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Fettnäpfchenführer Köln. Dirk UdelhovenЧитать онлайн книгу.

Fettnäpfchenführer Köln - Dirk Udelhoven


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       ODER: DAS GEHEIMNIS DES EBERTPLATZES

      »Der Zug erreicht in wenigen Minuten Köln Hauptbahnhof«, tönt die Lautsprecherdurchsage im IC 2217. Ulla schreckt hoch. Gefühlte Ewigkeiten, fast sechs Stunden, hat sie mehr oder weniger im Halbschlafmodus vor sich hingedöst. Jetzt ist sie augenblicklich wach. Eine prickelnde, aufgedrehte Unruhe rumort in ihr. Sie kann es kaum noch erwarten: In wenigen Minuten fängt ihr neues Leben an.

      Ulla zieht in die Stadt des rheinischen Frohsinns. Der Liebe wegen. Ihr Freund ist Kölner durch und durch. Er und woanders leben? Geht gar nicht. Das hat er ihr von Anfang an gesagt. Also entweder Fernbeziehung oder Ullas Immigration nach Köln. Die Wahl fiel ihr leicht. Als Kind wollte sie schon immer raus in die Welt. Ulla ist neugierig, offen und kommunikativ. Außerdem Influencerin im Bereich Mode. Sie kann von überall auf der Welt ihrer Arbeit nachgehen. Stefan nicht. Er ist Architekt und bei der Stadt angestellt. Dort kümmert er sich um die Instandhaltung der Kölner Schulen.

      Ulla ist übrigens 24 Jahre und kommt aus Itzehoe, einer Stadt irgendwo im Nirgendwo Schleswig-Holsteins. Die Stadt ist wunderbar, aber einfach zu klein für Ulla. Klar wird sie die Mädelsabende mit ihren Freundinnen vermissen, wird bedauern, dass sie nicht mehr mal eben bei ihren Eltern zum Klönschnack reinschneien kann, und erst recht werden ihr die langen Wanderungen mit ihrem Bruder fehlen. Ein neues Leben ist aufregend, aber tatsächlich auch etwas beängstigend. Wird Ulla sich in Köln wohlfühlen? Wird sie Freunde finden, sich mit Stefans Familie verstehen? Fragen über Fragen.

      Ein vielstimmiges, begeistertes »Ah«- und »Oh«-Raunen dringt in ihr Ohr und lenkt sie von den melancholischen Gedanken ab. Die Mitreisenden im Großraumwagen switchen aufgeregt von der einen Fensterseite auf die andere. Handys werden gezückt, Fotos geschossen und Nasen an Fenstern platt gedrückt. Ulla sieht raus. Der Zug rattert auf der Hohenzollernbrücke über den Rhein.

      »Wow«, flüstert sie ehrfürchtig. Das Panorama ist überwältigend. Ulla weiß gar nicht, wo sie zuerst hinsehen soll. Links, rechts, oben, unten? Überall Augenfutter! Unten auf dem Rhein schippern Fracht- und Ausflugsschiffe, am Ufer liegen die Flusskreuzfahrtschiffe, so viele, dass sie selbst in zweiter Reihe parken müssen. Rechts die halbrunde, blau bespannte Kuppel des Musical Dome, links sieht sie gerade noch den Hauch der spektakulären Kranhäuser. Da erhebt sich majestätisch das Wahrzeichen der Stadt vor ihr: der Kölner Dom. O mein Gott, der Zug scheint direkt hineinzufahren! Das tut er natürlich nicht, sondern stoppt im Hauptbahnhof, der unterhalb der großen Kathedrale liegt.

      Kölner Boden unter den Füßen. Geflasht vom Rausch der visuellen Eindrücke ruft Ulla Stefans SMS auf, die er ihr während der Zugfahrt geschickt hat. Die Wegbeschreibung vom Hauptbahnhof zu seiner Wohnung, die Ulla jetzt zum ersten Mal zu Gesicht bekommen wird. Im Zug hat sie seine SMS erst mal weggeklickt. Der größte Teil der Fahrt lag noch vor ihr, also Zeit genug, um sich irgendwann damit zu beschäftigen. Sie hätte es besser früher getan. Selbst als sie »Du nimmst die U-Bahn 16 Richtung Niehl oder die 18 Richtung Buchheim und steigst am Ebertplatz aus« liest, denkt sie noch nichts Böses. Erst bei der Einfahrt in die Haltestelle Ebertplatz fällt ihr brühheiß ein: Ebertplatz!? Der Angstraum Ebertplatz?

      Sofort hat sie die Schlagzeilen in den Medien vor den Augen. Innerhalb weniger Jahre sind auf dem Ebertplatz mehrere Menschen gewaltsam ums Leben gekommen. Auf dem unübersichtlichen Platz mit seinen vielen dunklen Ecken tummeln sich Kriminelle, Dealer und Drogenabhängige. Es gab Massenschlägereien, Messerstechereien und Gewalt von rechten Hooligans. Den Platz unbedingt meiden, hieß es in den Meldungen. Was auch sonst? Welcher Mensch begibt sich freiwillig in Lebensgefahr? Adrenalinjunkies vielleicht. Zu denen zählt Ulla nicht, und das weiß Stefan. Vielleicht hat er den Schandfleck einfach nur verdrängt? Das sähe ihm ähnlich. Auf seine geliebte Stadt lässt er nichts kommen. Oder will er Ulla testen? Soll sie beweisen, dass sie für ihn und Köln tough genug ist? Ulla bemerkt, wie sich ein unschönes Gefühl in ihr breitmachen will. Kann das mit Stefan, Köln und ihr wirklich gut gehen?

