Fettnäpfchenführer Mexiko. Büb KäzmannЧитать онлайн книгу.
unter ihren Sitz, rückt zur Seite und erntet einen dankbaren Blick. Mit einem Seufzer lässt sich der ältere Mann neben ihr fallen.
»¿Adónde vas?« (Wohin fährst du?), fragt er sie und lächelt.
»A Cholula«, antwortet Lily und fügt, um ihr Spanisch ein bisschen zu trainieren, hinzu: »Vivo en un piso compartido cerca de la universidad.« (Ich wohne in einer WG in der Nähe der Universität.)
Ihr Sitznachbar nickt wohlwollend, vertieft sich dann aber – zu Lilys Enttäuschung, sie hätte sich gerne noch ein bisschen unterhalten – in seine Zeitung.
Nach zwanzig Minuten und vielen weiteren ruckartigen Stopps schaut der Mann plötzlich auf und meint: »Musst du nicht aussteigen? Wir sind schon fast an der Uni vorbei.«
Lily fährt der Schreck in die Glieder. Gerade noch hat sie sich gefragt, warum es hier keine Haltestellenschilder gibt.
Ihr Sitznachbar scheint ihren Schreck bemerkt zu haben und ruft dem Fahrer zu: »¿Puede parar, por favor?« (Können Sie bitte halten?), woraufhin dieser wieder einmal eine Vollbremsung hinlegt und der Bus zitternd und scheppernd zum Stehen kommt.
Lily greift hektisch nach ihrem Rucksack und hat kaum noch Zeit, ihrem Sitznachbarn zu danken und auszusteigen, da setzt sich der Bus auch schon wieder klappernd in Bewegung.
Reingetreten
Zunächst einmal ist die Furcht vor den mexikanischen Überlandbussen, wie Lily schnell bemerkt hat, unbegründet, und man sollte sich von Panikmachern wie hier dem deutschen Familienvater nicht anstecken lassen. Zwar gibt es Gegenden bzw. Strecken, vor allem im Norden des Landes, die man bei Nacht aufgrund möglicher Überfälle meiden sollte, allgemein ist das Reisen mit Überlandbussen jedoch eine sehr sichere, günstige und bequeme Angelegenheit. Vor allem die Luxus- und Erste-Klasse-Busse (lujo oder primera clase) entsprechen einem hohen Standard. Allerdings sind die Klimaanlagen – so angenehm diese Einrichtung an schwülheißen Tagen auch sein mag – häufig so niedrig eingestellt, dass der abrupte Wechsel von 35 Grad draußen zu 18 Grad im Bus zu hartnäckigen Erkältungen führen kann, wenn man sich nicht entsprechend mit Schal und Pullover wappnet.
Etwas anders sieht es mit dem öffentlichen Nahverkehr aus, vor allem in kleineren Ortschaften. Zwar trifft man auch hier nur in den seltensten Fällen auf tierische Passagiere, die per Bus zum nächsten Markt gebracht werden, doch die Ausstattung entspricht bei Weitem nicht dem Luxus in den Überlandbussen. Meist handelt es sich um ältere Modelle, die von ihren Fahrern in oft wagemutigem Tempo über mangelhafte Straßen gejagt werden – was nicht unbedingt zum Wohlbefinden der Passagiere beiträgt. Dennoch ist der Bus das günstigste (eine Fahrt kostet umgerechnet etwa 0,40 Euro) und sicherlich auch das interessantere Verkehrsmittel in mexikanischen Städten. Man bekommt immer etwas zu sehen, kommt ins Gespräch mit anderen Passagieren und auch der oft etwas ruppige Fahrstil ist ein Erlebnis für sich.
Das Aussteigen ist häufig ebenso aufregend wie die Fahrt selbst: Es gibt zwar einige feste Haltestellen, die jedoch in vielen Fällen, insbesondere in kleineren Orten wie Cholula, nicht beschildert sind. Der Bus hält außerdem auf Anfrage der Passagiere, die diese entweder direkt an den Fahrer richten oder per Knopfdruck kundtun. Da Lily sich noch nicht in Cholula auskennt, weiß sie natürlich auch nicht, wann sie aussteigen bzw. dem Fahrer Bescheid geben soll – wenn der nette Sitznachbar nicht gewesen wäre, wäre sie womöglich wer weiß wo gelandet.
Umgangen
Für das Reisen in klimatisierten Überlandbussen gilt, unbedingt warme Sachen (Schal, Jacke etc.) im Handgepäck zu haben, auch wenn die Außentemperaturen jeden Gedanken an ein weiteres Kleidungsstück absurd erscheinen lassen. Auch Wasser und etwas zu essen sollte man mitnehmen. Zwar gibt es immer wieder die Möglichkeit, von einem der Verkäufer, die im Bus ihre Waren feilbieten, Kleinigkeiten zu erstehen, aber besser ist es, sich nicht darauf zu verlassen und selbst vorzusorgen – zumal die belegten Brötchen der Händler im Bus oft keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck machen.
