Fettnäpfchenführer Mexiko. Büb KäzmannЧитать онлайн книгу.
ganz einfach zu finden sei, etwa acht Blöcke entfernt, ungefähr in dieser Richtung. Er deutet in die Richtung, aus der Anton gerade gekommen ist. Mit ähnlichen Worten hilft ihm etwa neun Blöcke weiter eine ältere Dame, nur schickt sie ihn wiederum in eine ganz neue Richtung.
Zwanzig Minuten später steht Anton an einer Kreuzung. Er hat mittlerweile jede Orientierung verloren und in der letzten Dreiviertelstunde bestimmt acht Mal gehört, dass es »ungefähr« bzw. »más o menos« noch so und so weit und dass die plaza »por allá«, also irgendwo dort drüben zu finden sei. Mittlerweile ist es zu spät, um noch nach Platten zu schauen. Um zur Verabredung mit Lily pünktlich zu kommen, nimmt er besser ein Taxi.
Anton hat Glück, schon bald kommt eines der rot-weißen taxis públicos vorbei. Er ist froh, dass er sich Straße und Hausnummer des kleinen Restaurants von Lily hat geben lassen. Ermattet drückt er dem Fahrer den Zettel in die Hand und sinkt ins Polster.
ÖFFENTLICH, PRIVAT, PIRAT: TAXIS
Taxis sind ein wichtiges Verkehrsmittel in Mexiko. Allein im Gebiet der Hauptstadt gibt es über 100.000 Taxis, die an jedem Werktag mehr als eine Million Menschen transportieren bzw. ihnen einen komfortablen Sitzplatz im Stau bieten. Neben den öffentlichen Wagen – in D.F. rot lackiert mit weißem Dach – existieren private Taxis, und es gibt die taxis de pirata. Weil sie keine Lizenz haben, setzen die Piraten auch keine aufs Spiel, wenn sie Touristen auf langen und teuren Umwegen zum Ziel bringen.
Die legalen Taxis erkennt man am Nummernschild, auf dem vor der Nummer ein »S« für sitio bei Taxis mit festem Standplatz oder ein »L« für libre (wörtlich: frei) für solche ohne festen Platz steht. Die legalen Fahrer haben zudem ihre Lizenz im rechten Seitenfenster hinten im Auto angebracht. Es gibt eine Fülle von speziellen Taxis, etwa für den Flughafenverkehr in D.F., Kleinbusse als Sammeltaxis (peseros oder colectivos) oder in der Altstadt Rikscha-ähnliche Elektrofahrräder, die ciclotaxis. Auch in Mexiko bieten der Fahrdienst Uber und seine Konkurrenten ihre Dienste an, was insbesondere bei den Interessenvertretungen der Taxifahrer sehr umstritten ist.
Für Ortsunkundige empfiehlt es sich nicht, ein Taxi auf der Straße anzuhalten. Sie sollten eher auf Funk- oder Hotel-Taxis zurückgreifen bzw. an einem Taxistand ein sitio-Taxi nehmen. Auf jeden Fall ist es sinnvoll, sich vorab über die ortsüblichen Preise zu erkundigen und vor Fahrtbeginn den Preis und die Modalitäten (Grundpreis, Zuschläge für Gepäck oder Nachtfahrten etc.) zu klären.
»Ya llegamos.« (Wir sind schon da.)
Anton muss eingenickt sein. Das Taxi steht direkt vor einem Gebäude, allerdings ist es kein Restaurant, sondern eine Fabrik. Er bittet den Fahrer zu warten und steigt aus. Eigenartig, die Hausnummer stimmt und das Straßenschild an der nächsten Ecke zeigt: Auch die Straße ist richtig. Sollte Lily sich geirrt haben?
Anton kehrt zum Taxi zurück. »Busco el restaurante ... San Cristobál.«(Ich suche das Restaurant San Cristobál.) Zum Glück ist ihm der Name noch eingefallen.
Der taxista runzelt die Stirn. In welcher colonia, welchem Viertel, die Straße und das Restaurant denn seien, will er wissen. Da muss Anton passen. Einige Handyanrufe später weiß der Fahrer, wo das Lokal liegt, und nach längerem Stop-and-go kommen sie am Restaurant San Cristobál an.
Wenige Augenblicke später umarmt ihn eine braungebrannte Lily. Er drückt sie, hält sie dann einen Moment auf Armlänge von sich weg und mustert sie. Und dann ist er heraus, der typische Onkel-Spruch, der ihm nie, nie, nie über die Lippen kommen sollte: »Sag mal, bist du schon wieder gewachsen?«
Reingetreten
Anton ist mit seinen Erlebnissen in recht großer Gesellschaft. Viele Mexikoreisende machen die Erfahrung, dass Passanten ihnen sehr hilfsbereit einen Weg erklären, der dann aber nicht zum gewünschten Ziel führt. Man rätselt: Ist es falscher Stolz, weshalb Einheimische nicht zugeben wollen, dass sie den Weg nicht kennen? Oder ist es eine aus unserer Sicht vielleicht eigenartige Form von Höflichkeit, die davon abhält zu sagen: »Tut mir leid, ich weiß es nicht«?
