Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2). Perry RhodanЧитать онлайн книгу.
die Tefroder ein viel zu individualistisches Volk.
Für wahrscheinlicher hielt ich es, dass die Besatzung von YEDDVEN von sich aus abgeneigt war, mit uns in Kontakt zu treten. Zutiefst abgeneigt. Auch die Einrichtung der Privatsphäre, in deren Genuss der Tamaron in der vergangenen Nacht gekommen war, erschien in anderem Licht: Ousha Rikmoon hatte auf diese Weise verhindert, dass die anderen späten Spaziergänger in Unruhe verfielen.
Und die gemeinsame Nacht?
Meiner Vermutung zufolge hatte Rikmoon die Funktion einer Sonde, ausgeschickt, den Tamaron und womöglich die Milchstraßen-Tefroder überhaupt auszuforschen.
Ich lotste den Tamaron durch die Station. Ich erwartete, dass uns der Zugang zu der Landefläche untersagt werden würde, ich erwartete tefrodische Wächter, Kampfroboter, versiegelte Schotte. Nichts davon. Schon auf den letzten hundert Metern vor dem Ausgang hatte ich bemerkt, dass die Atmosphäre in den Korridoren sich verändert hatte, wenn auch nur minimal. Fast überall sonst lag die Kohlenstoffdioxid-Konzentration bei 0,097 Prozent; die ausgeatmete Luft hatte das Gasgemisch mit Kohlendioxid angereichert.
Nahe dem Ausgang betrug der Gehalt an Kohlenstoffdioxid 0,041 Prozent.
Das hieß: An diesem Ort wurde nicht geatmet.
Da hieß: Die Bewohner der Station mieden diesen Sektor.
Und dazu schien kein ausgesprochenes Verbot notwendig zu sein.
Ungehindert betraten wir eine Luftschleuse. Der Tamaron schloss seinen Helm und überprüfte das Lebenserhaltungssystem. Wir aktivierten die Kammer. Die Luft wurde abgepumpt. Das Schott öffnete sich.
Wir betraten die Plattform.
*
Eis. Die gesamte, 95 Quadratkilometer messende Oberfläche war vereist. Die Scheibe des Weltraumbahnhofs war so positioniert, dass, wer auf einer der beiden Landeflächen stand, die Hälfte der großen Spiralgalaxis sah und, wenn er sich im Halbkreis drehte, die gesamte, weit entrückt wirkende Milchstraße.
Planetares Eis schloss manchmal Luftbläschen ein, die es weiß erscheinen ließen. Dieses Eis dagegen war restlos klar. Wie war es hergekommen? Wozu diente es? Hatte man die Wasserstoffvorräte der Maahks mit Sauerstoff gebunden? War es ein Wasser- und Gasreservoir?
Der Tamaron schaltete den Helmscheinwerfer ein und durchleuchtete das Eis. Zehn Meter tief unten spiegelte sich das Licht in der metallenen Verschalung der Station.
Das Wrack lag etwa drei Kilometer entfernt. Der Tamaron gab mir ein Handzeichen: Er wollte gehen.
Wir hielten auf die Fragmente des Radschiffes zu. Ich hörte einen Ausruf.
Vetris-Molaud hob die Hand. Da sah ich ihn auch – den Eisläufer.
Ich war, das gebe ich zu, verblüfft wie selten zuvor. Zwischen uns und dem Eisläufer lagen etwa 400 Meter, manchmal etwas mehr, manchmal weniger, je nachdem, welche Figur er tanzte.
Viele humanoide Völker trainieren ihre Bewegungsfähigkeit und ziehen aus dem Akt der Mobilität Befriedigung und Freude. Eine Quelle von Emotionen, die mir wohl niemals sprudeln wird.
Ich weiß, dass auch die Terraner das Laufen auf Eis als Kunst betrachten: Sie laufen vorwärts und rückwärts, sie gleiten; sie beugen das Knie und strecken das Bein; sie wechseln Fuß, Richtung und Kante. Sie springen, sie drehen Pirouetten. Sie tragen besondere Schuhe dazu, gepolstertes, wärmendes Leder mit Versteifungen, die dem Druck widerstehen. Schuhe, die mit Kufen ausgestattet sind.
Der Eisläufer, der auf dem Eisrund des Weltraumbahnhofs lief, hatte kein Bein. Und humanoid war er keineswegs.
Der Tänzer hatte einen zapfenförmigen, etwa zwei Meter hohen Leib, der sich nach unten stark verjüngte. Ohne Hals saß ein elliptischer Schädel zwischen den abgerundeten Schultern. Aus dem Schädeldach ragte ein Y-förmiges Organ, an dessen oberen beiden Ausläufern sich kugelförmige, facettierte Optikrezeptoren befanden. Zwischen den beiden Augenstreben spannte sich eine v-förmige Membran, mit der dieses Wesen meiner Vermutung nach akustische Signale sowohl von sich geben als auch empfangen konnte.
