Magie. Ines WitkaЧитать онлайн книгу.
will. Mein Körper reagiert auf diese Sexszenen in meinem Kopf mit starker Erregung, obwohl oder gerade weil es ein Hardcore-Porno ist. Diese Herren der Hölle, so nenne ich sie, sind mein Dilemma, und sie existieren schon seit Langem in einem Paralleluniversum in mir. Waren sie früher zuverlässig nach jeder Auseinandersetzung mit Alexander aufgetaucht, sind ihre Auftritte zwar weniger geworden, doch nicht minder intensiv. Ich werde hier nicht über meine gnadenlosen Geister sprechen, das habe ich mir fest vorgenommen.
Gil kennt meine Fantasien und hilft mir, sie einzuordnen und manchmal auch auszuleben.
Seitdem gelingt es mir immer öfter, sie wegzuschieben. Warum ist das überhaupt wichtig? Weil ich jedes Mal, wenn es mir nicht gelingt, hinterher den Menschen verachte, den ich eigentlich lieben sollte: mich.
Ich straffe meine Schultern. Und merke, dass ich den größten Teil von Gils Rede verpasst habe.
»Wenn wir frei von Ängsten und Tabus ausprobieren könnten, was wir erleben möchten, was wäre das? Was finden wir in uns, wenn wir Bilder aus Pornos, Werbung und Filmen ausblenden? Was war das Beste, was ich erfahren habe? Wann fühle ich mich als sexuelles Wesen? Wie nenne ich mein Geschlecht?« Gil lässt ihren Blick über die Frauen schweifen. Alle hören aufmerksam zu.
Sichtlich bewegt spricht sie weiter. »Sind das einfache Fragen? Ich glaube nicht. Obwohl an unserem Geschlecht nichts Schmutziges oder Hässliches ist, scheint es schon schambesetzt zu sein, seinen Namen auszusprechen.«
Eine blonde Frau mit tiefschwarz getuschten Wimpern sitzt auf einem Barhocker. Auf ihrem Namensschild steht PIA. Sie tuschelt mit der Frau im karierten Anzug neben sich. Dann lacht sie und wirft in einer provokanten Geste ihre Haare zurück. Sie trägt große Ohrringe, die die Form einer Vulva haben.
»Wie schön! Hier hat sich eine von uns davon befreit«, reagiert Gil sofort darauf. »Wie wir das Geschlechtsorgan nennen, zeigt, welche Bedeutung es für uns hat.«
Pia ruft: »Honigtopf!« Und zieht damit weitere Blicke auf sich. »Damit locke ich die Männer an und lasse sie daran schlecken.« Einige Frauen klatschen spontan.
»Danke! So einfach kann es sein, wenn wir uns trauen, darüber zu sprechen. Weitere Ideen? Scheide?«
»Gruselig!«, ruft die Frau im karierten Anzug.
»Klingt nach Mittelalter und Medizin«, ergänzt Pia.
»Vagina? Muschi? Vulva? Geheimer Garten? Ihr könnt euch gleich über die Begrifflichkeiten austauschen.«
Ich ertappe mich bei dem Gedanken, wie cool ich es fände, wenn nun alle anwesenden Frauen mit den Füßen stampfen und dazu im Takt Vul-va-Vul-va-Vul-va rufen würden. Das muss ich nachher unbedingt Ella sagen, sie könnte so etwas initiieren.
»Es ist also nicht damit getan, dass ihr mir heute einfach zuhört. Beteiligt euch, zeigt euch! Ich weiß, das kostet Mut. Doch wir sind keine Richterinnen, die urteilen oder gar verurteilen, die entscheiden, was gestört und was normal ist. Was ist schon normal? Es gibt Unterschiede, einfach deswegen, weil es unterschiedliche Frauen gibt. Glaubt mir, die Norm ist ein zu schmaler Grat für uns vielfältige Weiber.«
Alle lachen, manche in ihrer Anspannung zu laut.
»Außerdem können wir nicht einerseits für ein eigenes Begehren plädieren und andererseits ein Verhalten ablehnen, weil es uns vielleicht zu verklemmt oder zu progressiv erscheint oder sonst wie von der eigenen Vorstellung abweicht. Es geht nicht darum, bestimmte Handlungsweisen oder Fantasien aus dem Repertoire zu streichen, sondern um die Erweiterung des Spektrums. Vorausgesetzt …«
»… alle Beteiligten sind einverstanden!«, ergänzt Ella mit lauter Stimme und bewegt ihre Arme wie eine Dirigentin. Ich mustere die anwesenden Frauen verstohlen und freue mich, wie sie lockerer werden.
»Die Fragen, die ich aufgeworfen habe, beantworten wir sicher nicht alle heute. Wie schon gesagt, wir forschen.«
Beifälliges Nicken.
