Sturm über der Eifel. Katja KleiberЧитать онлайн книгу.
stehen. So ein Telefon hatte seine Mutter früher gehabt, erinnerte er sich. Wenn ein Gespräch länger dauerte, hatte sie in einem Sessel gesessen, den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt. Der Sessel hatte allein dafür neben dem Telefon gestanden, denn das hing ja am Kabel und konnte nicht herumgetragen werden.
»Den Raum nehmen wir uns später vor«, entschied Tanja. »Erst mal einen Überblick verschaffen.«
Peter war der gleichen Meinung, aber es gefiel ihm nicht, dass die Koblenzer Kollegin ihn rumkommandierte. So fühlte es sich jedenfalls für ihn an.
Vom Flur aus stiegen sie eine Treppe nach oben. Die Stufen waren mit Staub bedeckt und knarrten bei jedem einzelnen Schritt.
»Nichts«, sagte Tanja enttäuscht, nachdem sie die vier kleinen Zimmer inspiziert hatten.
Diese Etage schien noch weniger genutzt worden zu sein als das Erdgeschoss. Die Tapeten mussten aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammen, außer auf einen wackligen Stuhl waren sie auf keine Möbel gestoßen. Sämtliche Räume zur Straße hin hatten Wasserschäden. Peter dachte an das Dach, das sich bedenklich senkte. Wahrscheinlich war es nicht mehr dicht. Das Geld, das der Eigentümer ins Bad gesteckt hatte, wäre für eine Renovierung des Dachs besser ausgegeben gewesen.
»Wo hat Ötzi geschlafen?«
Peter wusste keine Antwort. Bisher hatten sie kein Bett gefunden. Aber in der Badewanne hatte der doch wohl nicht gepennt, oder etwa doch?
Sie gingen wieder ins Erdgeschoss. Eine Tür zwischen Bad und Büro, die sie zuvor links liegen gelassen hatten, war von innen mit einem Haken gesichert. Peter hob ihn mit einem Finger an, drückte die Tür auf. Vor ihnen ging es drei Stufen hinunter nach draußen.
Der Garten wurde von einer riesigen Linde beherrscht, Blumenbeete oder Rasenflächen waren nicht zu erkennen.
Neben dem Hinterausgang grenzte eine Art Carport an das Haus. Unter der Überdachung entdeckten sie einen gemauerten Grill mit Backofen. Daneben einen Gasbrenner mit einer orangefarbenen Flasche darunter. Ein paar Edelstahltöpfe standen kopfüber auf einem Abtropfgitter neben einer Spüle. Tanja drehte den Hahn auf, Wasser sprudelte heraus.
Ein Trampelpfad führte weiter in den Garten. Er musste einige tausend Quadratmeter umfassen. Vielleicht hatte der Ötzi oder irgendein Vorbesitzer ein angrenzendes Weidegrundstück gleich mit erworben. An Platz mangelte es in der Eifel nicht.
»Guck mal, wo der Pfad hinführt.« Tanjas Stimme klang scharf. »Ich schau mich noch mal in dem Büro um.«
Noch heute Morgen war Peter stolz darauf gewesen, dass Tanja ihn bei den Ermittlungen dabeihaben wollte, doch jetzt kam es ihm so vor, als bräuchte sie ihn nur als Praktikanten. Leider war die Mordkommission ihm übergeordnet. Er war ja nur ein einfacher Kriminalhauptkommissar, der sich sonst mit Geschwindigkeitsüberschreitungen und anderen kleineren Vergehen befasste. Sein derzeit wichtigster Fall war der Diebstahl von fünfzig Heuballen aus einer Scheune. Widerwillig musste er sich bei dem Gedanken eingestehen, dass es doch interessanter war, mit Tanja in einem Mordfall zu ermitteln. Auch wenn sie ihn herumscheuchte.
Kaum war seine Kollegin im Haus verschwunden, sackte Peter auf eine Bank – eher einen Baumstamm, der mit einer Kettensäge so bearbeitet worden war, dass eine Sitzfläche entstand. Er atmete tief durch. Wenn nur diese Kopfschmerzen verschwinden würden. In Köln hatte er am Samstagabend die Bar angesteuert, in der er schon öfter mal erfolgreich Frauen aufgerissen hatte. Nur um festzustellen, dass sie geschlossen war. »Hier öffnet für euch demnächst das Bistro ›Ginkgo‹ – vegane Speisen und Getränke«, verkündete ein Schild an der Tür. Peter bezweifelte, dass er in einem veganen Ginkgo-Bistro eine Frau abschleppen konnte. Jedenfalls keine, die ihm gefiel. Bestimmt gingen da nur Hungerhaken hin, an deren Hüftknochen er sich blaue Flecken holen würde. Nach dieser ersten Enttäuschung war es mit dem Wochenende weiter bergab gegangen, er wollte gar nicht daran denken. Peter rieb sich die Schläfen. Er sollte sich an die Arbeit machen. Tanja hatte ihm einen Auftrag gegeben.
