Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2). Perry RhodanЧитать онлайн книгу.
er sah, wer draußen am Fuß der Rampe auf ihn wartete, wurde ihm einen Moment lang schwer ums Herz. Reginald Bull war unrasiert und hatte in den vergangenen Wochen offenbar ein paar Pfunde zugelegt. Rhodan erinnerte sich noch deutlich, wie sie bei ihrem Abschied böse Worte getauscht hatten, halb im Spaß, halb im Ernst. Bull war wütend gewesen, weil Rhodan Bulls Hilfe zwar unter Protest angenommen, ihm aber die Mitreise verwehrt hatte. Rhodan bedauerte seinen Entschluss jedoch nicht, auch nicht im Nachhinein.
Sobald Bulls Blick auf seine beiden Töchter fiel, die hinter Rhodan auf die Heckschleusenrampe traten, hellte sich seine Miene auf.
»Laura!«, rief er. »Sophie!«
Die beiden Frauen eilten an Rhodan vorbei und fielen ihrem Vater um den Hals, der in der zweifachen Wolke roter Locken beinahe verschwand. Rhodan wartete geduldig, wollte diesen Moment nicht stören. Gerade Sophie hatte eine Menge durchgemacht und erst kürzlich ihr Sprechvermögen wiedererlangt. Rhodan empfand tiefe Dankbarkeit – er hätte seinem Freund nicht unter die Augen treten können, hätten seine Töchter bleibenden Schaden erlitten.
Er fragte sich, wo Thora und seine Söhne steckten. Hinter Bull scharten sich mehrere Raumsoldaten, die Waffen im Holster, doch die Gesichter so hart, dass kein Zweifel an ihrer Entschlossenheit bestand. Und vom Ende der Halle näherte sich ein Mann, den Rhodan schon lange nicht mehr gesehen hatte, an dem die Jahre jedoch anscheinend spurlos vorübergingen: Leibnitz, der geheimnisvolle Schiffbrüchige aus Andromeda, der inzwischen zum Sprecher NATHANS und Majordomus der Lunar Research Area, der LRA, avanciert war. Hinter ihm schwebte nicht minder mysteriös die Posbi Monade, mit der Leibnitz in ständiger quasitelepathischer Verbindung stand. Der MINSTREL glitt lautlos die Rampe hinab und schwebte den beiden entgegen.
Laura und Sophie lösten sich von ihrem Vater.
»Hallo, Perry!« Bulls Augen waren so klein, dass man nicht erkennen konnte, ob Tränen der Trauer oder der Freude in ihnen standen.
Perry Rhodan ging auf seinen Freund zu und umarmte ihn. Die Raumsoldaten machten ihnen Platz, rührten aber sonst keinen Muskel.
»Gut siehst du aus«, sagte Bull leise. »Wie geht es dir?«
»Besser«, antwortete Rhodan und wählte seine Worte mit Bedacht – denn natürlich durften sie nicht zugeben, dass sein Flug nach Lashat eigentlich Bulls und Thoras Idee gewesen war. »Man sagt mir, ich sei wohl geheilt. Und du? Hattet ihr Schwierigkeiten?«
Bull schüttelte den Kopf. Anscheinend hatte niemand ihm und den anderen eine Beteiligung am Diebstahl der FANTASY nachweisen können. Rhodan fiel ein Stein vom Herzen.
Bull drückte ihn noch einmal, dann ließ er Rhodan los.
Rhodan kannte ihn lange genug, um zu sehen, dass dem Freund etwas auf der Seele lag. »Was ist mit dir? Wo drückt der Schuh?«
Kurz sah es aus, als wollte Bull es als Nichtigkeit abtun, dann gab er nach. »Thora. Sie und deine Jungs sind mit der CREST II nach Arkon geflogen.«
Rhodans Magen krampfte sich zusammen. »Nach Arkon? Wieso das?«
»Es gab ein offizielles Ersuchen ihrer kristalldurchlauchten Animosität, Theta der Wichtigen«, ulkte Bull. »Und glaub mir, ich bin ebenso wenig begeistert davon wie du. Aber Thora wollte unbedingt. Und Michelsen hat es ihr erlaubt – sie kann dir alles Weitere erklären.«
»Ich werde sie kontaktieren, sobald ...«
»Perry Rhodan«, unterbrach da der Anführer der Raumsoldaten, der die Abzeichen eines Leutnants trug und sich bisher zurückgehalten hatte. »Sie stehen unter Arrest! Im Namen der Terranischen Union werden Sie aufgefordert, uns ohne Widerstand zur Erde zu begleiten, um sich vor dem Rat zu verantworten. Bis dessen Urteil ergeht, sind Sie all Ihrer Ämter enthoben.«
Rhodan verstummte. Das war es also. Was ihn zu Hause erwartete, und der Grund, weshalb man ihn nicht mit »Protektor« angesprochen hatte. Nun, es traf ihn nicht unvorbereitet.
