Perry Rhodan Neo Paket 24. Perry RhodanЧитать онлайн книгу.
gewesen war, hatte er seinen Frieden gemacht. Aber seine andere Fähigkeit – das Reisen in alternative Möglichkeitszustände oder parallele Realitäten – hatte er schon lange nicht mehr bewusst angewandt. Nur manchmal erwachte er morgens aus lebhaften Träumen und war sich nicht völlig sicher, von was für einem Ort er gerade zurückgekehrt war.
Mittlerweile waren er und Josue Moncadas die letzten der alten Mutanten, die noch aktiven Dienst versahen. Dann waren da natürlich noch der schlafende Ras; Sud, die zu etwas völlig Neuem und anderem geworden war; und Gucky, der sowieso keinen Regeln gehorchte. Dazu einige jüngere Begabte, die am Lakeside Institute ihre bescheidenen Fähigkeiten trainierten. Das Korps als solches aber, das lange Zeit wie eine Familie für John Marshall gewesen war, dessen Mitglieder zu ihm aufgesehen hatten wie zu einem Vater, existierte schon lange nicht mehr.
Vielleicht waren es die Zellaktivatoren, die Moncadas und ihm die nötige Kraft zum Weitermachen verliehen. Deshalb war es auch seine Pflicht, den Menschen, denen er so viel verdankte, etwas zurückzugeben.
Der Klang einer Geige tönte durch den Abend. Marshall blieb an der Einfahrt zur Garage stehen und lauschte. Noah war zu Hause – bald würde sein Sohn an die Akademia Terrania zurückkehren, um sein Musikstudium fortzusetzen. Und Belle würde wieder zum Mond fliegen, um nach Möglichkeiten zu forschen, ihre in Kreell eingeschlossenen Freunde zu befreien.
Die vergangenen Wochen mit seiner Familie waren eine wunderbare Pause von den langen Raumflügen, den Einsätzen, der ständigen Gefahr gewesen. Umso schmerzhafter, dass diese Zeit des Friedens nun enden musste. Vor zwei Stunden hatte Marshall den Starttermin genannt bekommen. In drei Tagen würde die CREST II erneut losfliegen, und sie würden vielleicht wieder viele Wochen oder Monate unterwegs sein.
Doch er wusste, Belle McGraw würde es ihm nicht vorwerfen. Es war in Ordnung, dass er ging. Auch für Noah, der schon lange kein kleines Kind mehr war. Sie alle hatten ihre Leidenschaften, ihre Obsessionen, ihre Pflichten ... Marshall und seine Frau hatten zudem etwas, wovon die meisten Paare viel zu wenig hatten: Sie hatten Zeit.
Er griff nach dem Zellaktivator unter seinem Hemd. Kurz musste er innehalten, denn das Lied der Geige trieb ihm die Tränen in die Augen. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle, ging zur Eingangstür und schloss sie auf.
»Ich bin zu Hause!«, rief John Marshall.
*
»Das hier sind die Kontaktdaten der wichtigsten Maler und bildenden Künstler in Crest Village«, informierte Thora Rhodan da Zoltral ihren Stellvertreter. »Nicht, dass ich das beurteilen könnte ... Aber man versicherte mir, dass sie gut seien.«
Serad Kitrina nickte pflichtschuldig. Doch es brauchte nicht viel Menschen- oder Arkonidenkenntnis, um ihm anzusehen, dass ihn der Gedanke, allein einen Staatsempfang für Imperator Gonozal VII. auszurichten, an den Rand einer Panik brachte.
»Interessiert sich Mascudar da Gonozal für Malerei?«, fragte Kitrina schüchtern.
»Ich habe keine Ahnung«, gestand Thora. »Atlan hat nie viel von seinem Vater erzählt. Außer dass er ein furchtbar strenger und nachtragender Mann gewesen sei, der nie einen Fehler verzieh.«
Kitrina wurde noch ein bisschen blasser, seine roten Augen tränten fast vor Bestürzung. Thora grinste. Der Junge war ein helles Kerlchen, aber er musste noch viel lernen. Dann solltest du von seinem Selbstbewusstsein noch was übrig lassen, empfahl ihr der Logiksektor.
»Tut mir leid, war nur Spaß«, beruhigte sie Kitrina. »Die Wahrheit ist, wir kennen die Vorlieben des Imperators nicht. Und deshalb haben Sie hier die besten Maler, dort die besten Musiker und da eine Handvoll Dichter. Matthew Zack wird zudem ein Dagorturnier ausrichten.« Der Halbarkonide war ein weithin bekannter Kampfsportler und Thoras Trainingspartner, wenn sie die Zeit dazu fand. »Und wenn der Imperator dann noch nicht zufrieden ist, fliegen Sie ihn auf den Mond und besichtigen die Landestelle der AETRON und das Denkmal. In der Lunar Research Area weiß man Bescheid.«
Kitrina schluckte. »Danke, Botschafterin.«
»Glauben Sie mir – Stella Michelsen ist auch nicht scharf auf diesen Staatsbesuch«, ließ Thora ihren Stellvertreter wissen. »Im besten Fall verzögert sich das alles noch, bis wir wieder zurück sind. Dann übernehme ich den Imperator, und Sie können mir beim Kriechen zusehen und lernen.«
»Was sage ich, wenn er mich auf meine Rolle während des Protektorats anspricht?«, fragte Kitrina besorgt.