Beim Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln in mexikanischen Städten sollte man es generell entspannt angehen. Gerade in kleineren Städten gibt es oft nur wenige Haltestellenschilder, und auch Fahrpläne sucht man normalerweise vergeblich. Das bedeutet: Zeit mitbringen! Man stellt sich an die Straße, die der jeweilige Bus üblicherweise befährt, und wartet, bis einer kommt, dem man durch Winken den Wunsch mitzufahren deutlich macht. Als Neuling sollte man sich am besten in die Nähe des Fahrers setzen und ihn schon beim Einsteigen bitten, an der gewünschten Station Bescheid zu sagen und zu halten. Ansonsten helfen auch die übrigen Passagiere meistens gerne weiter.
Normalerweise sind die öffentlichen Verkehrsmittel sicher, auch wenn man natürlich gerade in überfüllten Bussen zur Rushhour, der liebsten Zeit der Taschendiebe, besonders auf sein Gepäck achten sollte (was übrigens in europäischen Städten nicht anders ist). Ein Unterschied besteht auch hier zwischen Groß- und Kleinstädten. Während die größte Gefahr der öffentlichen Verkehrsmittel in Cholula vermutlich in den teilweise schlechten Straßenverhältnissen liegt, ist in Groß- und Riesenstädten wie Mexiko-Stadt etwas mehr Vorsicht vor Taschendieben ratsam.
2
¡HOLA GUAPA!
WENN FRAU UNTERWEGS IST
Schon um sieben Uhr morgens ist Lily hellwach und kann nicht mehr einschlafen, und das, obwohl sie gestern noch bis spät in die Nacht mit ihren beiden neuen Mitbewohnern Simon und Héctor zusammengesessen hat. Über Simon ist sie überhaupt erst an die Wohnung gekommen, sie kennt ihn von der Kölner Uni und wusste, dass er bereits seit einem Semester in Cholula studiert. Per Mail und Skype hat er ihr wertvolle Tipps für ihren eigenen Aufenthalt gegeben, und schließlich stellte sich heraus, dass ein Zimmer in seiner Wohngemeinschaft frei werden würde.
Die beiden Jungs sind wirklich ein Glücksgriff: Sie haben extra für sie mexikanisch gekocht, um sie auf ihre neue Heimat einzustimmen, und Héctor hat spät nachts sogar noch die Gitarre ausgepackt und ein paar mexikanische Klassiker gespielt. Ein wirklich netter Kerl, dieser Héctor, denkt Lily, während sie sich im Bett räkelt und Pläne für ihren ersten Tag in Cholula schmiedet. Zum Markt muss sie auf jeden Fall! Simon hat ihr gestern Abend schon begeistert davon erzählt, während Héctor nur über los alemanes schmunzeln konnte, die beim bloßen Anblick von Bergen frischer Mangos völlig aus dem Häuschen gerieten.
Lilys Magen meldet sich – klar, in Deutschland wäre schon längst Zeit fürs Mittagessen, kein Wunder also, dass es sie nach einem deftigen Imbiss gelüstet. Als der Hunger immer größer wird, steht sie schließlich auf und zieht sich an. Es ist vollkommen ruhig in der Wohnung, die anderen beiden schlafen offenbar noch und draußen wird es gerade hell. Lily verlässt leise, um ihre neuen Mitbewohner nicht zu wecken, die Wohnung. Was hat Simon noch gesagt? »Einfach links und dann immer geradeaus und schon bist du in der Innenstadt. Da fragst du dann nach dem Markt.« Na, das sollte ja wohl nicht so schwierig sein.
Die staubige Straße liegt ruhig in der Morgensonne, noch ist es empfindlich kühl und Lily fröstelt. Selbst schuld, denkt sie, sie hätte ja auch nicht unbedingt den neuen Rock anziehen müssen. In der Ferne zeichnen sich die Silhouetten zweier schneebedeckter Berge vom klaren Morgenhimmel ab. Das werden wohl die beiden Vulkane mit den unaussprechlichen Namen sein, vermutet Lily, einerseits beeindruckt, andererseits aber auch ein bisschen beunruhigt angesichts der Rauchsäule, die aus einem der Gipfel emporsteigt.
EINE HEISSE LIEBE: POPOCATÉPETL UND IZTACCIHUATL
Der aztekischen Legende nach sind die beiden Vulkane zwischen Mexiko-Stadt und Puebla Zeichen der unsterblichen Liebe zwischen der Prinzessin Iztaccihuatl und dem Soldaten Popocatépetl. Da der König eine Verbindung seiner Tochter mit einem einfachen Soldaten ablehnte, schickte er den jungen Mann in eine Schlacht nach Oaxaca und versprach ihm im Falle seiner siegreichen Rückkehr die Hand der Prinzessin – wobei er darauf spekulierte, dass Popocatépetl niemals heil