nach und nach renovieren wollen und das Bad war als Erstes fertig geworden? Aber was war mit der Küche? Eine Küche brauchte man doch. War Leonhart Schmidt nach diesem Luxusbad die Kohle ausgegangen? Er behielt seine Gedanken für sich. Vor Tanja wollte er sich nicht mit seinen Theorien blamieren.
Hier war nichts weiter zu sehen, das Bad war vorbildlich aufgeräumt und im Gegensatz zu den Räumen, die sie bisher gesehen hatten, picobello sauber. Peter ging zurück in den Flur und wandte sich dem Zimmer auf der anderen Seite zu, dem letzten im Erdgeschoss. Er atmete tief ein und öffnete die Tür.
»Ein Büro«, sagte Tanja überrascht, die ihm über die Schulter guckte.
Ein riesiger Schreibtisch aus Holz füllte fast die gesamte rechte Seite aus, davor einer von diesen angeblich rückenschonenden Hockern in seltsamer Form. Links vom Schreibtisch gab es ein deckenhohes Regal, vollgestopft mit Büchern und Ordnern. Auf dem Schreibtisch stand