Perry Rhodan Neo 239: Merkosh. Rüdiger SchäferЧитать онлайн книгу.
ersten Mal fragte, wie er zu einem Teil dieser üblen Gruppe geworden war. Er passte so gar nicht zu Breknesh und seinen tumben Schlägern.
»Du kannst es aber gern mal versuchen, Alleswisser!«, rief der Anführer der Truppe. Er sah Merkosh mit breitem Grinsen an. In seinen Adern bewegte sich das Blut in schnellen, ruckartigen Schüben. Unter der milchig weißen Haut war das bereits gut zu sehen, zumal Brekneshs Haut keinerlei Zeichen oder Symbole aufwies. Das schnell schlagende Herz mit seinen sechs Kammern jedoch blieb nur ein diffuser Schatten im hinteren Brustbereich. Die für Oproner typische Körpertransparenz stellte sich erst um das elfte Lebensjahr herum ein.
»Na los!«, provozierte Breknesh weiter. »Du hast den ersten Schlag. Ich werde mich nicht wehren ...« Demonstrativ ließ er die langen Arme baumeln.
»Ich will mich nicht prügeln«, erwiderte Merkosh. »Nicht mit dir und auch mit keinem anderen. Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
Breknesh wiegte den Kopf, als denke er intensiv nach. Dann zuckte seine Faust blitzartig nach vorn. Merkosh spürte, wie seine Unterlippe aufplatzte. Sein Kiefer knackte; helles, fast transparentes Blut lief in seinen Mund. Hätten ihn Growaan und Kestebiik nicht festgehalten, wäre er auf der Stelle zusammengesackt.
Erneut kamen ihm die Tränen, diesmal vor Schmerz und Angst. Ihr salziger Geschmack breitete sich über Wangen, Kinn und Halsansatz aus. Das Blut in seinem Mund dagegen fühlte sich warm und zähflüssig an. Instinktiv spuckte er aus – und begriff im gleichen Moment, dass er damit sein Todesurteil unterzeichnet hatte.
Die nächsten Sekunden liefen wie in Zeitlupe ab. Die glasige Flüssigkeit flog als feine Tropfenwolke durch die Luft, so langsam, dass er einen Moment lang glaubte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um sie wieder einzufangen und die Katastrophe dadurch noch abwenden zu können. Aber er war wie gelähmt. Er konnte nichts tun, außer dazustehen und zu beobachten, wie sein Blut eine sanfte Parabel beschrieb, die kurze Reise auf Brekneshs Oberkörper beendete und dort ein Muster aus kleinen und größeren Punkten auf die Haut zeichnete.
Der Oproner machte einen Schritt rückwärts, als hätte ihn die Wucht des Treffers dazu gezwungen. In Wahrheit war es nur die Fassungslosigkeit, die Breknesh weichen ließ. Mit weit aufgerissenen Augen senkte er den Kopf und starrte auf seine fleckige Brust. Als er wieder aufsah und Merkosh fixierte, spiegelte sich abgrundtiefer Ekel in seinen Zügen, der sich einen Lidschlag später in maßlose Wut verwandelte.
»Dafür wirst du bezahlen, Alleswisser«, flüsterte Breknesh.
Merkosh wollte trotz des pulsierenden Schmerzes in seinem Kiefer etwas sagen, doch dazu kam er nicht mehr. Der nächste Schlag seines Gegenübers krachte so heftig gegen die rechte Kopfseite, dass sogar Growaan und Kestebiik ihre eisernen Griffe lockern mussten. Merkosh hob schützend beide Arme – und kassierte einen mörderischen Tritt in den Bauch. Mit einem Aufschrei ging er zu Boden.
»Los!«, forderte Breknesh seine Mitstreiter auf. »Macht ihn fertig!«
Als Merkosh wieder zu sich kam, wusste er zunächst nicht, wo er war. Eine Weile lag er einfach nur da und wünschte sich, tot zu sein. Sein Körper war ein Ozean aus Schmerzen, und jede noch so kleine Bewegung löste einen Orkan aus, der dessen Oberfläche zum Schäumen brachte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er sich halbwegs aufrichten konnte. Sofort erfasste ihn heftiger Schwindel, und er musste sich übergeben.
Dann kehrte die Erinnerung zurück. Der Geschmack nach Gras und Erde auf dem Rücken verriet ihm, dass er im weitläufigen Garten der Anlage lag. Breknesh und die anderen waren nach getaner Arbeit abgezogen und hatten ihn einfach zurückgelassen.
Merkosh bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn verprügelt hatten, aber es war noch nie so schlimm gewesen. Vielleicht hatten sie ihn diesmal sogar wahrhaftig umbringen wollen. Es fühlte sich zumindest so an. Unter Opronern galt das Anspucken als die schlimmste aller Beleidigungen, und dabei war es gleichgültig, ob es mit Absicht oder ungewollt passierte.
Er brauchte vier Versuche, bis er sich einigermaßen auf den Beinen halten konnte. Die Gebäude der Anstalt schienen auf einmal Lichtjahre entfernt zu sein. Seine Augen tränten nach wie vor, sodass er sie in der Ferne kaum erkennen konnte.
