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Der Heidekönig. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.

Der Heidekönig - Max Geißler


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mein einziger Freund.“ Er wollte nicht die Meinung in van der Layen aufkommen lassen, als habe er sich mit einer Lüge bei ihm eingeführt. Und nun erzählte er die Geschichte seines Lebens von den Tagen des Gärtners bis zur Austreibung aus dem Paradiese.

      Da zog van der Layen für einen Augenblick alle Vorhänge zurück von seinem siebenfach verhüllten Gesicht. „Könnten Sie sich so etwas ausdenken, Dichter Lukas ter Meulen?“

      Es begann der Handel. Van der Layen sagte, er wolle fünf Gulden für jedes Bild zahlen, und wenn es ihm gelänge, zu verkaufen, versprach er noch fünf vom Hundert des Erlöses. Ein Vertrag wurde unterzeichnet. Auf einem kümmerlichen Stück Papier. — Die Sache ging genau so schwunglos vor sich, wie sie hier aufgeschrieben ist.

      Zwar: das Herz des Matheis Maris sprang ungebärdig in dies ungewohnte Zaumzeug. Er aber — beim ersten Versuche gesattelt in der Welt der Menschen, hatte genugsam auf seine Beine zu passen und durfte einem Manne wie van der Layen den Weg wohl nicht weisen, nach dem es ihn gelüstete. Jedennoch, daran dachte er: von dem Paradiese der Moorheide war er siebentausend Meilen weit weg! Wie ein Duft seiner Sommergärten, die von der Seide des Himmels eingefriedigt gewesen, wehte es durch ihn dahin — wie ein verlorener Duft.

      Er hatte keine Zeit, diesem wehmütig lieben Grusse der anderen Zeit nachzuwittern. Sein Blut rauschte. Die Gedanken, die einst mit breiten Schwingen in ihm gelegen hatten wie Schmetterlinge in der Sonne — die Gedanken ratterten nun durch seinen Kopf wie Schnellzüge. Seine Schläfen peitschte ungeheueres, nie erträumtes Erleben.

      Nikolaas van der Layen zählte ihm einhundertzwanzig holländische Gulden auf den Tisch. — Heiliger Gott, was für eine Welt der Wunder, in der ein alter Mann das in Farben gedichtete Glück eines Moorjungen mit hundertzwanzig holländischen Gulden bezahlt! Wie der Zauberer aus dem Märchen stand van der Layen vor dem Fiebernden; denn er verstand die Kunst, Sold zu machen aus Eichenholz, Sepia, Ultramarin und Terpentinöl! Heiliger Gott!

      Auf einmal — da lief Matheis Maris wieder draussen in den Strassen herum. Nein, er fuhr; denn die Füsse, auf denen er an zwanzig Jahre sehr bedachtsam über das federnde Moor gewippt war — die Füsse hatten Rollen bekommen, und darauf ging es zwischen Wind, Lärm, Wagen, schlagenden Glocken und jagenden Menschen hindurch, und die Rollen unter seinen Sohlen taten, als wären sie die vereinigte Einrichtung aus Herz und Kopf des Matheis Maris, auf die es nun allein ankäme.

      Abends war er angetrieben in einem grossen Kaffeehause im Herzen der Stadt und trank Schokolade. Die Augen flimmerten ihm von den tausend Lichtern, die in ihm und ausser ihm herumstanden. Es erging ihm, wie den Spätergeborenen vor der weissen Leinwand der Kinematographentheater, als diese Erfindung noch in den Kinderschuhen steckte: ein Prasselwerk von Funken und verrückt gewordenen Lichtstreifen blitzte vorüber. Die ganze Welt hatte das Hasten. Arme stiessen sich in Tabakrauch, Stühle schaukelten auf den Hinterbeinen, Zeitungen in Hölzern wehten als Fahnen im Winde, schöne blanke funkelnde Frauen, oh, unerhört schöne blanke funkelnde Frauen blühten dazwischen ... Aber erwartungsvoll, erwartungsvoll waren die Augen des Matheis Maris auf die Kellner gerichtet, die in feierlich schwarzen Fräcken durch dies Gewühl von Stimmen, Rauch, Fahnen und Funkeln sich wandten mit Gläsern voll dampfendem Kaffee und Gefrorenem auf silbernen Tabletten, ohne die Last dieser blanken Bretter umzustülpen auf einen gefährlich gaukelnden Damenhut ... Ja, solch eine Sache musste sich wohl im nächsten Augenblick ereignen. Und die malte sich Matheis Maris in bewegtem Mitgefühl aus.

      So fing er an, die neue Welt von der Stelle aus zu durchdenken, bis zu der seine Urteilskraft einstweilen reichte; denn nur von den Kellnern wusste er, wozu sie da waren.

      Einmal schien es ihm, er sei der ruhende Pol in der Flucht der Erscheinungen. Da schnellte ein Zeitungsjunge vorbei und rief die Titel der Abendblätter. Auch der »Telegraaf« war dabei. Das war Pieter Bosbooms Weisheitsquell gewesen. Und weil ihn das so heimatlich anmutete, und weil er sah, dass sehr viele Männer sich ebenfalls eine Zeitung erstanden, fasste er sich einen Mut, fragte den Jungen nach dem Preise und legte das geforderte Zehnzentstück in die kleine Hand.

