Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
fühlte, daß es aus sei, der Kampf war unnütz. Aber sie wollte nicht nachgeben, und eine jener nervösen Krisen packte sie, die die Frauen zitternd, heulend, in Krämpfen zur Erde wirft. Ihr schlugen alle Glieder, sie fühlte, daß sie fallen und sich mit lautem Schreien zwischen den Betstühlen am Boden wälzen würde.
Jemand näherte sich schnellen Schrittes. Sie wandte den Kopf, es war ein Priester. Da erhob sie sich, stürzte auf ihn zu, hielt ihm die gefalteten Hände entgegen und stammelte:
– Ach, retten Sie mich! Retten Sie mich!
Er blieb erstaunt stehen:
– Was wünschen Sie, gnädige Frau.
– Sie sollen mich retten, haben Sie doch Mitleid mit mir. Wenn Sie mir nicht helfen, bin ich verloren.
Er blickte sie an und fragte sich, ob sie nicht den Verstand verloren. Endlich antwortete er:
– Was kann ich für Sie thun?
Er war ein großer junger Mann, etwas stark, mit vollen hängenden Backen, die einen dunklen Schimmer hatten, weil er forgfältig rasiert war, ein schöner, ein gut repräsentierender Stadtvikar, aus einem wohlhabenden Viertel, der reiche Beichtkinder gewöhnt ist.
– Ich will Ihnen beichten und dann raten Sie mir, stützen Sie mich, sagen Sie mir, was ich thun soll.
Er antwortete:
– Ich nehme jeden Sonnabend von drei bis sechs Uhr die Beichte entgegen.
Aber sie packte ihn beim Arm, drückte ihn und wiederholte:
– Nein, nein, nein, sofort, sofort! Es muß sein! Er ist da! Hier in der Kirche! Er wartet auf mich!
Der Priester fragte:
– Wer wartet auf Sie?
– Ein Mann .. der mich verderben wird .. der mich in seine Schlingen zieht, wenn Sie mich nicht retten .. Ich kann ihm nicht mehr entfliehen .. Ich bin zu schwach! .. Zu schwach! So entsetzlich schwach!
Sie sank ihm zu Füßen und schluchzte:
– Haben Sie Mitleid mit mir, mein Vater, retten Sie mich im Namen Gottes, retten Sie mich.
Sie hielt ihn an seinem schwarzen Priestergewand fest, daß er sich nicht losmachen konnte. Er blickte sich ängstlich nach allen Seiten um, ob nicht irgend ein gottloses oder frommes Auge diese Frau, hier zu seinen Füßen gesehen?
Endlich kam er zur Überzeugung, daß er ihr nicht entgehen konnte und sagte:
– Stehen Sie auf. Ich habe den Schlüssel zum Beichtstuhl zufällig bei mir.
Er suchte in der Tasche, zog einen Schlüsselring hervor, wählte einen Schlüssel aus und ging mit eiligen Schritten zu einem der kleinen Holzhäuschen, in denen sich die Gläubigen ihrer Sünde entledigen.
Durch die Mittelthür trat er ein und schloß sie hinter sich, und Frau Walter die in dem engen Raum daneben nieder gesunken war, stammelte mit der Leidenschaft der Hoffnung:
– Segnen Sie mich, mein Vater, ich habe gesündigt …
Du Roy war rund um die Kirche gegangen und schritt nun das linke Seitenschiff herab. Als er eben in der Mitte stand, begegnete er wieder dem dicken Herrn mit der Glatze, der mit ruhigen Schritten seines Weges ging, und er fragte sich: was sucht der Kerl nur hier?
Der Spaziergänger hatte seine Schritte verkürzt und blickte Georg an, mit dem sichtbaren Wunsche, mit ihm ein Gespräch anzuknüpfen. Als er ganz nahe war, grüßte er und sagte sehr höflich:
– Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe, aber können Sie mir nicht sagen, in welcher Zeit diese Kirche gebaut worden ist?
Du Roy antwortete:
– Ja, das weiß ich selbst nicht, ich denke so vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren ist sie gebaut. Ich bin auch zum ersten Mal hier.
– Ich auch. Ich hatte sie noch nie bemerkt. – Da begann der Journalist Interesse zu schöpfen und sagte:
– Sie scheinen sie ja sehr genau zu betrachten in allen Einzelheiten.
