Elfenzeit 6: Zeiterbe. Uschi ZietschЧитать онлайн книгу.
Blauen Dame zufolge jemand versuchte, Merlin zu wecken?
»Hör auf, missmutig vor dich hin zu starren. Das steht dir nicht«, sagte Rian und grinste ihn von der Seite an. Ihre immerwährende Fröhlichkeit war Fluch und Segen zugleich. Wie schmal der Grat dazwischen sein konnte, merkte David besonders, seit er sich mit menschlichen Gefühlen herumschlagen musste. Stück für Stück weckte die wachsende Seele in ihm Gemütszustände, die mal verwirrend, mal ungewohnt berührend und manchmal auch schrecklich nervig waren.
»Ich halte diese Warterei einfach nicht aus«, gab er mit knurrigem Unterton zurück. »Wer weiß, was Nadja gerade alles durchmacht, seit der Getreue sie entführt hat.«
»Du sagst es! Wir wissen es nicht. Weder, wie es ihr geht, noch, wo sie steckt. Also geh nicht immer gleich vom Schlimmsten aus«, erwiderte seine Schwester.
Eine Tonband-Stimme vermeldete, dass der Aer Lingus Flieger EI1011 nun zum Einsteigen bereit sei und das Boarding in wenigen Augenblicken beginnen würde.
»Nadja wird sich wie immer wacker schlagen. Wenn der Getreue sie Bandorchu vor die Füße hätte werfen wollen, hätte er in Newgrange die perfekte Gelegenheit dazu gehabt. Doch er hat es vorgezogen, mit Nadja zu verschwinden. Warum? Das werden wir bald erfahren.«
»Gleich wäre mir lieber«, sagte David.
Sie standen auf, reihten sich in die Warteschlange ein, zeigten ihre Bordkarten und stiegen unbehelligt ins Flugzeug. Mit ihrem natürlichen Charme und etwas Elfenmagie hatte Rian ihnen zwei Plätze in der ersten Klasse besorgt. Vielleicht um wieder gut zu machen, dass David genau genommen ihretwegen zu dieser Mission gezwungen worden war. Als Begleiter und Beschützer seiner Zwillingsschwester. Denn die besonderen Heilkünste, nach denen die Dame vom See verlangte, waren allein Rians Metier. Aber vielleicht wurde Davids Schwert für das benötigt, was angeblich mit Merlin geschah … ob es stimmte, dass jemand versuchte, den Zauberer aus seinem Bannschlaf zu wecken? Wie sollte das möglich sein, da niemand zu wissen schien, wo Merlins Körper lag?
Nach dem Start des Fliegers entspannte sich David ein wenig. Er wusste sein kurzes Schwert wohlversorgt in der Gepäckablage über ihm. Die Menschen konnten es natürlich nicht als solches erkennen – nicht einmal in dem Moment bei der Sicherheitskontrolle, wenn der Scanner es anzeigte. Technik konnte nicht so leicht überlistet werden, Menschenaugen hingegen schon.
Der Blick auf die fedrig-weiße Wolkendecke unter ihm vermittelte ein Gefühl von Geborgenheit und schenkte gleichzeitig einen Hauch von Zuversicht.
Es wurde Zeit, dass David seine Gedanken auf das richtete, was vor ihnen lag. Frankreich. Die Bretagne und ein Wald, der selbst in der Menschenwelt für seine magische Ausstrahlung bekannt war: Brocéliande. Angeblich die letzte Ruhestätte von Merlin, dem größten aller Zauberer.
Ihr erstes Etappenziel war Paimpont. Gleich nebenan lag der See von Comper – Nimues See. Der Beschreibung nach befand er sich im Norden des weitläufigen Waldgebietes, das einstmals bis nach Huelgoat im Westen gereicht hatte.
Durch die Modernisierung und Urbanisierung über die Jahrhunderte hinweg stand nur mehr ein Bruchteil des Baumbestandes aus längst vergangenen Zeiten, doch die Geschichten lockten noch immer keltische Kultisten, Suchende und Touristen an. So stand es zumindest im Reiseführer, den Rian am Flughafen unnötigerweise besorgt hatte.
Ob tatsächlich aus neu erwachter Leselust oder nur um ihn zu ärgern – sie ließ keine Gelegenheit aus, ihm etwas daraus vorzulesen. Sobald sie eine nennenswerte Stelle entdeckt hatte, plapperte sie los. Und wie immer war in ihren Augen fast alles eine Erwähnung wert.
Was würde Nadja bei all dem durch den Kopf gehen?, überlegte David. Wie würde sie die weiteren Schritte planen? Denn darin war sie als Journalistin geradezu brillant. Eine der vielen Eigenschaften von ihr, die David vermisste.
Alles, was mit ihr zu tun hatte, fehlte ihm. Ihre bernsteinfarbenen Augen, wenn sie ihn auf durchdringende Art ansah. Ihr unbändiger Hunger, der Rians Gier nach Süßem ohne Zweifel Konkurrenz machte, und das, bevor Nadja schwanger geworden war.
