Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
mort meme: parceque la mort a vaincu la mort, et que celui qui a souffert la première mort, negoutera plus la seconde mort.« (Vie de Mad. de Guion, Bd. 2, S. 13.)
Indessen dürfen wir doch nicht meinen, daß, nachdem durch die zum Quietiv gewordene Erkenntniß, die Verneinung des Willens zum Leben ein Mal eingetreten ist, sie nun nicht mehr wanke, und man auf ihr rasten könne, wie auf einem erworbenen Eigenthum. Vielmehr muß sie durch steten Kampf immer aufs Neue errungen werden. Denn da der Leib der Wille selbst ist, nur in der Form der Objektität, oder als Erscheinung in der Welt als Vorstellung; so ist, so lange der Leib lebt, auch noch der ganze Wille zum Leben seiner Möglichkeit nach da, und strebt stets in die Wirklichkeit zu treten und von Neuem mit seiner ganzen Gluth zu entbrennen. Daher finden wir im Leben heiliger Menschen jene geschilderte Ruhe und Säligkeit nur als die Blüthe, welche hervorgeht aus der steten Ueberwindung des Willens, und sehn, als den Boden, welchem sie entsprießt, den beständigen Kampf mit dem Willen zum Leben: denn dauernde Ruhe kann auf Erden Keiner haben. Wir sehn daher die Geschichten des Innern Lebens der Heiligen voll von Seelenkämpfen, Anfechtungen und Verlassenheit von der Gnade, d.h. von derjenigen Erkenntnißweise, welche, alle Motive unwirksam machend, als allgemeines Quietiv alles Wollens beschwichtigt, den tiefsten Frieden giebt und das Thor der Freiheit öffnet. Daher auch sehn wir Diejenigen, welche ein Mal zur Verneinung des Willens gelangt sind, sich mit aller Anstrengung auf diesem Wege erhalten, durch sich abgezwungene Entsagungen jeder Art, durch eine büßende, harte Lebensweise und das Aufsuchen des ihnen Unangenehmen: Alles, um den stets wieder aufstrebenden Willen zu dämpfen. Daher endlich, weil sie den Werth der Erlösung schon kennen, ihre ängstliche Sorgsamkeit für die Erhaltung des errungenen Heils, ihre Gewissensskrupel bei jedem unschuldigen Genuß, oder bei jeder kleinen Regung ihrer Eitelkeit, welche auch hier am letzten stirbt, sie, von allen Neigungen des Menschen die unzerstörbarste, thätigste und thörichteste. – Unter dem schon öfter von mir gebrauchten Ausdruck Askesis verstehe ich, im engem Sinne, diese vorsätzliche Brechung des Willens, durch Versagung des Angenehmen und Aufsuchen des Unangenehmen, die selbstgewählte büßende Lebensart und Selbstkasteiung, zur anhaltenden Mortifikation des Willens.
Wenn wir nun diese von den schon zur Verneinung des Willens Gelangten ausüben sehn, um sich dabei zu erhalten; so ist auch das Leiden überhaupt, wie es vom Schicksal verhängt wird, ein zweiter Weg (deuteros plousA1) um zu jener Verneinung zu gelangen: ja, wir können annehmen, daß die Meisten nur auf diesem dahin kommen, und daß es das selbst empfundene, nicht das bloß erkannte Leiden ist, was am häufigsten die völlige Resignation herbeiführt, oft erst bei der Nähe des Todes. Denn nur bei Wenigen reicht die bloße Erkenntniß hin, welche, das principium individuationis durchschauend, erstlich die vollkommenste Güte der Gesinnung und allgemeine Menschenliebe hervorbringt, und endlich alle Leiden der Welt sie als ihre eigenen erkennen läßt, um die Verneinung des Willens herbeizuführen. Selbst bei Dem, welcher sich diesem Punkte nähert, ist fast immer der erträgliche Zustand der eigenen Person, die Schmeichelei des Augenblicks, die Lockung der Hoffnung und die sich immer wieder anbietende Befriedigung des Willens, d.i. der Lust, ein stetes Hinderniß der Verneinung des Willens und eine stete Verführung zu erneuerter Bejahung desselben: darum hat man in dieser Hinsicht alle jene Lockungen als Teufel personificirt. Meistens muß daher, durch das größte eigene Leiden, der Wille gebrochen seyn, ehe dessen Selbstverneinung eintritt. Dann sehn wir den Menschen, nachdem er durch alle Stufen der wachsenden Bedrängniß, unter dem heftigsten Widerstreben, zum Rande der Verzweiflung gebracht ist, plötzlich in sich gehn, sich und die Welt erkennen, sein ganzes Wesen ändern, sich über sich selbst und alles Leiden erheben und, wie durch dasselbe gereinigt und geheiligt, in unanfechtbarer Ruhe, Säligkeit und Erhabenheit willig Allem entsagen, was er vorhin mit der größten Heftigkeit wollte, und den Tod freudig empfangen. Es ist der aus der läuternden Flamme des Leidens plötzlich hervortretende Silberblick der Verneinung des Willens zum Leben, d.h. der Erlösung. Selbst Die, welche sehr böse waren, sehn wir bisweilen durch die tiefsten Schmerzen bis zu diesem Grade geläutert: sie sind Andere geworden und völlig umgewandelt. Die früheren Missethaten ängstigen daher auch ihr Gewissen jetzt nicht mehr; doch büßen sie solche gern mit dem Tode, und sehn willig die Erscheinung Jenes Willens enden, der ihnen jetzt fremd und zum Abscheu ist. Von dieser durch großes Unglück und die Verzweiflung an aller Rettung herbeigeführten Verneinung des Willens hat uns eine deutliche und anschauliche Darstellung, wie mir sonst keine in der Poesie bekannt ist, der große Goethe, in seinem unsterblichen Meisterwerke, dem »Faust«, gegeben, an der Leidensgeschichte des Gretchens. Diese ist ein vollkommenes Musterbild des zweiten Weges, der zur Verneinung des Willens führt, nicht, wie der erste, durch die bloße Erkenntniß des Leidens einer ganzen Welt, das man sich freiwillig aneignet; sondern durch den selbstempfundenen, eigenen, überschwänglichen Schmerz. Zwar führen sehr viele Trauerspiele ihren gewaltig wollenden Helden zuletzt auf diesen Punkt der gänzlichen Resignation, wo dann gewöhnlich der Wille zum Leben und seine Erscheinung zugleich endigen; aber keine mir bekannte Darstellung bringt das Wesentliche jener Umwandlung so deutlich und rein von allem Nebenwerk vor die Augen, wie die erwähnte im »Faust«.
