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Elfenzeit 6: Zeiterbe. Uschi ZietschЧитать онлайн книгу.

Elfenzeit 6: Zeiterbe - Uschi Zietsch


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Hirsch blieb hinter ihnen zurück, während das Hermelin über den See lief, sich zwischen den Nebelsäulen hindurch schlängelte, hinein tauchte, nur um eine Körperlänge weiter vorn wieder aufzutauchen. Ein Umriss nur, aber auf magische Weise so real wie alles andere, das Rian wahrnahm.

      »Komm«, sagte sie und hielt ihrem Bruder hinter ihr die Hand entgegen.

      Diesmal blieb David stumm, als er seine Hand voller Vertrauen in ihre legte und sie sanft umschlang. Ihr Zwillingsblut ließ ihre elfische Seite im Gleichklang schlagen, so wie einst.

      Gemeinsam folgten sie dem kleinen Boten. Und als Rian den ersten Schritt in den See hinein unternahm, da teilten sich der Nebel und das Wasser und gaben einen schmalen Pfad zwischen den Elementen frei.

      8.

       Bandorchus Ausflug

      Hügel von Tara

      Bandorchu saß auf ihrem Bett im frisch errichteten Schlafgemach und spießte mit einem Zahnstocher die Augen einer unartigen Dryade auf, die man ihr auf einem Teller serviert hatte.

      Ohne ihre Besitzerin waren es nur mehr tote hölzerne Klötze, in deren Mitte eine bleiche, eichelförmige Pupille saß. Das Leben eines Menschen war genauso leicht zu beenden wie das eines Baumgeistes. Es war der Widerstand, den Bandorchu so sehr an den Nicht-Elfischen genoss. Dieser kindliche Trotz, gepaart mit einem starken Willen, der im Kontrast zu ihren verletzlichen Leibern stand. Doch gegen Magie waren sie machtlos. Selbst ein einfacher Kobold wie der Springgans konnte sie dazu bringen, willenlos Befehlen zu folgen. Und genau das würde sie sich zunutze machen. Das hatte er mit dieser albernen Zahnstocherlieferung eindrucksvoll bewiesen.

      Die Dunkle Königin konzentrierte sich und sog die Energien, die über die Ley-Linien zu ihr strömten, in sich auf. Ihr treuer, schattenloser Diener hatte gut daran getan, die Stäbe an den nördlichen fünf Hauptknoten zu setzen, um ihr die Quelle der Macht zugänglich zu machen.

      Auf diese Weise konnte sie ihr Reservoir zur Gänze auffüllen, zu hundert Prozent auftanken, statt sich weiter mit den Häppchen zufrieden geben zu müssen, die die Menschen ihr geboten hatten. Wirre, beschädigte Seelen, die Bandorchus Diener nach dem Übertritt in diese Welt aus den abgelegenen Gassen der Städte herangeschafft hatten. Doch damit war vorerst Schluss. Jetzt, da sie auf die geballte Energie aus der Erde zugreifen konnte.

      Alle würden ihr zu Willen sein, wenn sie sich erst diese Welt und die der Sidhe Crain Untertan gemacht hatte. Der nötige Grundstein war gelegt, das Basislager im Aufbau. Nun galt es, den Schlachtplan genauer auszuarbeiten. Sie brauchte noch mehr Macht, mehr Energie! Sie würde ihre Heerschar zu einem einzigen vernichtenden Schlag in den Krieg führen. Also musste jedes noch so winzige Rädchen im Getriebe einwandfrei funktionieren.

      Und ausgerechnet in dieser vielleicht alles entscheidenden Stunde war ihr wertvollster Diener nicht hier! »Wo bist du?«, rief die Dunkle Königin in den leeren Raum hinein. »Komm zu mir, damit ich dich für deinen Verrat büßen lassen kann!«

      Doch der Getreue tauchte nicht auf. Trotzte ihr schon wieder! Einmal mehr wünschte Bandorchu sich ihr Hündchen herbei, um es zu treten, zu würgen und sich an seinem Leid sattzusehen. Kein anderer hatte es je so lange an ihrer Seite ausgehalten, in Knechtschaft und Pein. Hin und her gerissen zwischen Verzückung und Qual.

      Mit einem Wutschrei sprang die Königin auf und befahl dem Mann ohne Schatten, zurückzukehren und sich ihr auszuliefern. Das Band zwischen ihnen war eng geknüpft. Sie und ihn verband so viel mehr als nur das Streben nach Macht. Sie waren voneinander abhängig. Er brauchte sie. Er zehrte von ihr. Und er würde kommen! Kommen müssen!

      Mit einem giftig-süßen Lächeln auf den Lippen straffte sie sich, rückte ihre Robe zurecht, fuhr sich durch ihr langes, seidig schimmerndes Haar und war wieder die Dunkle Königin, Herrscherin über die Verbannten, Gebieterin ihrer Gefühle. Nichts konnte sie aufhalten. Gefasst und siegessicher trat sie aus der Kammer in den steinernen Palisadengang hinaus.