      Da stand gleich unten auf der ersten Seite unterm Strich über einem Aufsatz der Name Matheis Maris. In zentimetergrossen Lettern. Jawohl, ganz deutlich: Matheis Maris.

      Der richtige Matheis Maris begann also, sich zu unterrichten, was es mit jenem Menschen für eine Bewandtnis hätte, der den gleichen Namen trug. — Da fand er seine Lebensgeschichte in einer Zeitung, seine eigene! Und diese Zeitung wurde in der gleichen Stunde wohl von zehntausend Menschen gelesen: die Geschichte des Gärtnerjungen, die Geschichte im Paradiese, die Geschichte von dem jungen Menschen mit den Gepflogenheiten des Einsiedlers aus der Moorheide, der in einem Kleide aus dem anderen Lande zu Nikolaas van der Layen gekommen und seinem Genie nachgelaufen sei wie die Könige aus Mohrenland dem Stern ... Habemus pictorem! schloss der Aufsatz über Matheis Maris, mit dem kein anderer gemeint sein konnte als er. Habemus pictorem. Er wusste nicht, was das bedeutete. Aber vielleicht war es die Zauberformel, die in Besitz alles Wissens setzt; denn woher konnte die Zeitung das Geheimnis aus dem Heidemoor erfahren haben, wenn nicht mit Mitteln der schwarzen Kunst?

      Die Rollen, die er zuvor unter den Sohlen seiner Schuhe gespürt hatte, schienen nun an die Stuhlbeine gezaubert zu sein. Und Matheis Maris dachte: die Fahrt ins Himmelblaue müsste gleich losgehen, hussa!

      Aber es geschah nichts von alledem. Und weil er unter Einsatz aller Kräfte seines Geistes den Weg nicht entdecken konnte, auf dem der »Telegraaf« zu seinem Geheimnisse gekommen war, da ward ihm angst und bange vor sich selber: die hier draussen in dieser neuen Welt wussten alles — er nichts! Und in diese Welt hatte er sich hineingewagt? Auf diesem brausenden Strom wollte er sein armes Schifflein treiben lassen? Es war ihm, er müsse nun aufspringen und seine Hände um den Mund legen zu einem furchtschweren Hilferuf.

      Aber natürlich — auch das raste vorüber; denn nicht ein Ruf nach Hilfe ist die notwendige Folge, wenn einer einen beglückten und beglückenden Zeitungsartikel über sich selbst liest. Nein nein, so wild war die innere Zerrüttung des Matheis Maris nicht. Es war nur eine unerhörte Umstellung in ihm. Und es war die Erkenntnis, das sei nun wohl die Welt, die er hinter dem blauen Vorhange seines Heidehimmels vermutet hatte, und er — der Vogelsprachekunde — fände für diese Welt, um die sich nicht nach allen Seiten die fürsorglichen Hände Gottes legten, nicht die richtige Übersetzung. Ja.

      Nach einer kleinen Zeit kümmerte ihn auch das nicht mehr. Da schwamm ein Glück in ihm, ein Glück — er gab ihm einen äusseren Ausdruck in der Bestellung einer zweiten Tasse Schokolade. Diesmal mit Schlagsahne. Dann las er den Aufsatz im »Telegraafen« zehnmal. Was eine sehr wohltätige Wirkung hatte. Seine Gedanken lernten nämlich wieder — zwar nicht in der Stete wie früher, aber dennoch in einer Richtung sich zu bewegen, die er wünschte. Er dachte an Flossy Maris, und er dachte an seinen Freund Pieter Bosboom, und wie es wohl wäre, wenn selbiger Pieter Bosboom nach einigen Tagen die Zeitung in die Hände bekäme und der Name Matheis Maris schlüge ihm in die Augen — nun, lieber Pieter Bosboom, du wirst in ein wildes Springen geraten, mit dem wehenden Zeitungsblatte hinüberjagen zu Mutter Flossy und deine Arme um sie werfen, dass die ärmste Frau nicht anders denken kann als: Jetzt — den armen Pieter Bosboom hat der Teufel geholt! Und Nele Greefs! Hurrjeh! Und all die anderen, die ihn angesehen hatten als den bösen Feind!

      Diese Betrachtung gab ihm einen ungeheueren Ruck. Er bestellte abermals eine Tasse Schokolade. Wobei es ihm hauptsächlich um die für ihn neue Erfindung der Schlagsahne zu tun war, in die er sich neben seiner jungen Berühmtheit vertiefte in unirdischem Behagen.

      Gerade hatte er beschlossen, bei Ruhm, Schokolade und Schlagsahne die Nacht herumzubringen, da schritt ein sehr langer, sehr bleicher Mensch mit sehr heissen Augen daher und sah sich vergeblich nach einem Tisch um, an dem er Platz nehmen konnte. Es war Lukas ter Meulen, der Dichter.

      Matheis Maris erhob sich und wagte eine Verbeugung, wie er sie an diesem Abend zu verschiedenen Malen beobachtet hatte. Indes balancierte ter Meulen einen Stuhl über die Köpfe der Menge und setzte sich zu Matheis in den scheuen Winkel. „Na, mein Lieber, was sagen Sie zu meinem Aufsatz im »Telegraafen«? Ich habe ihn heute nachmittag bei van der Layens Lampe geschrieben und mir von dem Alten einen kleinen Vorschuss auf das Honorar ausgeliehen.“ Ter Meulen bestellte Mokka und zwölf Stück Kuchen.


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