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Der Heidekönig. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.

Der Heidekönig - Max Geißler


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er sich verankerte. Zum hundertsten Male las er das Schild neben der Tür, dass hier Gemälde alter und moderner Meister gekauft würden. Er hatte sich gleich am ersten Amsterdamer Tage die Firma in sein Notizbuch eingetragen. Man konnte nie wissen ...

      So begann dieser Abschnitt im Leben des Matheis Maris in dem Schaufenster des Herrn Nikolaas van der Layen, in welchem neben reichlich viel Staub eine Unmenge fesselnder Altstücke aufgestapelt waren: Tassen, Gemälde, Götzen der Fidschiinsulaner, Schnitzereien aus dem alten Ägypten, fremde Münzsorten und Bücher in Schweinsleder, deren Schnitt wie verrostetes Eisen aussah und die vielleicht einmal von tiefsinnigen Mönchen geschrieben worden — dachte Maris.

      Dass diese Raritäten genau so wie in seinem Fenster auch in dem Herrn Nikolaas van der Layen selbst herumlagen und in einem Schleier von Staub noch altertümlicher erschienen, merkte Matheis, als er den Laden betrat. Wohl eine Stunde hatte er draussen auf den Strassensteinen gestanden, versunken in Anblick und Deutung der Schätze hinter dem Fenster. Aber auch um zu beobachten, ob er wohl mit Herrn Nikolaas van der Layen allein sein werde, wenn er sein Anliegen vorbrächte.

      Da in dieser langen Zeit kein Mensch über die ausgetretenen Stufen geschritten war, fasste er sich ein Herz. Die Glocke über der Ladentür, die an einer stählernen Feder hing, bellte wie ein kleiner aufgeregter Hund, der nicht von der Stelle weicht, bis ihn sein Herr zur Ruhe verweist. Was Herr Nikolaas van der Layen denn auch tat. Er ergriff ein Bambusrohr und legte diesen verlängerten Zeigefinger auf die Wächterin seiner Schätze.

      Doch dazu kam es erst nach hinlänglicher Zeit; denn der Laden des Nikolaas van der Layen war eine Einrichtung, die aus sehr vielen kleinen derartigen Einrichtungen bestand, welche im Laufe der Jahre zwischen den äusseren vier Wänden eingebaut waren durch Regale voller Bücher, Etagèren mit altem Porzellan, Bildern, Geweben aus aller Herren Länder.

      Darum stand Matheis Maris zwei furchtbar lange Minuten unter der belfernden Glocke und bildete sich ein, er habe die Tür wahrscheinlich ungeschickt behandelt, weil sich während obenbesagter Minuten ausser seiner bänglichen Verwunderung und dem Sturmläuten nichts ereignete, das für seine Sinne wahrnehmbar gewesen wäre. In Wirklichkeit jedoch machte sich Herr Nikolaas van der Layen in dem Labyrinthe seines Ladens auf die Socken — was Matheis schliesslich an dem Schatten erkannte, den die mancherlei Lämpchen aus den mäandrischen Gängen gegen die Decke warfen.

      Endlich hatte sich ein Mensch durch diese Gänge hindurchgewunden. Der trug den Namen Nikolaas van der Layen. Und nun erst trat der Bambusstock in seine wahrhaft beruhigende Tätigkeit.

      Van der Layen sah aus wie sein Laden. Im Gegensatz zu diesem machte er jedoch auch einen ungeheuer zuvorkommenden Eindruck. Er lupfte sogar das zerschlissene Seidenkäpplein ein wenig und fragte: „Was steht dem jungen Herrn zu Diensten?“

      Dies aber war nur das Werk eines Augenblicks; denn als der Händler erfuhr, dass Matheis Maris nicht gekommen sei, etwas zu erstehen, sondern womöglich zu verkaufen, welkte sein Gesicht zu einer niederträchtigen Hässlichkeit zusammen, und Nikolaas van der Layen liess sich an, als stünde er dem bösen Feinde in Person gegenüber. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und machte mit der Hand den Vers von der Göttlichen Komödie: Lasst alle Hoffnung sinken ihr, die ihr hier eintretet. Matheis Maris hatte von der Göttlichen Komödie zwar keine Ahnung, aber er dachte, eins Hand wie diese müsse sich aus der Pforte des Himmels strecken, wenn ein der Verdammnis Verfallener irrtümlicherweise dort Einlass begehre.

      Herr Nikolaas van der Layen schlurfte danach aber nicht zur Tür seines Altwarenhauses, um den bösen Feind hinauszukomplimentieren, sondern er hielt dem betroffenen Wanderer eine Rede über die schlechte Lage des Geschäfts im allgemeinen und über die kümmerliche Nachfrage nach Bildern im besonderen. Er sprach bitter, aber er sprach geläufig. Und dabei wusste er aus Matheis Maris herauszulocken, dass es sich um zwei Dutzend kleine Ölgemälde, und zwar Originale, handele. „Von wem?“ — „Von Matheis Maris.“

      Diesen Namen wiederholte Herr van der Layen. Und als er ihn zum zweiten Male durch seinen Mund gezogen hatte, sah er aus wie ein Stück Seidenpapier in einer Wagentraje, wenn’s regnet. „Gott im Himmel, wer ist Matheis Maris?“ lachte Nikolaas van der Layen.