Ihm fehlte ihre chaotische Ader, wenn es nicht gerade darum ging, ein Geheimnis zu lüften oder einen Bösewicht zu enttarnen. Denn auch wenn sie als Mensch ein bisschen schusselig war, in ihrem Beruf war sie das genaue Gegenteil. Da war sie ein Profi durch und durch. Ein Grund, warum sie sich überhaupt kennengelernt hatten. Weil sie verdammt hartnäckig sein konnte. Ein Wesenszug, der in mancher Hinsicht auch bei seiner Schwester zu finden war.
Obwohl der Flug kaum länger als zwei Stunden dauern würde, begann Rian gelangweilt auf ihrem Sitz vor und zurück zu rutschen und sich mit verdächtig glitzerndem Blick in der Kabine umzusehen.
»Untersteh dich, hier oben in der Luft irgendeinen Schabernack zu treiben«, mahnte David sie. Doch das schien sie wie immer nur noch mehr anzustacheln.
»Ich fürchte, du wirst eine Weile allein Trübsal blasen müssen. Mir steht der Sinn nach ein bisschen Abwechslung und einer anregenden Unterhaltung.« Mit diesen Worten stand Rian auf, quetschte sich mit ihrer modelmäßig schlanken Figur an ihm vorbei und steuerte zielsicher auf einen Kerl zu, der eine Reihe vor ihnen auf der gegenüberliegenden Seite saß.
»Ist hier noch frei?«, hörte David sie säuseln. Den bezirzenden Augenaufschlag dazu konnte er sich, auch ohne ihn zu sehen, ausmalen.
»Désolé. Quoi?«, erwiderte der Mann sichtlich perplex und wischte sich nach einem Blick auf Rians Erscheinung in typischer Hahnenbalzmanier mit der Hand über den nicht vorhandenen Kamm seiner kurzgeschnittenen Businessfrisur.
David stöhnte innerlich auf. Sie hatten wahrlich Besseres zu tun, als jetzt irgendwelche Typen aufzureißen und am Ende vielleicht auch noch in Schwierigkeiten zu geraten, weil ihre Eroberung sich mal wieder an Rian sprichwörtlich festgesogen hatte.
Immerhin schien der Kerl Manieren zu haben. Bevor Rian sich an ihm vorbeizwängen konnte, um auf den freien Mittelplatz zu gelangen, stand er auf, trat auf den Gang und ließ sie höflich gewähren.
David konnte allein am Sitz seiner Anzugjacke erkennen, dass seine Kleidung nicht von der Stange war. Die Schuhe glänzten frisch poliert und am rechten Handgelenk funkelte das Armband einer protzigen Markenuhr. Eine kleine Überraschung, denn seinem Seitenprofil nach zu urteilen war er relativ jung. Keine dreißig und schon im Big Business. Also offensichtlich ein Mann mit Talent.
»Hallo. Mein Name ist Rian Bonet. Mein Bruder und ich sind das erste Mal nach Rennes unterwegs«, plapperte Rian drauflos, als sie sich gesetzt hatten. »Um die Sehenswürdigkeiten der Bretagne zu besichtigen. Es soll da ja nur so vor magisch-mystischen Orten wimmeln!«
»Ravi de vous rencontrer. Angenehm, Mademoiselle«, antwortete der Franzose. »Mein Name ist Philippe Bourdieu.«
Erneut strich er sich über seine perfekt gestylten Haare, drehte sich ein Stücken weiter zu ihr herum und präsentierte David damit seinen Rücken. »Frankreich, und vor allem die Bretagne, ist immer eine Reise wert«, fuhr er fort und David fiel das erste Mal seine überraschend raue Stimme auf. Hatte er sein Alter unterschätzt?
Während er noch grübelte, sah er, wie seine Schwester den Kopf auf diese typisch lasziv-provokante Art neigte und sich ein klein wenig vorbeugte. »Was für ein wohlklingender, starker Name. Dann kennen Sie sich wohl in der Gegend um Rennes aus, Philippe?«
»Das tu ich in der Tat«, antwortete er fast schon entschuldigend, aber mit spürbarer Leidenschaft hinter seinen Worten. »Meine Familie stammt aus Lorient und hat ein Ferienhaus in der Nähe von Josslin, etwas weiter östlich und nicht direkt am Meer gelegen. Aber der Ort ist ein Kleinod historischer Baukunst.«
»Das klingt wunderbar!«, jauchzte Rian. »Vielleicht kommen wir auf unserem Weg ja bei Ihnen vorbei und Sie können mir die besten Plätze in der Umgebung zeigen? Solche, die nicht im Tourismusführer stehen?«
Mit siegesgewissem Lächeln sah sie zu David hinüber und zwinkerte. Langsam dämmerte ihm, worauf das hinauslaufen sollte. Sie war dabei, ihnen eine Mitfahrgelegenheit zu organisieren. Diesmal ganz ohne Elfenzauber, allein mit den Waffen einer Frau.
»Es wäre