      Die Wände waren aus massivem Granit gebaut. Wie ein Fort, eine Trutzburg, die dereinst jedem Ansturm standhalten würde. Aber noch war es nicht soweit. Noch brauchte es Vorbereitung und weitere Planung. Und es brauchte die Menschen. Diese unerschöpfliche Welt.

      Sie brauchten Nahrung und Waffen, Handwerker, Schmiede, Bauleute. Und es brauchte Informationen. Ein Netzwerk, das sich über die Welt spannte, um über jedwede Entwicklung, die ihr Vorhaben betraf, auf dem Laufenden zu sein.

      Menschenseelen waren so schwach und anfällig. Ein Fingerschnipsen reichte, um sie sich dienstbar zu machen, ihren Willen zu brechen, sie als brave Marionetten auf dem Schachbrett zu positionieren und nach ihren Wünschen zu verschieben. Es wurde Zeit, die Figuren zu wählen.

      Die Schritte der Dunklen Königin hallten durch die Gänge und fingen sich im Turm der Wendeltreppe, als sie im Stechschritt hinabstieg. Das erste Mal, seit sie in Tara angekommen war und den Bau ihrer Trutzburg begonnen hatte, verließ Bandorchu ihre neue Heimstatt, trat aus dem schützenden Wall heraus, um sich unter die Menschen zu mischen. Gänzlich allein. Durch ihre eigene Macht geschützt.

      Der Weg ins Dorf war nicht weit. Nach ein paar hügeligen Wiesen und Feldern tauchten die kleinen Hütten und Höfe vor ihr auf. Ein typisch irisches Idyll. Durchdrungen von Schafdung und schalem Ale. Die Menschen hier liebten es einfach, herzlich und streitlustig, so viel wusste Bandorchu über das Volk der Koboldfreunde und Freiheitskämpfer.

      Mit erhabenem Gang stieg sie sicheren Schrittes über die Moosfelder der Weide, öffnete das Gatter und trat wie selbstverständlich hinaus auf die Dorfstraße.

      Die Sonne neigte sich dem westlichen Horizont zu, um sich niederzulegen. Die Bauern waren dabei, ihr Tagwerk zu beenden, die Tiere zurück in ihre Ställe zu bringen, sie zu füttern und schließlich an das eigene Wohl zu denken. Wer nicht daheim bei seiner Familie hocken musste, ging unter Leute. Mit dem schwächer werdenden Licht wurden die Menschen redselig und gesellig.

      Doch als die Dunkle Königin in ihrer weißen, beinahe durchsichtigen Robe, ihrem glatten, strahlendblonden Haar und ihrem zartelfischen Antlitz die erste Häuserzeile erreichte, kam die dörfische Welt zum Stillstand.

      »Oh, wie wunderschön«, hauchte eine Bäuerin, die gerade dabei gewesen war, ihre Wäsche abzuhängen.

      »Ist das ein Engel, Mama?«, fragte das Kleinkind an ihrem Rockzipfel.

      Die Männer hingegen plusterten ihr imaginäres Gefieder, reckten die Köpfe, streckten die Brust heraus und strichen sich das Hemd über ihrer Bierwampe zurecht. Ein besonders eifriger Kerl eilte herbei, zog seine Kappe vom Kopf und verbeugte sich, als wäre Bandorchu eine Balldame und er ihr ergebener Tanzpartner.

      »Was fürne Ehr’, so ne hübsche Dame hier zu ham«, sagte er und lächelte sein schönstes Zahnlückenlächeln.

      Doch die Dunkle Königin war nicht unterwegs, um sich Schmeicheleien abzuholen. Es gab viel zu organisieren. »Wer ist der Krämer an diesem Ort? Wer der Fleischer? Und wer hat einen ordentlichen Karren mit kräftigen Pferden, um mir die gewünschten Güter zu transportieren?«, fragte sie mit klarer, lauter Stimme.

      Die Männer sahen sich an und wirkten unschlüssig. Bis auf den buckelnden Speichellecker wollte sich keiner näher wagen. Also schob sich Bandorchu die Ärmel links und rechts bis zu den Ellenbogen hinauf, ließ die Finger einmal knacken, bevor sie erst nach der Magie in der Erde und dann nach den Seelen dieser Dummköpfe griff.

      Einen nach dem anderen band sie an sich, machte sie alle zu ihren hörigen Opfern, raubte ihnen die Sinne und stahl ihnen ihren Willen. Genau wie es der Springgans zuvor bei dem Schäferjungen getan hatte, um ihr Zahnstocher zu besorgen.

      Ihre Magie floss in schwarzvioletten Strängen zu jedem einzelnen, der sich im Umkreis von fünfzehn Metern auf der Straße befand. Ganz egal, wie sehr die Frauen und Kinder aus der Ferne protestierten oder schrien, die Männer ließen alles stehen und liegen, wandten sich ihrem neuen Mittelpunkt zu und folgten ihrem Ruf.

      »Irwin! Wo willst du denn hin, Irwin?«, rief eine Alte ihrem Mann nach.

      Der Greis kam in schleppendem


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