      Die Umhängetasche an sich pressend, den Griff ihres Rollkoffers fest in der Hand, nimmt Ulla die Rolltreppe aufwärts. Oben angelangt, steht sie in einer Unterführung. Blitzartig fallen ihr Verhaltenstipps aus ihrem Südamerikatrip ein: keine Angst zeigen, Blickkontakt meiden, entschlossen und zügig gehen.

      Im tunnelhaften Gang blendet Ulla die Sonne, die vom Platz hineinstrahlt. Reflexhaft folgt sie der Helligkeit, hört schweres Wasserrauschen, fröhliche Kinderrufe, lachende Menschen und sieht überdimensionale Wasserspiele. Aus einem fast zehn Meter hohen silberglänzenden Röhrenstamm ergießt sich das kühle Nass in die Tiefe. 16 unterschiedlich lange Edelstahlrohre, die an riesige Nägel erinnern, ragen vom Stamm aus in den Platz und versprühen zischend Wasser. Dazwischen jagen jauchzende Kinder. Ulla sieht fröhliche Menschen, wohin sie auch blickt. Alt und Jung, von überallher. Das ist also der Angstraum Ebertplatz.

       Leck mich en de Täsch, wat für ’n Malör

      Dafür muss man verstehen, wie die Kölner*innen und die Boulevardmedien der Stadt funktionieren: Passiert etwas Spektakuläres, schießt die Emotionskurve sofort hoch, verweilt zeitlich überschaubar auf höchstem Erregungsmodus und sackt zügig wieder in buddhistische Gelassenheit ab.

      So war es auch nach den Ereignissen auf dem Ebertplatz. Diese haben die Bürger*innen zutiefst erschüttert, denn sie lieben ihre Stadt, und keiner darf sie kaputt machen. Deshalb die Schlagzeilen in den Medien, die bundesweit Aufsehen erregten, die Diskussionen, wie man der Kriminalität wieder Herr wird, und die Forderungen an die Politik, endlich aktiv zu werden.

      Aber Aufregung ist auch anstrengend, und Anstrengung hassen die Kölner*innen. Also nehmen sie die Dinge so, wie sie eben sind. »Et es, wie et es!« (auf Hochdeutsch: Es ist, wie es ist), heißt es in Paragraf 1 des Kölschen Grundgesetzes, das allgemein eine gute Orientierung über die Mentalität der Kölner*innen bietet. Doch bei aller rheinischen Gelassenheit gibt es auch für die Kölner*innen den Moment, an dem ihr Geduldsfaden reißt und sich in einer schlichten Warnung ankündigt: »Is et bal jot?« (Ist es bald genug?)

      Wenn nicht, setzt der Gemeinsinn der Bürger*innen ein. So auch am Ebertplatz: Die Kölner*innen lassen sich von Kriminellen nicht so einfach den Platz wegnehmen. Im Gegenteil, sie haben den Kriminellen den Platz selbst wieder weggenommen.

       Schwaadschnüss

      Jahrzehntelang hatte die Stadt den Ebertplatz verwahrlosen lassen. Es fehlte das Geld. Der Springbrunnen wurde abgeschaltet. Drogen- und Beschaffungskriminalität blühten auf. Erst als die Gewalt eskalierte, reagierte die Politik. Pläne kamen auf, den Platz zuzubetonieren. Ein Frevel. Denn architektonisch ist der Ebertplatz ein Vorzeigebau des Brutalismus. Weil er tiefergelegt ist, grenzt er sich optisch und akustisch von dem zentralen Verkehrsknotenpunkt ab. Ganz aus Beton mit geometrischen Formen schwingt sich der Platz terrassenartig wie eine Landschaft in die Tiefe. Auf der einen Seite geht es hinab zur U-Bahn und zum direkt anschließenden Theodor-Heuss-Park. Auf der anderen Seite gelangt man unter einer Überdachung zu unterirdisch gelegenen Gewerberäumen und über Treppen bzw. Rolltreppen auf die anderen Straßenseiten. Den Platz abreißen? No way für die Anwohner*innen. Sie stiegen auf die Barrikaden und erreichten eine sogenannte Zwischennutzung, die aktuell bis 2021 gilt.

      Als Erstes wurde die Wasserkinetische Plastik des Kölner Künstlers Wolfgang Göddertz wieder in Schwung gebracht. 18.000 Liter Wasser kreisen hier stündlich. Kraftvolle Kunst, die Spaß macht. Ende der 60er Jahre hatte die Stadt Künstler aufgerufen, ein Projekt für den Ebertplatz zu entwickeln. Als Göddertz Kinder beim Spielen in einem Brunnen beobachtete, kam ihm die Idee zu seiner begehbaren Brunnenskulptur. Das Wasser sollte dabei so sprudeln, dass Formen entstehen. Er bekam den Zuschlag. 1977 wurde die Wasserkinetische Plastik fertiggestellt, 20 Jahre war sie in Betrieb. Ende der 1990er Jahre stellte man sie ab. Sparmaßnahmen.

      Seit 2018 rauscht das Wasser wieder. Wenn es dunkel wird, erstrahlen Skulptur und Platz in bunten Farben. In die Gewerberäume zogen Galerien ein


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