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Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.

Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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murmelte still in Gedanken:

      »Ach es giebt doch viel Leid auf der Welt, und viel Unglück!« – und eine Wut gegen die unerbittliche Natur stieg in ihm auf. Dann dachte er daran, daß diese armen Menschen wenigstens meinten, daß man sich dort oben um sie kümmerte, und daß ihr Soll und Haben in den ewigen Himmelsregistern sorgfältig gebucht würde.

      – Dort oben? – Wo denn?

      Und Du Roy, den das Schweigen der Kirche träumen ließ, überschlug die ganze Schöpfung mit einem Gedanken und sagte vor sich hin:

      – Ach ist das dumm alles!

      Er fuhr zusammen. Er hatte ein Kleid rauschen hören. Sie war es.

      Er stand auf und ging auf sie zu. Sie gab ihm nicht die Hand und flüsterte leise:

      – Ich habe nur einen Augenblick Zeit, ich muß nach Hause. Knieen Sie neben mir nieder, daß man uns nicht sieht.

      Und sie ging in das Hauptschiff und suchte eine passende sichere Stelle, wie jemand, der die Kirche genau kennt. Sie hatte ihr Antlitz hinter einem dichten Schleier verborgen und trat leise auf, so daß man ihren Schritt kaum hörte. Als sie in die Nähe des Chores gekommen war, drehte sie sich um und flüsterte in jenem gedämpften Ton, in dem man in der Kirche spricht:

      – Auf der Seite ist es besser, hier wird man zu sehr gesehen.

      Sie verneigte sich vor den Heiligtümern des Hauptaltars mit tiefem Kopfneigen und einer leichten Biegung des Oberkörpers, dann wendete sie sich rechts, ging wieder ein bißchen in der Richtung auf den Eingang zurück, trat dann kurz entschlossen in einen Betstuhl und kniete nieder.

      Du Roy kniete im Betstuhl daneben und sobald sie unbeweglich thaten als ob sie beteten, sagte er:

      – Dank! Dank! Dank! Ich liebe Sie wahnsinnig! Ich möchte es Ihnen immer sagen! Ich möchte es Ihnen sagen, wie es kam, daß ich Sie liebe, daß Sie mich gewonnen haben auf den ersten Blick. Darf ich es Ihnen einmal sagen? Ihnen mein Herz ausschütten?

      Sie hörte ihm zu, in einer Stellung als wäre sie ganz versunken und hätte nichts vernommen; doch sie antwortete zwischen den Fingern sprechend:

      – Ich bin ja verrückt, Sie so sprechen zu lassen, verrückt, daß ich gekommen bin, verrückt, daß ich das thue, verrückt, Ihnen Hoffnung zu lassen, daß dieses … daß dieses Abenteuer eine Fortsetzung haben könnte. Vergessen Sie alles und sprechen Sie niemals wieder mit mir davon.

      Sie hielt inne. Er suchte nach einer Antwort, nach ein paar leidenschaftlichen entscheidenden Worten, aber da er seine Worte nicht mit einer entsprechenden Geste begleiten konnte, so fühlte er sich wie gelähmt.

      Er begann:

      – Ich erwarte nichts, ich hoffe nichts. Ich liebe Sie: Sie können thun, was Sie wollen, ich werde es Ihnen so oft sagen, so laut, so laut, so heiß, daß Sie mich endlich verstehen müssen. Ich möchte alle meine Zärtlichkeit und Liebe Wort für Wort, Stunde für Stunde, Tag für Tag hinein gießen in Ihre Seele, daß Ihre Seele ganz davon durchdrungen wird, wie eine Flüssigkeit eindringt, die Tropfen um Tropfen niederfällt, daß sie Sie milder mache, weicher, und später einmal zwänge mir zu antworten: Auch ich liebe Dich!

      Er fühlte wie ihre Schulter zuckte an seiner Seite, wie sie zitterte. Und da stammelte sie hastig:

      – Ich liebe Sie auch!

      Er fuhr zusammen, als ob man ihn auf den Kopf geschlagen hatte und sagte:

      – O mein Gott!

      Sie begann wieder mit zitternder Stimme:

      – Darf ich Ihnen das wirklich gestehen? Ich fühlte mich so schuldbeladen und verächtlich. Ich, die ich zwei Töchter habe. Aber ich kann nicht, ich kann nicht anders. Ich hätte das nie gedacht, nie geglaubt, aber es überwältigt mich. Hören Sie mich an, hören Sie mich an; ich habe nie jemand geliebt, außer Ihnen, das schwöre ich Ihnen. Ich liebe Sie seit einem Jahr in der Stille meines Herzens. Ach ich habe gelitten, wenn Sie wüßten, wie … und gekämpft, ich kann nicht mehr … ich … ich liebe Sie.

