Fettnäpfchenführer Frankreich. Bettina BoujuЧитать онлайн книгу.
werden, kann beim Frühstück grundsätzlich jeder machen, was er will. Paula hatte sich auf ein üppiges, deutsches Frühstück und eine ausgelassene Plauderstimmung eingestellt. Stattdessen wurde sie mit der eher hektischen und wortkargen Form des französischen Frühstückens konfrontiert und hatte Mühe, sich darauf einzustellen. Denn auch am Wochenende gilt in vielen französischen Familien die Regel, dass tagsüber jeder seinen Erledigungen und Verabredungen nachgeht und man sich dann abends zum gemeinsamen Abendessen trifft. Wer nicht daran teilnehmen kann, sollte das unbedingt mitteilen, da ein unangekündigtes Fernbleiben sonst als Affront empfunden werden könnte.
Brunchen, wie es in Deutschland üblich ist, ist erst seit Kurzem in Frankreich angekommen und verbreitet sich langsam in der jüngeren Generation, die viel gereist ist. Da hier ein Trend zu erkennen ist, wurde bereits versucht, ein französisches Wort zu erfinden, das das englische Wort »Brunch« ersetzen könnte. Aber Bezeichnungen wie grand petit déjeuner haben sich nicht durchsetzen können – man redet also auch in Franreich von Brunch. Rechnen Sie in einem normalen Pariser Café allerdings nicht damit, dass dort der Brunch schon Einzug gehalten hat.
Was können Sie besser machen?
Paulas Verwirrung und Enttäuschung sind durchaus nachvollziehbar. Sie wollte ihr erstes Wochenende in Paris mit einem herrlichen Start in den Tag beginnen und sich mit ihrer Gastfamilie in Ruhe austauschen. Dass das viel eher abends und weniger morgens geschieht, konnte sie nicht wissen. An der Situation selbst hätte sie allerdings nichts ändern können. Hier prallen unterschiedliche Gewohnheiten aufeinander, die verschiedene Erwartungen nach sich ziehen. Damit sollte man sich arrangieren, will man nicht immer aufs Neue enttäuscht werden. Wer Kontakte, ob privater oder beruflicher Natur, in Frankreich pflegen und intensivieren möchte, sollte sich dafür grundsätzlich eher das Abendessen aussuchen – bei gutem Rotwein und kräftigem Fleisch sind die Franzosen um ein Vielfaches gesprächiger!
MAHLZEIT!
Das Frühstück (petit déjeuner) fällt bescheiden aus und besteht meist nur aus einer Tasse Kaffee und einem Croissant. Oft wird nicht einmal der Tisch dafür gedeckt, man frühstückt, wenn man aufsteht und Hunger hat, und wartet nicht auf die anderen. Die Madame des Hauses deckt sich selbst nicht einmal einen Teller, sondern krümelt überall hin. Gefrühstückt wird zum Kaffee, Tee oder zur chocolat chaud oft nur eine tranche de pain (meist ein gegrilltes Stück Brot) oder eine brioche (ein weiches, süßes Brötchen).
Das Mittagessen (le déjeuner) findet zwischen 12.30 und 15 Uhr statt. Hier wird ausführlich geschlemmt, vor allem im Urlaub. Während der Arbeitszeit bleibt die Mittagspause meist auf eine Stunde beschränkt, damit man rechtzeitig zum Abendessen zu Hause ist.
Die Zwischenmahlzeit: Wer zwischen dem Mittagessen und dem Abendessen etwas zur Überbrückung braucht, ist in Frankreich nicht gut dran. Dafür gibt es nicht einmal eine offizielle Bezeichnung. Bei Kindern nennt man diese Zwischenmahlzeit un goûter, was so viel heißt wie »Nascherei«. Meistens handelt es sich dabei also um etwas Süßes. Une goutte bezeichnet den »Tropfen« und goûter heißt »probieren« – es geht also um kleinste Mengen. Unter Erwachsenen ist es eher unüblich, regelmäßig un goûter einzunehmen.
Das Abendessen (le dîner) beginnt gegen 20 Uhr. Während es in Gebieten, in denen viele Touristen unterwegs sind, kein Problem ist, bereits vor acht Uhr in einem Restaurant etwas zu essen zu bekommen, kann dies im Hinterland und in touristisch wenig erschlossenen Regionen durchaus zum Problem werden. Das Abendessen ist den Franzosen heilig, meist essen kleine Kinder vorab, damit die Erwachsenen für die nächsten zwei Stunden ungestört am Tisch sitzen können. Le dîner besteht meistens aus einer bestimmten Speisenfolge, einem Menü. (Mehr dazu im Infokasten »Le menu – die Speisenfolge auf einen Blick« in Kapitel 13.)
2
BIENVENUE EN FRANCE!