Ahaiku stand bereits hoch am Himmel, also musste er mehrere Stunden bewusstlos gewesen sein. Das bedeutete, dass er mindestens zwei Lektionen verpasst hatte. Warum hatte man nicht nach ihm gesucht? Seine Abwesenheit musste doch bemerkt worden sein. Die Tutoren entschuldigten das Fehlen eines Schülers nur in Ausnahmefällen.
Langsam, ermahnte sich Merkosh in Gedanken. Schritt für Schritt. Atme mit dem Schmerz. Atme ihn aus dir hinaus.
Tatsächlich wurde es mit der Zeit ein wenig besser. Zu seiner Erleichterung war nichts gebrochen – zumindest soweit er das selbst feststellen konnte. Er war kein Mediziner und musste auf sein Gefühl vertrauen. Es tat höllisch weh, aber nicht so sehr, dass er fürchten musste, schwerere Verletzungen erlitten zu haben.
Zwanzig Minuten später erreichte er die Unterkünfte. Er hatte Glück. Die Lektionen des Vormittags liefen noch, sodass er keine anderen Schüler traf. Die kleine Zelle, die er sich mit Resotum teilte, war gleichfalls verlassen. Er ließ sich von der integrierten Medoeinheit verarzten und betrachtete sich in einem projizierten Spiegelfeld. Breknesh und seine Kumpane waren auf ihre ganz eigene Art und Weise schlau. Sie verursachten keine sichtbaren Spuren. Selbst die Schwellung von Merkoshs Unterlippe war kaum noch zu erkennen.
Eine schnelle Überprüfung seines Lehrplans zeigte ihm, dass die Lektion in Oktatometrie in zehn Minuten zu Ende gehen würde. Es brachte also nichts, noch dort aufzukreuzen. Danach hatte er Quantentektonik bei Hochlehrer Sinilton. Das würde er schaffen. Er würde ganz einfach sein Maitron aufsuchen und so tun, als wäre nichts gewesen. Vielleicht hatte er ausnahmsweise einmal Glück, und sein unentschuldigtes Fehlen war nicht bemerkt worden. Das war zwar höchst unwahrscheinlich, aber hoffen durfte man immerhin.
Die Kugel des Omnitrons strahlte im Licht Ahaikus. Die schmalen, schwarzen Sinneslinien liefen an seiner gläsernen Fassade nach oben und vereinten sich in einer Höhe von über vierhundert Metern zu einem Bündel, das wie der Kopf einer riesigen Doinumfrucht aussah. Merkosh betrat den großzügig dimensionierten Innenhof und steuerte zielstrebig die Gleitrampen an, die in die oberen Bereiche des Gebäudes führten. Dort lagen die Räume der naturwissenschaftlichen Fachgebiete.
Im Orientierungsareal traf er auf Resotum. Als sein Freund ihn erblickte, stürmte er mit wedelnden Armen auf Merkosh zu.
»Wo, bei allen Schwarzen Löchern des Zentrums, warst du?«, fragte Resotum ohne Begrüßung. »Ich habe mir ernsthafte Sorgen gemacht!«
»Hat jemand nach mir gefragt?«
»Mich nicht«, antwortete Resotum. »Aber das will nicht viel heißen.«
Da hatte er recht. Verstohlen sah sich Merkosh nach Breknesh und seinen Gefolgsleuten um, konnte jedoch keinen von ihnen entdecken. Da sie ein Jahr weiter waren als er selbst, war das keine Überraschung. Trotzdem ließ sich die Angst vor einer weiteren Begegnung nicht unterdrücken, selbst wenn diese in der Öffentlichkeit und unter Zeugen stattfinden würde.
Drei Jahre noch, dachte er resigniert. Drei Jahre, dann ist meine Grundausbildung abgeschlossen und ich kann die Anstalt verlassen.
Eine endlos lange Zeit, das wusste er natürlich. Und vor allem eine Zeit, in der sich Breknesh noch viele Gelegenheiten bieten würden, Merkosh das Leben zur Hölle zu machen. Allerdings würden in den nächsten Wochen die Neuen eintreffen. Vielleicht fand sich unter ihnen ein dankbareres Opfer; jemand, der noch besser ins Beuteschema der Bande passte als Merkosh.
Ja, er schämte sich für solche Gedanken. Verhindern konnte er sie freilich nicht. Manchmal träumte er davon, nicht so schmächtig und schwach zu sein, wie er es nun mal war. Vor ein paar Jahren hatte er sogar versucht, sich von einem anderen Schüler die Grundlagen des Haik-Orr beibringen zu lassen – des Sonnenfeuers. Doch er hatte schnell erkennen müssen, dass er für die uralte opronische Kampfkunst weder das Talent noch die körperlichen Voraussetzungen mitbrachte. Die Erfahrung hatte ihn zudem gelehrt, dass die Tracht Prügel nur umso heftiger ausfiel,