Der Heidekönig. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.
begegnen, so brauchen wir nicht zu entscheiden, auf wen dies Narrentum zutrifft. — Der Himmel, Nele Greefs, ist aus blauer Seide ...“
„Hurrjeh!“
„Ich wollte, er wäre aus blauem Stahl; da könnte von draussen niemand herein zu mir. Und wenn ich nicht gerade auf den Sandsack steige, den mir der Heidewind hinter das Haus gelegt hat, so kann ich des vergnügten Wahnes sein, die gesamte daseinverhunzende Menschheit hat der liebe Gott aus seinem Himmel ausgesperrt.“
Diese Gedanken bewegten sich in einer Welt, zu der Menschen gemeinhin keinen Zutritt haben. Deshalb kam auch das Lachen in Nele Greefs und sie pickte die blaue Seide, den blauen Stahl, sogar den plumpen Sandsack gleich heraus aus seiner Rede, wie ein Huhn die Körner von der Tenne. Es war ihr über die Massen, dass solch ein Bauernjunge von der blauen Seide des Himmels redete als von einer platten Selbstverständlichkeit, die einem nur so im Munde liegt. Überhaupt — nie zuvor hatte er so an ihr vorbeigedacht und über sie hinweggeredet wie heute.
„Weisst du, ich habe mich nun dreimal an dir geärgert, Matheis Maris.“
„Dann wären wir uns also nichts mehr schuldig.“
„Und das Bild, das du mir versprochen hast?“
„Es war voreilig, Nele Greefs. Du bist für mich bloss Staffage.“
„Ist das wieder eine Niederträchtigkeit?“
„Nein, Nele Greefs — das ist eine schmerzliche Wahrheit.“
„Na, denn mag es sein. Und wann wirst du mich malen?“
„Gar nicht. Aber wenn dir daran liegt — ich will dir das Bild in Jahr und Tag schenken; die Moorkuhle mein ich, an die ich dich vorhin gesetzt habe. In Jahr und Tag, hörst du? Es ist das eine hübsche Erinnerung für dich; denn du kannst darunter schreiben: »Wie ich im Paradiese war«.“
Geraume Zeit war vergangen, da erschien Pieter Bosboom. Er fand das Haus offen, die Welt sommerstill und den Menschen Maris bei einer Beschwörung in Einsamkeit. Diesmal war Pieter gekommen, ihm Vorwürfe zu machen: er behandele die Menschen wie Luft und seine Freunde wie Feinde. „Da du im Finstern nicht malen kannst, Matheis Maris ...“ — „Aber bei der Lampe lesen, Pieter Bosboom!“ — „ ... so könntest du dich wohl manchmal für eine Stunde hinüber finden zu uns.“
„Ja,“ sagte Matheis, „wenn es um nichts als um diese Stunde ginge! Aber ich reisse mir damit etliche Tage ein. Wenn du eine Pflanze mit all ihren Wurzeln aus ihrem Boden nimmst, so bringst du sie in ihrer Entwicklung nicht bloss um die Stunde, in der du sie versetzest, sondern du stiehlst ihr eine Reihe von Tagen. Und wenn du sie in jeder zweiten Woche aus ihrem Grunde hebst — lieber Pieter Bosboom, muss ich dir sagen, dass du sie dann um Blüte und Frucht bestiehlst?“
„Wenn das so ist ...“
„Es ist so. Und das ist nicht einer jener hinkenden Vergleiche, die sich leidlich anhören, zuletzt aber doch nicht Stich halten. Nein, es ist ganz und gar so, Pieter Bosboom.“
Dann auf dem Heimwege versuchte er sich vorzustellen, wie das mit Matheis Maris sei. Er geriet darüber in tiefe Finsternis, versäumte den Zwiesel des Moorpfades, stapfte bis gegen Mitternacht im Ried und an Tümpeln herum und sah immer das Licht aus Flossy, Maris’ Fenster. Das schlug ihm einen goldenen Steig entgegen. Aber er konnte nicht darauf wandern. Endlich stapfte er in den Hof und tastete nach Mutter Flossys Türklinke. Weil er so lange aus war, spukten nun die Sorgen der Frau als Gespenster durch das Häuschen. Er fand Flossy, zerschreckt und mit verweinten Augen. „Es ist nicht leicht für eine Mutter, immerzu Liebe zu säen und immerzu Leid zu ernten. Wie steht es um ihn?“
„Oh, er ist blank und wohlauf wie ein Pfingstmorgen! Aber er ist undurchsichtig für uns. Undurchsichtig wie eine Nacht ohne Sterne. Nein, noch undurchsichtiger. Aus der Nacht hab ich mich wieder herausgefunden — in Matheis Maris diesmal aber gar nicht erst hinein!“
Die Frau hatte einen Kaffee gekocht. Nun sass sie mit Pieter Bosboom am Tisch und redete lange mit ihm. Er sagte ihr auch das Bild von der Pflanze, das Matheis gebraucht hatte. — Das Gleichnis verstanden sie. Aber die Seele des Matheis Maris verstanden sie nicht.