Im wirklichen Leben sehn wir jene Unglücklichen, welche das größte Maaß des Leidens zu leeren haben, da sie, nachdem ihnen alle Hoffnung gänzlich genommen ist, bei voller Geisteskraft, einem schmählichen, gewaltsamen, oft quaalvollen Tode auf dem Schafott entgegen gehn, sehr häufig auf solche Weise umgewandelt. Wir dürfen zwar nicht annehmen, daß zwischen ihrem Charakter und dem der meisten Menschen ein so großer Unterschied sei, wie ihr Schicksal angiebt, sondern haben letzteres größtentheils den Umständen zuzuschreiben: sie sind jedoch schuldig und in beträchtlichem Grade böse. Nun sehn wir aber Viele von ihnen, nachdem völlige Hoffnungslosigkeit eingetreten ist, auf die angegebene Weise umgewandelt. Sie zeigen jetzt wirkliche Güte und Reinheit der Gesinnung, wahren Abscheu gegen das Begehn jeder im Mindesten bösen oder lieblosen That: sie vergeben ihren Feinden, und wären es solche, durch die sie unschuldig litten, nicht bloß mit Worten und etwan aus heuchelnder Furcht vor den Richtern der Unterwelt; sondern in der That und mit innigem Ernst, und wollen durchaus keine Rache. Ja, ihr Leiden und Sterben wird ihnen zuletzt lieb; denn die Verneinung des Willens zum Leben ist eingetreten: sie weisen oft die dargebotene Rettung von sich, sterben gern, ruhig, sälig. Ihnen hat sich, im Uebermaaß des Schmerzes, das letzte Geheimniß des Lebens offenbart, daß nämlich das Uebel und das Böse, das Leiden und der Haß, der Gequälte und der Quäler, so verschieden sie auch der dem Satz vom Grunde folgenden Erkenntniß sich zeigen, an sich Eines sind, Erscheinung jenes einen Willens zum Leben, welcher seinen Widerstreit mit sich selbst mittelst des principii individuationis objektivirt: sie haben beide Seiten, das Böse und das Uebel, in vollem Maaße kennen gelernt, und indem sie zuletzt die Identität beider einsehn, weisen sie Jetzt beide zugleich von sich, verneinenden Willen zum Leben. In welchen Mythen und Dogmen sie ihrer Vernunft von dieser intuitiven und unmittelbaren Erkenntniß und von ihrer Umwandlung Rechenschaft ablegen, ist, wie gesagt, ganz gleichgültig.
Zeuge einer Sinnesänderung dieser Art ist, ohne Zweifel, Matthias Claudius gewesen, als er den merkwürdigen Aufsatz schrieb, welcher im »Wandsbecker Boten« (Th. 1, S. 115) unter der Aufschrift »Bekehrungsgeschichte des ***« steht und folgenden Schluß hat: »Die Denkart des Menschen kann von einem Punkt der Peripherie zu dem entgegengesetzten übergehn, und wieder zurück zu dem vorigen Punkt, wenn die Umstände ihm den Bogen dahin vorzeichnen. Und diese Veränderungen sind nicht eben etwas Großes und Interessantes beim Menschen. Aber jene merkwürdige, katholische, transscendentale Veränderung, wo der ganze Cirkel unwiederbringlich zerrissen wird und alle Gesetze der Psychologie eitel und leer werden, wo der Rock von Fellen ausgezogen, wenigstens umgewandt wird und es dem Menschen wie Schuppen von den Augen fällt, ist so etwas, daß ein Jeder, der sich des Odems in seiner Nase einigermaaßen bewußt ist, Vater und Mutter verläßt, wenn er darüber etwas Sicheres hören und erfahren kann.«
Nähe des Todes und Hoffnungslosigkeit ist übrigens zu einer solchen Läuterung durch Leiden nicht durchaus nothwendig. Auch ohne sie kann, durch großes Unglück und Schmerz, die Erkenntniß des Widerspruchs des Willens zum Leben mit sich selbst sich gewaltsam aufdringen und die Nichtigkeit alles Strebens eingesehn werden. Daher sah man oft Menschen, die ein sehr bewegtes Leben im Drange der Leidenschaften geführt, Könige, Helden, Glücksritter, plötzlich