»Unterstützt werde ich heute von Ella, Sophia und Viktoria, die euch gleich erzählen wird, wie wir uns den Austausch beim Roten Mond Salon vorstellen. Ach ja, wer mich noch nicht kennt: Ich bin Gil Gardner, die Intendantin des Liliths. Außerdem bin ich Künstlerin, und, falls es euch beruhigt, ich habe einen Master of Science in Psychologie.«
Dann schaut sie mich an. »Viktoria, du hast das Wort.«
Ich trete vor. »Hallo.« Meine Stimme klingt dünn. »Ein herzliches Willkommen. Ich möchte euch erklären, wie wir uns den Abend gedacht haben.«
»Könntest du bitte etwas lauter sprechen?«, ruft eine rothaarige Frau, die weiter hinten auf einem Sofa sitzt. Unsicher schaue ich zu Gil. Sie nickt und winkt. Mit zitternden Knien steige ich die drei Stufen zum Podium hinauf. Und ich schaffe es, ohne zu stolpern. Ich atme ein und versuche, so selbstsicher zu sprechen wie Gil. Auch wenn ich dadurch deutlicher und lauter werde, klingt meine Stimme schrill. »Wir bilden drei Gruppen und verteilen uns an den Tischen.« Dabei zeige ich auf die Arbeitsinseln, die die Bühnenarbeiter nach meiner Zeichnung aus mehreren Tischen gebildet haben und auf denen Papiertischdecken liegen. »An jeder Insel beschäftigen wir uns mit einer anderen Frage. Ihr könnt von einem Tisch zum nächsten gehen. Ihr trefft dort Ella, Sophia oder mich, und wir erzählen uns gegenseitig von unseren Ideen. Gil hat bereits ein paar Anregungen auf die Papiertischdecken geschrieben. Ihr könnt gerne eure eigenen Gedanken dazu malen oder schreiben.« Beruhigt merke ich, dass meine Stimme nun normal klingt. »Ihr habt genug Zeit, an alle Tische zu gehen. Dann gehen wir in die große Runde, wo wir alle unsere Gedanken miteinander verbinden und diskutieren wollen. Bevor wir beginnen, gebe ich an Ella weiter, die uns mit einer Körperreise einstimmt.«
»Ich bitte euch, alle aufzustehen«, sagt Ella. Es wird kurz unruhig im Raum, als sich die Frauen von Sofas und Stühlen erheben.
»Wie fühlt ihr euch an dem Platz, an dem ihr gerade steht? Fühlt er sich gut an? Nein? Dann geht herum, sucht euch einen besseren.«
Ella spricht in einer tiefen Stimmlage, die ich bisher selten gehört habe. Sie klingt angenehm durch den gesamten Raum, während die Frauen einen neuen Platz erspüren. Einige treten nur kurz von einem Fuß auf den anderen. Manche gehen einige Schritte. Gil und ich steigen vom Podium. Sie umarmt mich rasch.
»Ist jede von euch zufrieden?« Zustimmendes Gemurmel. »Dann suche bewusst den Kontakt zum Boden. Stehe sicher auf beiden Beinen. Schließe die Augen. Atme tief aus und ein.«
Es wird ruhig im Theatercafé. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen, die meisten Frauen sind Ellas Anweisungen gefolgt.
»Denke an einen schönen Sex-Moment mit einer anderen Person, oder als du allein mit dir warst. Komme in Kontakt mit deinem erotischen Wesen. Ist es von flirrendem Charakter, heiß und schnell? Oder ist es im Kern langsam? Egal, wie dein Stimulus ausfällt, ob er in der Fantasie oder in der konkreten Berührung liegt, lehne deine erotischen Wünsche nicht ab. Auch wenn sie manchmal irritierend sein mögen. Akzeptiere sie! Sie gehören zu dir! Ihr wisst, gerade Verbotenes ist anregend, und gesellschaftliche Korrektheit langweilt.«
Einige Frauen lachen wissend.
»Spüre bewusst den Lebensstrom deines Verlangens. Wie er von deinem Becken aufsteigt, sich ausbreitet. Bewege deine Hüften, schwinge in deinem Rhythmus.« Ella lacht leise und sanft. Sie macht eine kleine Pause bevor sie wieder spricht. »Ist diese Bewegung schon Sex? Kreise weiter! Spüre dich in deiner Stärke und auch Verletzlichkeit. Genieße beides!«
Ihre warme, tiefe Stimme entspannt mich. Ella summt und bewegt sich neben mir. Ich spüre ihre Körperwärme und die der anderen Frauen.
»Frage dich nun: Welche Sexualität brauche ich? Befreie sie von jeder Peinlichkeit und Scham, die nur dazu dient, dich gefangen zu halten.«
Mir gefällt die Vorstellung, weiß jedoch, dass ich weit davon entfernt bin, frei von Ängsten zu sein. Auch wenn Roland glaubt, ich sei nun anders und unanständig, nur weil ich in Liliths Secret Theatre auftrete, bin gerade ich eine Gefangene meiner drastischen Fantasien.
»Halte die Augen noch geschlossen. Spüre dich,