      Sie schluchzte in ihre Hände die sie vors Gesicht gelegt, und ihr ganzer Körper zitterte in tiefster Erschütterung.

      Georg flüsterte:

      – Geben Sie mir Ihre Hand, daß ich sie berühren und drücken kann.

      Langsam zog sie die Hand von ihrem Gesicht. Er sah daß ihre Wange feucht war und eine Thräne an den Wimpern hing bereit niederzutropfen.

      Er hatte ihre Hand genommen und preßte sie, indem er sagte:

      – Ach ich möchte Ihre Thränen trinken.

      Sie sagte mit leiser, gebrochener Stimme, die wie ein Stöhnen klang:

      – Schonen sie mich. Ich bin verloren!

      Er hätte am liebsten gelacht. Was konnte er ihr hier thun! Er legte die Hand, die er umfaßt hatte, auf sein Herz und fragte:

      – Fühlen Sie wie es schlägt? – Denn er wußte absolut nicht mehr was er sagen sollte.

      Aber seit ein paar Minuten kam der regelmäßige Schritt des Spaziergängers wieder näher. Er war um den Altar herum gegangen und ging nun mindestens das zweite Mal durch das rechte kleine Seitenschiff. Als Frau Walter ihn ganz nahe bei dem Pfeiler, der sie verbarg, hörte, entzog sie Georg ihre Hand und verbarg ihr Gesicht.

      Und sie blieben beide unbeweglich knieen, als schickten sie vereint heiße Gebete zum Himmel. Der dicke Herr kam bei ihnen vorbei, warf ihnen einen gleichgiltigen Blick zu und entfernte sich, immer den Hut in der Hand auf dem Rücken, nach dem Hauptschiff zu.

      Aber Du Roy, der gern ein Stelldichein wo anders als gerade in der Dreifaltigkeitskirche haben wollte, flüsterte:

      – Wo sehe ich Sie morgen wieder?

      Sie antwortete nicht. Sie schien wie leblos, wie zur Statue des Gebetes erstarrt. Er fragte von neuem:

      – Kann ich Sie nicht morgen im Park Monceau treffen?

      Sie nahm die Hände vom Gesicht, wandte ihm ihr blutloses, von furchtbarem Leid entstelltes Antlitz zu und sagte in abgerissenen Sätzen:

      – Lassen Sie mich .. lassen Sie mich jetzt .. gehen Sie .. gehen Sie .. nur fünf Minuten .. ich leide zu sehr in Ihrer Nähe .. ich will beten .. ich kann nicht .. lassen Sie mich Gott anflehen .. daß er mir verzeiht … lassen Sie mich beten … allein … daß er mich rette … lassen Sie mich nur fünf Minuten …

      Ihr Gesicht war verstört, ihre Züge hatten einen so schmerzlichen Ausdruck angenommen, daß er aufstand ohne ein Wort zu sagen. Dann sagte er nach einem Augenblick Zögern:

      – Ich komme nachher wieder.

      Sie nickte, als wollte sie sagen: Ja nachher. Und er schritt die Kirche hinauf dem Chor zu.

      Da versuchte sie zu beten. Sie machte übermenschliche Anstrengungen Gott anzurufen und rief mit bebendem Leib und verzweifelter Seele um Erbarmen zum Himmel. Sie schloß krampfhaft die Augen, um den nicht mehr zu sehen, der eben von ihr gegangen. Sie verbannte ihn aus ihren Gedanken, sie wehrte sich gegen ihn, aber statt der erwarteten himmlischen Hilfe in der Angst und Not ihres Herzens, sah sie immer noch den emporgewirbelten Schnurrbart des jungen Mannes vor sich.

      Seit einem Jahr kämpfte sie so täglich gegen eine immer zwingender werdende Herrschaft, gegen sein Bild, das sie verfolgte in ihren Träumen, das sie erregte und ihr den Schlaf raubte. Sie fühlte sich gefangen wie ein Tier im Netz, gefesselt und jenem männlichen Wesen in die Arme geworfen, das sie überwunden hatte, besiegt nur durch den Bart über der Lippe und den Ausdruck in seinen Augen.

      Aber nun fühlte sie sich hier in der Kirche, in Gottes Nähe schwächer noch, verlorener, unglückseliger, als bei sich zu Haus. Sie konnte nicht mehr beten, sie konnte nur an ihn denken. Sie litt schon darunter, daß er fortgegangen. Aber verzweifelt wehrte sie sich und stemmte sich dagegen und rief mit aller Kraft ihrer Seele um Hilfe. Sie, die noch nie einen Fehltritt gethan, hätte eher sterben mögen,


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