Der andere antwortete ergebungsvoll:
– Ach nein, ich sehe sie mir nicht an. Ich warte auf meine Frau. Wir wollten uns hier treffen, aber sie hat sich verspätet.
Dann schwieg er und fuhr nach ein Paar Sekunden fort:
– Es ist furchtbar heiß draußen.
Du Roy betrachtete ihn. Er fand, daß er ganz gutmütig aussah, und plötzlich bildete er sich ein, er sähe Forestier ähnlich.
– Sind Sie aus der Provinz? fragte er.
– Ja, aus Rennes. Und darf ich fragen, ob Sie nur aus Neugier in die Kirche gekommen sind?
– Nein, ich erwarte eine Dame. – Der Journalist grüßte und ging lächelnd davon. Als er wieder an das Hauptportal kam, sah er abermals das arme Weib, das noch immer kniete und betete, und er dachte: Donnerwetter, die ist aber zäh! Er war nicht mehr ergriffen und bemitleidete sie nicht mehr.
Er ging langsam vorbei und schritt das rechte Seitenschiff wieder hinauf, um Frau Walter zu treffen.
Von weitem suchte er die Stelle, wo er sie verlassen hatte und wunderte sich, sie nicht zu sehen. Er meinte, er habe sich im Pfeiler geirrt, ging nochmals bis zum letzten und kehrte zurück. Sie war also fort! Er war ganz erstaunt und wütend. Dann bildete er sich ein, daß sie ihn suchte, und schritt nochmals um die Kirche. Aber als er sie nicht fand, kehrte er zu dem Betstuhl zurück, den sie verlassen, in der Hoffnung sie würde wieder dort hin kommen. Er setzte sich hin und wartete.
Bald zog ein leises Gemurmel seine Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte niemand in jener Ecke der Kirche gesehen, woher kam also dieses Flüstern? Er stand auf, um Nachforschungen anzustellen, und in der Kapelle daneben entdeckte er, daß unter der Thür des Betstuhls ein Stück Kleid heraus lugte, das auf die Fliesen hing. Er näherte sich, um sich die Frau anzusehen; er erkannte sie. Sie beichtete.
Die Lust überkam ihn, sie bei den Schultern zu packen, sie aus dem Kasten heraus zu reißen. Dann dachte er:
– Ach was, jetzt ist der Pfarrer daran, morgen ich.
Und er setzte sich ruhig der Öffnung der Beichtstuhls gegenüber, still wartend, indem er nun über das ganze Abenteuer lächelte.
Er lauerte lang. Endlich stand Frau Walter auf, drehte sich um, sah ihn und trat auf ihn zu. Sie hatte kalte, strenge Züge und sagte zu ihm:
– Ich bitte Sie, mich nicht zu begleiten, mir nicht zu folgen und nie wieder mich allein zu besuchen. Ich würde Sie nicht empfangen. Adieu!
Und in würdiger Haltung ging sie davon.
Er ließ sie fortgehen, denn aus Grundsatz erzwang er nie eine Sache. Aber als dann der Priester etwas verlegen selbst aus seinem Versteck herauskam, schritt er gerade auf ihn zu, blickte ihm in die Augen und rief ihm ins Gesicht:
– Wenn Sie nicht den Rock trügen, würde ich Ihnen was auf Ihre dumme Schnauze geben.
Dann wandte er sich auf dem Absatz herum und verließ pfeifend die Kirche.
Im Portal stand der dicke Herr, den Hut auf dem Kopf, die Hände noch auf dem Rücken. Er war müde zu warten und übersah den weiten Platz und alle Straßen, die dort zusammen trafen.
Als Du Roy an ihm vorbei kam, grüßten sie sich.
Da der Journalist nichts zu thun hatte, ging er zur › Vie française‹. Sobald er eintrat, sah er an der beschäftigten Miene der Angestellten, daß etwas Außergewöhnliches vorging, und schnell trat er beim Chef ein.
Der alte Walter stand nervös da, diktierte in abgehackten Sätzen einen Artikel und erteilte zwischendurch den Reportern, die ihn umstanden, Aufträge, gab Boisrenard Ermahnungen und öffnete Briefe.
Als Du Roy eintrat, rief der Chef freudig:
–