Allerdings gab es in diesem Fall kleine sprachliche Signale, die Anton hätten stutzig machen können. Wenn gesagt wird, die gesuchte Adresse befinde sich »dort hinten« (por allá) oder sie sei »ungefähr« (más o menos) noch so und so weit entfernt, ist Vorsicht angebracht. Wenn man solchen Hinweisen folgt, kann es sein, dass man etwas Gutes für die eigene Gesundheit tut, vorausgesetzt, man geht zu Fuß, aber es kann dauern, bis man ankommt.
Mexiko-Stadt ist nicht nur für Touristen, sondern auch für Taxifahrer kein Dorf, und viele Straßennamen sind mehrfach vertreten. Anton hätte sich nicht darauf verlassen sollen, dass der taxista mit Straße und Hausnummer das gewünschte Ziel ansteuern würde, sondern gleich den Namen des Restaurants und am besten noch das Viertel nennen sollen.
Umgangen
Mexiko-Stadt macht es dem Ortsfremden eigentlich nicht allzu schwer. Die Straßen sind in vielen Vierteln in Schachbrettform angelegt, ein Erbe der Kolonialzeit, das erleichtert die Orientierung. Die Häuserblöcke in diesem Quadrantensystem werden cuadras genannt. Natürlich kann man auch auf diesem Schachbrett matt gesetzt werden, wenn man die Regeln nicht beachtet. Beispielsweise sind manche Straßennamen so beliebt, dass sie gleich mehrfach vorkommen. Entscheidend ist deshalb, in welchem Stadtteil bzw. Quartier, also in welcher colonia sich die Straße befindet. Wenn Sie in Mexiko-Stadt eine Adresse genannt bekommen und die Angabe zur colonia nicht dabei ist, fragen Sie nach!
ORDENTLICH ANKOMMEN: VON KOLONIEN UND POSTLEITZAHLEN
Das mexikanische Wort colonia geht darauf zurück, dass Ende des 19. Jahrhunderts die französische Kolonie in Mexiko-Stadt außerhalb der damaligen Stadtgrenzen eine Ortschaft gründete, die der Einfachheit halber colonia genannt wurde.
Der Begriff hat sich als allgemeine Bezeichnung für die Stadtviertel von Mexiko-Stadt eingebürgert. Hin und wieder kann es zu Verwirrungen kommen, weil auch Wohnanlagen, oft mit Umzäunung, Toren und Wachen gesichert, als colonias bezeichnet werden.
Jede der rund 250 colonias im Sinne von Stadtquartier hat eine eigene Postleitzahl. Mexikanische Postleitzahlen sind fünfstellig. Die ersten beiden Ziffern stehen für den Bundesstaat bzw. einen Teil des Bundesstaates. Die 16 verschiedenen Verwaltungseinheiten (delegaciones) des Bundesstaates D.F. haben z. B. die Ziffern 00 bis 16, Yucatán hat die 97. Wie in Deutschland haben auch in Mexiko große Unternehmen oder Behörden eigene Postleitzahlen.
Hin und wieder kann es sogar vorkommen, dass Hausnummern doppelt vergeben werden. Wenn man am Zielort also kein Restaurant, nicht die angesteuerte Party oder was immer das Ziel war antrifft, ist es sinnvoll, Anwohner zu fragen. Manchmal hilft das, vorausgesetzt, Hilfsbereitschaft und Stolz sind bei ihnen nicht auch stärker ausgeprägt als die Ortskenntnis.
Zumindest dem Sprichwort nach sind die Mexikaner selbst ein bisschen misstrauisch gegenüber hilfsbereiten Zeitgenossen und ihren Wegbeschreibungen, insbesondere wenn es sich um Amtspersonen handelt. Die Redewendung besagt: »Wenn du nach dem Weg suchst, frag zwei Leute.« Und sie warnt: »Wenn einer davon Polizist ist, frag drei!«
5
EINE KAKERLAKE AUS GUTEM HAUSE
WENN EIN KÄFER AUF DEN TISCH FÄLLT
Kronleuchter und Tischkerzen tauchen die von Säulen gesäumte Halle in ein gedämpftes Licht. Aus den Lautsprechern perlt leise Klaviermusik, die sich mit dem Murmeln der Tischgespräche zu einem sanften Klangteppich verbindet. Die Kellner gleiten fast lautlos herum, und nur hin und wieder hört man verhaltenes Tellerklappern oder Gläserklirren.
»Wirklich deliziös«, lässt sich Anton bei der Wortwahl von der gepflegten Atmosphäre anstecken.
Lily und