Die Abenteuer des Kapitän Hatteras. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
»Der Meinung bin ich auch, Johnson; aber die Schwierigkeit wird darin bestehen, bis zu dieser Bai Melville zu gelangen; sehen Sie, wie auf allen Seiten diese Eisblöcke uns umgeben! Sie lassen ja dem Forward kaum einen Durchweg. Betrachten Sie nur diese unermessliche Ebene.«
»Wir Walfischfänger, Herr Clawbonny, nennen dies ein Eisfeld, d. h. eine Fläche zusammenhängender Eisblöcke, deren Ende man nicht absieht.«
»Und hier, dieses unterbrochene Feld, diese langen Stücke, welche mehr oder minder aneinander anstoßen?«
»Das heißen wir pack, und palch, wenn die Form rund ist, sowie stream, wenn sie lang.«
»Und diese schwimmenden Blöcke?«
»Das ist Treibeis; sind sie etwas höher, so nennt man sie Eisberge; ein Zusammenstoßen mit ihnen ist den Schiffen gefährlich, und man muss sie sorgfältig meiden. Sehen Sie, dort unten auf jenem Eisfeld, eine vom Druck der Eisblöcke verursachte höher emporragende Stelle, die nennen wir hummock, und wenn sie an ihrer Basis unter Wasser ist, calf; diese Benennungen gab man, um sich darüber verständlich zu machen.«
»Ah! Das ist wahrhaftig ein merkwürdiger Anblick«, rief der Doktor beim Betrachten dieser Wunder des Eismeeres aus, »und was machen diese verschiedenen Anschauungen für einen lebhaften Eindruck auf die Fantasie!«
»Allerdings«, erwiderte Johnson; »die Eisschollen nehmen manchmal fantastische Formen an, und unsere Leute sind nicht in Verlegenheit, sie in ihrer Weise zu deuten.«
»Schauen Sie, Johnson, und staunen über dies Gesamtbild von Eisblöcken! Sieht es nicht wie eine sonderbare Stadt, eine orientalische mit Minaretts und Moscheen in bleichem Mondschein? Weiter dort eine lange Reihe gotischer Bogen gleich der Kapelle Heinrichs VII., oder wie am Parlamentshaus.«
»Wirklich, Herr Clawbonny; aber es wäre doch gefährlich, darinnen zu wohnen, und man darf ihnen nicht allzu nahekommen. Es gibt da Minaretts, die wanken auf ihrer Basis und könnten ein Schiff wie den Forward zertrümmern.«
»Und man hat sich in die Gefahr dieser Meere hineingewagt«, fuhr der Doktor fort, »ohne den Dampf bereit zu haben! Wie ist es möglich, dass ein Segelschiff mitten zwischen diesen schwimmenden Klippen eine Richtung verfolgen kann?«
»Man hat’s jedoch ausgeführt, Herr Clawbonny; wenn der Wind widrig wurde, was mir mehr wie einmal begegnete, hing man sich geduldig mit dem Anker an einen solchen Block fest, trieb mehr oder minder mit ihm, und wartete so die günstige Stunde zum Weiterfahren ab; zwar brauchte man bei dieser Art zu reisen einige Monate Zeit da, wo bei einigem Glück wir nur einige Tage darauf wenden.«
»Es kommt mir vor«, sagte der Doktor, »als sinke die Temperatur noch mehr.«
»Das wäre schlimm«, erwiderte Johnson, »denn es ist Tauwetter nötig, dass diese Massen sich zerteilen und sich im Atlantischen Meere verlieren; sie sind übrigens in der Davis-Straße zahlreicher, weil zwischen dem Kap Walsingham und Holsteinborg das Land merklich näher beisammen ist; doch über den siebenundsechzigsten Grad hinaus werden wir finden, dass im Mai und Juni die Meere leichter zu befahren sind.«
»Ja, aber man muss erst hinkommen.«
»Jawohl, Herr Clawbonny, im Juni und Juli hätten wir die Fahrt frei gefunden, wie die Walfischfänger auch; aber es war uns genau anbefohlen, dass wir im April uns hier einfänden. Darum irre ich sehr, oder unser Kapitän ist ein tüchtiger Schelm, der weiß, was er will; er ist nur deshalb so frühzeitig abgefahren, um recht weit zu fahren. Schließlich werden wir es sehen.«
Der Doktor hatte sich in seiner Äußerung über das Sinken der Temperatur nicht geirrt; das Thermometer zeigte um Mittag nur sechs Grad (-vierzehn Grad hundertteilig) und es herrschte ein Nord-West, der, obwohl er die Witterung heiter machte, doch zugleich mit der Strömung die schwimmenden Eisblöcke heftiger dem Forward entgegen beförderte. Es trieben jedoch nicht alle in derselben Richtung; nicht selten traf man solche, und zwar die höchsten, welche, an ihrer Basis von einer unterseeischen Strömung gefasst, in entgegengesetzter Richtung trieben.
Natürlich entstanden dadurch Schwierigkeiten für die Schifffahrt; die Maschinisten hatten nicht einen Augenblick Ruhe; die Leitung der Dampfkraft wurde unmittelbar auf dem Verdeck vorgenommen vermittels Hebel, welche sie verstärkten, hemmten, plötzlich, nach Befehl des Offiziers der Wache, in umgekehrte Richtung brachten. Bald musste man eilen, um durch eine Öffnung im Eisfeld zu dringen, bald an Schnelligkeit einem Eisberg, der den einzigen Weg zu versperren drohte, zuvorkommen; oder auch es nötigte ein unversehens rückwärts fallender Block zu raschem Umkehren, um nicht zerschmettert zu werden. Diese Anhäufung von Eisblöcken, welche von der Strömung aus Norden fortgetrieben und aufgeschichtet wurden, drängte sich in der Enge, und wenn der Frost sie festhielt, konnten sie dem Forward eine unüberwindliche Schranke setzen.
Es zeigte sich in diesen Gegenden eine unzählige Menge Gevögel; Sturmvögel flatterten überall mit betäubendem Geschrei, und Möwen mit dickem Kopf und langen Flügeln trotzten scherzend dem vom Sturm gepeitschten Schnee. Diese Munterkeit des Geflügels belebte die Gegend.
Zahlreiche Stücke Treibholz stießen widereinander; einige Pottfische mit enormen Köpfen kamen in die Nähe des Schiffes, aber zum Harpunieren war keine Zeit. Gegen Abend sah man auch einige Robben zwischen den Blöcken schwimmen.
Am 22. sank die Temperatur noch mehr; der Forward verstärkte seinen Dampf, um günstige Fahrwege zu gewinnen; der Wind war entschieden Nord-West geworden; die Segel wurden eingezogen.
Während dieses Tages, der ein Sonntag war, hatten die Matrosen wenig zu manövrieren. Nach dem von Shandon verrichteten Gottesdienst beschäftigte sich die Mannschaft mit der Jagd auf Weißmäntel und fing deren viele. Diese Vögel lieferten, gehörig zubereitet, ein angenehmes Gericht für die Tafel.
Um drei Uhr nachmittags hatte der Forward nordöstlich Kin de Sael erreicht, und das Gebirge Sukkertop lag südöstlich; die See ging sehr hohl; von Zeit zu Zeit senkte sich ein ungeheurer Nebel unvermutet