MANNI UND MAUT
Auf der Autobahn in Frankreich konnte Manni sich endlich hinter dem Steuer entspannen. Der Verkehr floss plötzlich viel gleichmäßiger. Bis auf ein paar Holländer, Schweizer oder Deutsche fuhr kaum jemand schneller, als es die 130 Stundenkilometer vorgaben. Und Manni mit seinem alten Campingbus sowieso nicht. Er lehnte sich zurück, während Anton hinten im Auto Gameboy spielte und seine Frau Eva auf dem Beifahrersitz angestrengt aus dem Fenster schaute und schließlich enttäuscht feststellte: »Sieht ja genauso aus wie bei uns.« »Wart’s doch mal ab!«, sagte Manni. »Wir sind gerade erst über die Grenze«. Über eine Grenze, die gar keine mehr war, nur ein Bien-venue en France-Schild markierte nach zwei Weltkriegen die Landesgrenze zwischen den ehemaligen Feinden. Der langsamere Verkehr war das einzige Indiz dafür, dass sie endlich in Frankreich angekommen waren. Und das zum ersten Mal in ihrem Leben. Das hatten sie ihrer Tochter Paula zu verdanken, die mit ihren zarten siebzehn den Eltern gesagt hatte: »Ich möchte Französisch studieren und dafür ein Jahr nach Frankreich gehen.« Sie hatte ihnen das Antragsformular unter die Nase gehalten, das sie in der Schule verteilt hatten, und Manni und Eva konnten es nicht fassen: »Aber warum Frankreich?«, »Das ist so weit weg!«, »Und die Franzosen sind furchtbar arrogant!«, »Bei denen dreht sich alles nur ums Essen!«, »Und diese Sprache versteht eh kein Mensch!«. Doch irgendwie fanden sie ihre Tochter auch ganz schön mutig und waren insgeheim stolz, als sie ihre Sachen packte und in diese nahe und doch so fremde Welt aufbrach.
Manni und Eva kamen ursprünglich aus Ostberlin, und obwohl sie inzwischen viel aufgeholt und die halbe Welt bereist hatten, blieb ihnen Frankreich immer noch etwas unheimlich. So viele Regeln und Umständlichkeiten, diese übertriebene Verherrlichung der eigenen Kultur – da war ihnen der einfache, ehrliche, direkte Deutsche doch irgendwie lieber. In ihrer Jugend hatten sie gemeinsam in Ostberlin einen Französischsprachkurs besucht – nur so zum Spaß. Die Wahrscheinlichkeit, den Eiffelturm jemals live zu sehen, war gleich null und somit hatten sie sich einfach eine Gaudi daraus gemacht, etwas Fremdes und Exotisches in ihr Leben zu holen. Die Figur in ihrem Sprachführer hieß damals Jean-Luc und gemeinsam mit ihm hatten sie eine imaginäre Reise in das Land der fabelhaften Küche, der höflichen und gut aussehenden Menschen und der einzigartigen Sehenswürdigkeiten angetreten. Das einzige, woran sich Manfred heute noch erinnern konnte, war Je m’appelle Manni (Ich heiße Manni), und Eva brachte noch ein paar bedeutende Sätze wie Où est la gare? (Wo ist der Bahnhof?) und Je viens de Berlin (Ich komme aus Berlin) zustande.
Manni war jetzt ziemlich aufgeregt, aber zugleich auch distanziert und abwartend. Hier hatte man schließlich mit allem zu rechnen. Während er so in Gedanken war, bemerkte er etwas spät, dass der Verkehr plötzlich gänzlich zum Erliegen kam. Vor ihnen tauchte eine péage-Station (Mautstelle) auf, die ersten Autobahngebühren wurden fällig. »Das ging ja schneller, als ich dachte.« Manni hatte es ja gewusst, man musste mit allem rechnen. »Kaum in Frankreich und schon zahlen!« Er steuerte auf ein Häuschen zu – erstaunlich schnell fuhren die Autos weiter –, denn man musste zunächst nur eine Karte ziehen. »Das ist ja wie im Parkhaus«, sagte Anton, der kurz von seinem Gameboy aufblickte. Manni zog eine Karte, die Schranke öffnete sich und er konnte wieder anfahren. Doch bevor er auf der Fahrbahn angekommen war, wurde er bereits rechts und links überholt und angehupt. Manni musste richtig Gas geben, um mit den anderen mithalten zu können, die so heftig beschleunigten, als seien sie beim Formel-Eins-Rennen. Das wäre schon mal geschafft!
Manni war zufrieden mit sich und der Welt und stellte vergnügt das Radio an. Laute Musik ertönte. »Cool, Hip-Hop im Radio!« Anton war begeistert. Aber Eva meinte gleich: »Das kann ich nicht hören, davon kriege ich Kopfschmerzen.« »Dann such du doch was, Schatz!« Manni wollte sich seine gute Laune nicht verderben lassen. Eva drehte genervt am Regler. Ein Musiksender jagte den nächsten, dazwischen immer wieder plappernde Franzosen, die in einem Affentempo irgendetwas anpriesen: super bon marché, supermarché, hypermarché, La Totale. »Ich finde nichts, das geht mir alles viel