Bull warf dem Leutnant, der keine Miene verzog, einen säuerlichen Blick zu. Als Systemadmiral war Bull eigentlich der oberste Befehlshaber aller Raumflottenangehörigen. Es war offensichtlich, wie wenig ihm die Situation gefiel und dass er sie sich nicht ausgesucht hatte.
»Tolles Timing«, lobte er den Leutnant. »Guter Mann.«
»Lass es gut sein«, lenkte Rhodan ein, ehe sich sein Freund in einen seiner berüchtigten Wutausbrüche hineinsteigerte. »Ich habe nicht vor, mich zu widersetzen.« Etwas leiser fügte er hinzu: »Conrad wird dir vollständigen Zugriff auf unsere Logbücher geben. Mach dir am besten selbst ein Bild, in Ordnung? Und ... sag John und Belle Bescheid! Belle soll sich auf eine Überraschung einstellen.«
Inzwischen hatte sich ein großer Kreis um sie gebildet: die Besatzung der FANTASY auf der einen Seite, die ungeduldigen Soldaten und das Hangarpersonal der Lunar Research Area auf der anderen. An der Grenze beider Gruppen standen Leibnitz und Monade, die noch mit dem MINSTREL konferierte. Nur die Farbreflexe auf ihrer nachtschwarzen Oberfläche und das endlose Spiel der kleinen Kuben verrieten die lautlose Unterhaltung der beiden Maschinenwesen.
Dann räusperte sich Leibnitz vernehmlich und trat auf Rhodan zu. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben dürfte ...« Er hielt Rhodan ein kleines Stück Papier hin. »Reden Sie mit niemandem, ehe Sie nicht von uns hören.«
Unter den achtsamen Blicken der Wachmannschaft nahm Rhodan das Papier entgegen und runzelte die Stirn. Es war eine altmodische Visitenkarte. »Jeremiah Goslin«, stand darauf in fröhlichen Lettern. Und darunter, etwas seriöser: »Rechtsberater«. Daneben war ein stilisierter, schwarzer Melonenhut abgebildet.
Uns?, fragte sich Rhodan, sprach es aber nicht aus.
Leibnitz nickte freundlich.
»Danke.« Perry Rhodan steckte die Visitenkarte ein. »Sie wissen ja, wo Sie mich finden.« Dann wandte er sich dem Anführer des Arresttrupps zu. »Gehen wir!«
2.
Flaschenpost
Die Wahrheit war, Reginald Bull mochte den Mond nicht. Das hieß, vielleicht hatte er ihn einmal gemocht – sehr wahrscheinlich sogar, sonst wäre er kaum Astronaut geworden. Aber spätestens seit sich NATHAN auf Luna breitgemacht hatte, bedeutete der Erdtrabant nur noch Schwierigkeiten. Und für all den Ärger, den der Mond machte, war er eigentlich noch immer ein recht hässlicher Brocken.
Luna war der Ort, an dem Bulls Töchter arbeiteten, sodass er sie viel zu selten zu Gesicht bekam. Und die Arbeit hatte sie verändert. Etwas war mit Sophie auf dem Flug der FANTASY geschehen, und obgleich sie ihm versichert hatte, dass es ihr gut ginge und sie ihm später alles erzählen würde, traute er dem Braten nicht. Sie befand sich derzeit auf der Medostation – Routine, natürlich, es war immer alles nur Routine – und Laura hatte irgendwas Dringendes mit NATHAN zu besprechen.
Der Mond war wie eine besonders hässliche Stadt, überlegte Bull, während er den Flur zur Luftschleuse entlangging. Nur dass sie vor einem halben Jahrhundert plötzlich unglaublich wichtig geworden war und er seitdem ständig dienstlich dorthin zurückkehren musste wie ein lustloser Pendler.
Wenigstens war er nicht der Einzige.
Die Schleuse öffnete sich: John Marshall und Belle McGraw traten heraus, beide mit einer Reisetasche über der Schulter.
»Reg!«, rief die Wissenschaftlerin und schloss Bull in die Arme. »Schön, dich zu sehen. Es ist schon wieder so lange her.«
»Stimmt«, gab ihr Bull recht. »Viel zu lange.« Marshall und McGraw waren zwei der wenigen Menschen, bei denen er sich so gut aufgehoben fühlte, dass es ihm beinahe unheimlich war. Wahrscheinlich, weil sie sich buchstäblich nicht verändert hatten – genau wie er. Sie alle trugen Zellaktivatoren. Und genau wie Bull trug McGraw den ihren vor allem deshalb, weil sie andernfalls nach Ablauf der lebensverlängernden Frist ihrer Zelldusche gestorben wäre.
»Gut siehst du aus!«, scherzte sie.
Bull rang sich ein müdes Lächeln ab. »Sehr witzig.«
Sie waren Gauner – das