Und dies waren die Meinungen des Matheis Maris: die Menschen forderten Zeit von ihm, die er nicht hatte. Sie forderten Teilnahme für sich, die er nicht aufbringen konnte — oder er musste sich dabei selbst verspielen. Er dachte: Tausende pflegen die Teilnahme als ihren Beruf — Pastoren, Lehrer, Politiker, Bürgermeister ... Ja, tausende Andere treiben die Teilnahme bis zur Aufgabe ihrer Persönlichkeit — diese scheinen den Verlust nicht so hoch einzuschätzen wie den Gewinn an kleiner Münze, den sie dafür einwechseln ... Saget mir: wird einer einen Pastor aus dem Gottesdienst von der Kanzel rufen zum Skatspiel? ... Nun, Kunst ist auch Gottesdienst! Aber ein Gottesdienst, der nicht um neun Uhr angeht und um elf Uhr aus ist. Sondern ein Dienst über den ganzen Tag und die halbe Nacht. Es braucht einer dazu nicht vor der Staffelei zu stehen und mit dem Pinsel zu hantieren. Aber auf den Ruf Gottes hat er zu achten: »Matheis, wo bist du?« Die vielen Vielzuvielen können zwischen ihren Hantierungen treiben, was sie Lust haben — kein Gott ruft nach ihnen je und je!
Härter wurde der Wille des Matheis Maris. Kühner und klarer wurde der Schnitt seines Gesichts. Trotzig sein Mund. Und weil die Sommersonne sein Antlitz sengte und er gar nicht darauf achtete, sah er nun erst recht aus, als hätte der liebe Gott den Menschen des neuen Paradieses geschnitzt aus Eichenholz. Die Wandlung, die mit seinen Augen vorging, war wunderbar. Von Kindheit hatten sie sich gewöhnt, über die Heide zu schauen bis an den Reifen des Himmels. Dann hatten sie gesucht nach seiner Sehnsucht. Nun suchten sie die Gedanken Gottes. — Daher kam das grosse Leuchten in diese Augen; daher die Spiegelung der Einsamkeit; daher die Tiefe des Schauens. Und wenn es geschah, dass wochenlang nicht das Bild eines einzigen Menschen auf den schmalen Moorsteigen wandelte und nur die hellblauen Blumen des Tages oder die dunkelblauen der Nächte in der funkelnden Klarheit des Sommers um ihn standen, dann erschauerte sein Herz recht herrlich vor der Nähe Gottes, die ihn anwehte aus dem Dufte der Heide, die ihn grüsste im leise wandernden Wind. Und da die Geschichten der Männer des alten Bundes schon in der Schule ihn erfüllt hatten, ja, da sie fast das einzige gewesen waren, was von anderen Zeiten und ihren Menschen in seinen jungen Geist gelegt worden war, so schöpfte er aus ihnen nun die Zuversicht, deren er bedurfte. Denn manchmal, wenn eine Landschaft Erde blieb unter seinem Pinsel, nichts als Erde, so dachte er, es wäre wohl wieder die Zeit für einen Scheiterhaufen, auf dem er verbrennen müsste seine Bilder und seine Hoffnungen und die wilde Verstiegenheit des Bauernjungen. Danach wollte er heimkehren, ein verlorener Sohn, und sagen ... Dann aber rang er mit dem Gott in sich wie Jakob in der Nacht an der Stätte Bethel, da er sein Haupt auf den Stein gebettet: »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!« Es ist das Gebet der Sieger. — So schritt Matheis Maris hinein in die grosse Einsamkeit.
Durch einen nebelschweren Herbsttag drängte sich Pieter Bosboom. Wie er dachte, dass er in der Nähe der Hütte von Matheis sei, machte er aus seinen Händen ein Nebelhorn und schrie hindurch. Ahoi! Da lief Matheis Maris hinaus in das wogende Meer vom Himmel gefallener Wolken; denn er dachte, es sei einer in Not. Ahoi! So kämpften sie sich zueinander, und Matheis hing sich in Pieter Bosbooms Arm. „Nun Matheis, Mensch, also so siehst du aus! Mutter Flossy meint, es sei Zeit, dich hinüberzuholen auf die Erde!“
Maris lachte ihm ins Gesicht. „Ich habe über Sommer Torf gestochen und getrocknet für drei Jahre. In drei Jahren wollen wir wieder davon reden.“
Sie traten in die Stube. Die Staffelei stand am Fenster. Ein Bild war darauf: aus der Heide tauchten die Nebelgeister und zogen zur Arbeit. Auch andere sah Pieter Bosboom — tiefe Erlebnisse des künstlerischen Gemüts. Das Geheimnisvolle, das Übernatürliche hatte die Seele des Matheis Maris gesucht, seit Pieter der Gärtner nicht mehr im Paradiese gewesen war. „Es ist immer viel anders geworden mit dir, wenn man dich wiedersieht. Jetzt wirst du überweltlich.“ Er hätte gerne ein Wort gehabt, mit dem er dies Geltendmachen des Geheimnisvollen erfassen konnte, das er an Maris erkannte. Und weil er zu dem Begriffe des Mystischen nicht fand, umschrieb er ihn nicht ungeschickt. Dann redeten sie von jenseits des Paradieses. Und merkten zu ihrer Belustigung, wie die Seele des Menschen Matheis aus diesem Jenseits, in dem die Menschen wohnen,