»Die Wahrheit: dass Sie da noch nicht geboren waren. Das ist genau das Zeichen, das wir setzen wollen – jeder hat die Chance auf einen Neubeginn, und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.« Sie runzelte die Stirn. »Jetzt sehen Sie, was Sie getan haben, ich zitiere schon Erdenlyrik.«
Kitrina lachte, sammelte die mit Datenchips bestückten Visitenkarten und die Speicherkristalle auf seinem Positronikpad wie ein Kellner die bestellten Getränke auf einem Tablett und trug sie hinüber in sein Büro.
Auf dem Weg nach draußen stieß er beinahe mit einer Besucherin zusammen.
»Thora?«, fragte Gabrielle Montoya, mit dem Fingerknöchel zaghaft gegen den Türrahmen klopfend.
»Gabrielle!«, rief Thora verblüfft. »Komm doch rein.«
Die alte Frau trug ihre Offiziersuniform und das lange, sorgsam zusammengebundene Haar protokollarisch mustergültig zur Schau. Thora hatte sie seit der zweiten Beisetzung ihres Manns, die ohne großes Zeremoniell verlaufen war, nicht mehr gesehen. Da hatte sie das unbestimmte Gefühl gehabt, dass es ein Abschied für sehr lange Zeit werden könnte. Thora hatte die gemeinsamen Abende gemocht – mit Conrad und ihr, mit Perry, manchmal mit John und Belle sowie früher natürlich auch Reginald und Autum. Aber seit dem Tod ihres Manns wirkte Montoya wie eine Kriegerin, die ihren Kampfeswillen verloren hatte. Ein trauerndes Herz in einem kraftlosen Körper.
»Danke.« Montoya trat näher.
Thora deutete auf den Sessel vor ihrem Schreibtisch, die Karaffen mit Getränken auf der Anrichte. »Setz dich doch. Möchtest du etwas trinken?«
Die Offizierin ließ kurz den Blick schweifen. Thora glaubte nicht, dass Montoya die derzeitige arkonidische Botschaft je von innen gesehen hatte. Die meisten Besucher waren überrascht, wie schlicht sie war: nur ein paar Kunstobjekte, die von ihren Landsleuten erwartete Folklore und das Wappen ihres Hauses, der erloschenen Linie der da Zoltral. Ansonsten war es ein ganz normales Büro wie so viele andere. Kein Vergleich zu dem Zirkus, den die Mehandor um ihre Geschäftsstelle machten.
»Ich bin gekommen, weil ich dich um einen Gefallen bitten wollte«, sagte Montoya, ohne sich zu setzen oder die Getränke anzurühren. »Ich habe gehört, ihr startet in drei Tagen ins Compariat?«
»Die CREST II wird gerade abflugbereit gemacht«, bestätigte Thora. »Was kann ich für dich tun, Gabrielle?«
Die alte Spanierin schluckte. »Ich möchte mitfliegen. Ich bitte dich um einen Job.«
Einen Moment lang wusste Thora nicht, wie sie reagieren sollte.
Die Bitte sollte dich nicht überraschen, äußerte ihr Logiksektor.
Und er hatte recht – es war naheliegend, dass jemand wie Montoya nicht einfach die Hände in den Schoß legen wollte. Auch dass sie eigentlich längst im Ruhestand war, ließ sich leicht lösen. Thora hatte sie gerade erst als Kommandantin erlebt und wusste, dass sie im Einsatz hellwach und belastbar war.
Doch das war es nicht, was sie innehalten ließ. Nein, was Thora so erschreckte, war die schiere Angst in Montoyas Augen. Die Angst davor, dass Thora Nein sagen könnte.
»Ich weiß, dass die Zentrale bereits mit hervorragenden Leuten besetzt ist«, fuhr Montoya fort, als sie Thoras Zögern sah. »Gib mir einfach ein Beiboot, einen Teil der Landetruppen, eine ...«
»Red keinen Blödsinn!«, unterbrach Thora barsch und griff nach ihrem Komgerät. Dank ihrer Kennung dauerte es keine zehn Sekunden, und sie hatte Marcus Everson erreicht.
»Hallo, Marcus«, kam Thora ohne Umschweife zur Sache. »Es geht um dein altes Schiff – die TERRANIA.«