      „Er ist mein bester, mein einziger Freund,“ sagte Matheis und begann kleinlaut zu erzählen, wie er eigentlich habe zu Alma Tadema reisen wollen und wie ihm eingefallen sei, dass ihm wohl auch der Herr van der Layen mit seinem Rate beistehen könnte.

      So spann sich die Geschichte aus dem Schaufenster in das Altwarenkabinett auf der Westerstrasse zu Amsterdam immer tiefer hinein und verleugnete von Anfang an nicht ihren epischen Charakter mit dramatischem Einschlage. Wobei die behagliche epische Breite das Übergewicht hatte.

      Ja, es war, als hätte dieser Herr Nikolaas van der Layen an jenem Tag überhaupt keine andere Aufgabe, als die Angelegenheit seines Besuches in die Länge zu ziehen. Daran änderte sich auch nichts, als eine Seite der mäandrischen Gasse in sanfte Bewegung geriet; denn diese Seite — aus einem Gewebe von unbestimmten Farben gebildet — wurde an einer Stelle plötzlich gerafft, und das scharfgeschnittene Gesicht eines bleichen jungen Mannes ward sichtbar. Ein Paar grosse dunkle Augen richteten sich auf Matheis Maris.

      „Haben Sie gehört, ter Meulen?“ fragte van der Layen.

      Die fieberigen Sterne des Sehens blieben unbeweglich stehen bei der Wand aus alter Seide. Nur der Mund, der aussah wie der eines alternden Komödianten, verzog sich verächtlich. Jedennoch — Nikolaas van der Layen betastete nervös den Rucksack des Maris und schickte sich an, bei der Herabnahme behilflich zu sein. Dabei sprach er in einem fort von der Unmöglichkeit, das Bild eines Unbekannten zu verkaufen — „und könnte dieser Unbekannte malen wie Rembrandt oder wie der liebe Gott!“

      Das Kapitel der Geschichte des Matheis Maris im Altwarenkabinett der Westerstrasse zu Amsterdam hatte um elf Uhr des Vormittags begonnen. Es dauerte bis gegen drei Uhr nachmitags. Es war demnach so lang wie zwei Romane, die ein geübter Leser in vier Stunden bequem zu Ende liest. Darum kann nur andeutungsweise berichtet werden, was in diesen vier Stunden geschah. Kein Käufer störte den Gang der Handlung. Nikolaas van der Layen entfernte von jedem Bilde die papierne Hülle, trat mit jedem in das Licht des Tages, das durch die Scheibe der Tür fiel, rückte zu jeder Betrachtung die Hornbrille mit den Rundgläsern mit genau der gleichen Bewegung und prüfte mit der Lupe. Unbemerkt von Matheis Maris schien er dem jungen Mann hinter dem Vorhang einen Wink gegeben zu haben; denn dieser trat plötzlich hervor, war sehr lang, nahm die Tafeln der Reihe nach aus der Hand van der Layens und betrachtete sie mit seinen tiefen heissen Augen. Manchmal warf van der Layen einen Blick auf ter Meulens Gesicht. Und fiel kein Wort. Es war, als hätte sich der Händler stummgeredet im Übereifer von vorhin. Van der Layen zählte die Tafeln. Es waren vierundzwanzig. Sie waren von Eichenholz und alle kleinen Formats. Er nahm sie unter den Arm, sah Matheis Maris an und sagte: „Kommen Sie.“ Dann schritt er vorauf in die mäandrische Gasse. Ter Meulen bildete den Beschluss.

      Matheis Maris hatte in seinen Büchern ein Bild von den Katakomben. Es war ihm, als leite man ihn zu einer unterirdischen Grabstätte. Bald nach rechts, bald nach links wendeten sie, bald in Finsternis und bald in den Schein eines schwimmenden Ampellichts, das kaum die Kraft hatte, einen Schatten zu werfen. Dann kamen sie ins Herz dieses Labyrinths. Das war ein freier Platz — in dessen Mitte ein kleiner Tisch mit einer brennenden Lampe. Davor standen zwei Lehnsessel mit Armrasten, aus Rohr geflochten. Nikolaas van der Layen setzte sich auf einen Bücherstapel und lud Matheis Maris mit einer Handbewegung ein, auf einem der Stühle sich niederzulassen. In den anderen sank ter Meulen.

      „Erzählen Sie, wie Sie zu diesen Bildern kommen,“ sagte van der Layen. „Wo lebt Ihr Freund? Hat er mehr? Wie alt ist er? Wer ist sein Lehrer gewesen? ...“ Er hatte seine Sprache wiederbekommen und schüttele einen ganzen Sack voll Fragen über Matheis Maris aus.

      Der hob den lange gesenkten Blick und sagte: „Matheis Maris bin ich.“

      Nikolaas van der Layen lupfte sein Mützlein. Es geschah nicht zur Ehrenbezeigung; sondern: diesen Ausdruck des Erstaunens liess sich der Kaufmann entwischen trotz seiner Verschlagenheit — er dachte: im vorliegenden Falle hätte es damit keine Gefahr. Dann wischte er sich mit der Hand aus gelbem Pergament über das Gesicht, als hingen Spinnweben darin,


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