Im oberen Brustteil lagen zwei waagerechte Münder übereinander, von denen der eine wohl zum Essen, der andere zum Atmen diente.
Der Leib war wie auch der Schädel und die drei Arme stark geschuppt. Die Kopfschuppen waren heller, beinahe knochenbleich, die Körperstamm- und Armschuppen hingegen von einem dunklen Violett. Arme wuchsen dem Eisläufer aus dem oberen, breiten Drittel des zapfenförmigen Leibes. Sie liefen spitz zu und wiesen weder Hände noch Greiflappen auf.
Ich hatte keinen Zweifel, dort ein organisches Wesen tanzen zu sehen. Bis auf eine Art Schal aus grauem Material, den es sich um das untere Drittel seines Leibes geknotet hatte, schien es nackt. Etwas Wärme stieg aus dem Inneren des Weltraumbahnhofs auf und durchdrang den Eispanzer; dennoch betrug die Temperatur auf der Landefläche minus 262 Grad Celsius. Der Tänzer aber leuchtete in der Finsternis, jedenfalls wenn ich ihn im Infrarotbereich betrachtete: ein glühender, tanzender Stern auf dem vereisten Firmament der Landefläche.
Da es keine Lufthülle gab, war es still, leerraumstill.
Die Kreatur trug – mangels Beinen und Füßen – keine Schuhe.
Sie hielt die drei Arme nach unten gestreckt und berührte mal mit allen drei Armspitzen das Eis, mal hielt sie mit zwei ihrer Arme wenige Millimeter Abstand, während der dritte das Eis berührte, wodurch er einem eigentümlichen Ruder gleich.
Ich bin nicht jung, Mascant. Du und ich – was unser Alter angeht, geben wir uns nicht viel. Ich bin nicht immer auf Reisen gewesen, dennoch habe ich viele Lebewesen unterschiedlichster Gestalt gesehen. Mancher Anblick hatte eine Emotion in mir ausgelöst, und manche dieser Emotionen hatten mich selbst erstaunt.
Das Wesen tanzte, es glitt und sprang, es drehte sich. Es tanzte mit einer beispiellosen Grazie. Und es löste Emotionen in mir aus, und ich war mir vom ersten Moment an sicher, dass es die angemessenen Emotionen waren: Ich empfand vor diesem Wesen nichts als Abscheu und Furcht.
Mein positronischer Existenzanteil widersprach. Dennoch: Mir war, als sähe ich einen grauenvollen Totengeist tanzen.
*
Der Tamaron sah dem Schauspiel eine Weile zu. Hinter dem Eisläufer ragte das Felgenfragment des Radraumers auf, 270 Meter hoch und gewölbt wie die Mauer einer Talsperre, die hinter sich das Nichts versammelte. Die Struktur der Schiffshülle mutete tatsächlich steinern an, wie dunkles, an Eisen und Magnesium reiches Glimmergestein. Etwas hatte größere und kleinere Brocken aus dem Ringsegment herausgeschlagen oder möglicherweise herausgeschleudert. War es von innen heraus gesprengt worden? Die Fragmente lagen wie Findlinge über das Eis ausgestreut.
Nachdem der Tamaron mit dem Bemühen gescheitert war, Funkkontakt zu dem Tänzer herzustellen, wandte er sich an mich: »Versuch, ihn zu stellen!«
Ich überwand die 400 Meter in wenigen Sekunden. Der Eisläufer verringerte seine Geschwindigkeit nicht. Ich passte mein Tempo an und schwebte neben ihm her. Ich schickte ihm via Hyperfunk ein paar Zeichenfolgen, Formeln für platonische Körper, Polyeder mit vollkommener Symmetrie, wie sie jeden denkenden Geist ansprechen.
Der Eisläufer reagierte nicht.
Ich aktivierte mein drittes Auge und projizierte ein Holo, das uns beide zeigte, den Tänzer und mich, wie wir zur Ruhe kamen und einander mit den Extremitäten berührten.
Auch auf dieses visuelle Angebot erhielt ich keine Antwort.
Also rückte ich etwas näher an ihn heran und spannte meinen Kopfschirm auf. Ich lauschte auf die Frequenz seiner Hirnwellen, empfing aber nur etwas wie ein unendlich fernes, elektrisches Echo.
Bevor ich physischen Kontakt aufnehmen konnte, berührte der Tänzer mich mit der Spitze eines seiner Arme.
Ich fühlte mich von einer unwiderstehlichen Gewalt herumgewirbelt. Zwei meiner acht Kopfarme wurden herausgerissen, dann ein dritter. Ein Schmerzäquivalent warnte mich; ich wies es zurück. Ich musste mich konzentrieren.
Ich