Er rappelte sich auf und folgte dem Pfad, der hinter der Linde zwischen Büschen verschwand. Dahinter entdeckte er eine Reihe von Hochbeeten, in denen Strünke vertrockneter Tomatenpflanzen steckten, und wuchernde Himbeersträucher. Der schmale Weg endete an einer großen Rasenfläche mit einem runden Gebilde. Ein dunkles Zelt mit einer Art Dach.
Peter erinnerte sich, ähnliche Behausungen im Fernsehen in Reportagen über Mongolen gesehen zu haben. Er stand vor einer Jurte.
Die Eifelhexe
Der runde Raum wirkte innen deutlich größer als von außen. Er maß bestimmt fünf Meter im Durchmesser. Die Zeltwände waren mit bunten Tüchern behangen, wie Hippies sie auf Flohmärkten verkauften. Unter dem Zeltdach baumelten Büschel von Kräutern. Der durchdringende Geruch nach Eukalyptus und Salbei hing in der Jurte.
Dem Eingang gegenüber stand ein breites Bett, geschreinert aus schweren Baumstämmen, die roh behauen waren. Darauf lagen jede Menge Felle. Klar, der Ötzi hatte Fellkleidung getragen, der schlief eben auch unter Fellen, dachte Tanja zerstreut. Neben dem Bett ganz traditionell ein Nachttisch mit einem Päckchen Papiertaschentücher darauf. In der Mitte der Jurte fand sich ein Ofen, das Rohr entschwand durchs Dach. Auf dem Ofen stand ein Wasserkessel, daneben lagen Holzscheite.
»Hier hat der Typ gewohnt«, sagte Claes.
Tanja betrachtete ihren behäbigen Kollegen. Er dachte auch nicht schneller, als er sich bewegte. Das Offensichtliche musste man doch nicht erwähnen. Ihr stellte sich eine ganz andere Frage: »Wieso hat er in diesem Zelt gelebt, wenn er doch ein Haus hatte?«
»Vielleicht, weil ihm das Geld ausgegangen war, um weiterzurenovieren.«
»Wir werden beantragen, Einblick in seine Bankkonten zu erhalten. Dann wissen wir, ob er Geldprobleme hatte. Eine Hypothek, laufende Ratenzahlungen, die er nicht mehr bedienen konnte.«
Claes verdrehte die Augen. »Das kann dauern.« Er warf einen angeekelten Blick auf die Felle. »Muss nachts ganz schön kalt gewesen sein.«
»Eben. Unser Opfer hätte sich doch ein Schlafzimmer im Haus einrichten können. Hat ja genug Zimmer. Zur Not hätte es eine Couch im Büro getan.« Tanja umfasste mit einer kreisförmigen Geste den Innenraum der Jurte: »Ich glaube, der hat hier gewohnt, weil es ihm gefiel.« Sie trat den Rückzug an. »Das ist ein Fall für die Kollegen von der Tatortgruppe, wir kümmern uns um die Sachlage.«
Draußen zeigte ihr Claes, was er hinter der Jurte auf einem kleinen Wiesenstück gefunden hatte. Lange Weidenzweige, im Kreis in den Boden gesteckt und oben zu einer Kuppel zusammengebunden.
»Land Art?«, fragte Tanja. Als sie merkte, dass Claes nicht verstand, setzte sie hinzu: »Kunst?«
»Oder ein Hühnerstall aus Naturmaterialien, der nicht fertig geworden ist?« Claes klang wenig inspiriert.
Im Vorbeigehen hatte Tanja bemerkt, dass er nach Alkohol roch. Schwach, aber deutlich. Hatte er schon morgens gebechert? Sie würde von jetzt an darauf achten, ob er heimlich trank. In der Schulung zu »Suchtverhalten im Beruf« war sie erst vor Kurzem dafür sensibilisiert worden, Alkoholismus zu erkennen und damit umzugehen.
Sie machte mit dem Handy ein paar Fotos von dem Gebilde, bevor sie gemeinsam ins Haus zurückgingen.
Claes schnaufte unüberhörbar, als sie die drei Stufen vom Hintereingang hinaufstiegen.
Seit letztem Jahr hatte er an die zehn Kilo zugelegt, schätzte sie. Sport war offensichtlich nicht sein Ding – während sie ihre Karatestunden schon jetzt vermisste. Hoffentlich kämen sie gut voran, sodass sie am Freitag keine Nachtschicht einlegen müsste und pünktlich zurück in Koblenz wäre, um im Dojo zu trainieren. Oder sie würde einfach früher Schluss machen und Claes die Arbeit aufs Auge drücken. Schließlich musste sie sich auch noch auf die Fallanalyse für ihren Vortrag bei der Fortbildung vorbereiten. Auch das galt als Arbeitszeit.
Tanja ging in das Büro mit dem schweren Schreibtisch und nahm den Hörer von dem altmodischen Telefon. Das Freizeichen erklang. »Angeschlossen. Wir werden die Telefongesellschaft um eine Liste der letzten Verbindungen