Fettnäpfchenführer Köln. Dirk UdelhovenЧитать онлайн книгу.
der könnte schon einen kleinen Kulturschock erleiden.
Schwaadschnüss
Was es mit den Köbessen auf sich hat, ist nicht wirklich gesichert. Da kursieren verschiedene Versionen. Vermutlich handelte es sich um frühere Brauerburschen oder auf Kölsch: Brauers-Pooschte. Tags- über verrichteten sie einfache Tätigkeiten in der Brauerei, abends bedienten sie im Brauhaus.
Nach einer anderen Version waren die Köbesse Pilger, die vom Jakobsweg zurückkehrten. In den Brauhäusern erzählten sie von ihren Erlebnissen und bedienten dabei die Gäste. Sie mussten schließlich Geld für ihre nächste Pilgerreise verdienen. Umso besser ihr Verzäll (Geschichten), umso besser ihr Trinkgeld.
Das Wort Köbes bedeutet eigentlich Jakob. Vielleicht hieß der erste Köbes tatsächlich Jakob mit Vornamen. Voraussetzung für den Beruf war und ist der Name aber nicht. Heute gibt es Ahmeds, Peters, Juans … und Barbaras, Miriams … Ganz richtig. Köbes ist zwar traditionell ein Männerberuf, doch auch hier hat sich die Emanzipation durchgesetzt. Der weibliche Köbes heißt Köbin.
Sie tragen bis heute ihr fast originales Köbes-Outfit. Damals waren es blaue Strickjacken, blaue Leinenschürzen und eine Geldtasche, die sie um den Bauch geschnallt hatten. Heute wurden nur die Strickjacken durch weiße oder hellblaue kurzärmelige Hemden ersetzt.
Nach dem Kölner Mundartdichter Peter Berchem ist der Köbes: »Fründlich, maneerlich, vor allem grundehrlich un immer fidel: Ne prächtige Kääl!« (Freundlich, manierlich, vor allem grundehrlich und immer fidel: ein prächtiger Kerl!) Ein Kerl, der übrigens ein üppiges Trinkgeld zu würdigen weiß, ein mickriges ebenso. Das möchte man aber lieber nicht erleben.
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EIN HALBES HÄHNCHEN BITTE
ODER: ALLES KÄSE IN KÖLN
Kaum ist Stefan von der Arbeit zurück, platzt es aus Ulla auch schon heraus. Wie sie einem frechen Brauhauskellner die Meinung gesagt hat. Während sie redet, breitet sich auf Stefans Gesicht ein Grinsen aus. Hallo? Was gibt es denn da zu lachen?
Statt es Ulla zu erklären, will er es ihr lieber zeigen. Direkt vor Ort in einem Brauhaus. Schließlich haben sie beide auch noch nicht gegessen, und so kann man zwei, wenn nicht drei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ulla erfährt Kölner Brauchtum, sättigt ihren Hunger und lernt die typisch kölsche Küche kennen. Da sagt sie nicht nein.
FUTTERN WIE BEI MUTTERN
Die Kölner*innen sind im Grund ihres Wesens einfache, liebenswerte Zeitgenoss*innen mit Sinn für – durchaus auch deftigen – Humor. Wie der Mensch, so sein kulinarischer Geschmack. Die Kölner*innen mögen es geradeheraus, ohne viel Schnickschnack. Regional direkt vom Bauern oder von den Märkten kommen landwirtschaftliche Produkte wie Gemüse, Milch, Butter, Käse, Eier, Fleisch auf den Tisch.
Aber auch Fisch findet sich in den hiesigen Küchen. Zum Beispiel Seefisch wie Matjes bzw. Hering und gerne auch Muscheln, also Miesmuscheln in Weißwein mit Suppengemüse gekocht, klassisch rheinisch mit Schwarzbrot und Butter serviert. Das liegt an der Nähe zur niederländischen Küste. Aber auch Väterchen Rhein spielt seine Rolle. Vor der Industrialisierung wurden viele Süßwasserfischarten im Rhein gefangen. Geangelt wird auch heute noch in Kölle. Doch nur im Hobbybereich. Aale, Barben, Barsche, Karpfen, Zander und einige mehr soll es geben.
Der Rhein hat auch noch aus einem anderen Grund für Kölns kulinarische Bedeutung gesorgt. Seit dem Mittelalter war die Stadt im Besitz des Stapelrechts. Alle Schiffe, die Köln passierten, mussten hier anlegen und ihre Waren für eine bestimmte Zeit abladen und stapeln. Die Bevölkerung durfte die Waren kaufen. Bereits damals wurde genau hier der Trend zur Fusionsküche gelegt. Fremde Kocheinflüsse hielten Einzug in Kölner Küchen.
Erst mal aus der Nachbarschaft, die Niederlande waren nah. Von dort schwappten die Heringe herüber: geräuchert oder eingelegt wie der Matjes-Hering, der Heringsstipp oder Hering nach Hausfrauenart, ein in Sahne eingelegter Hering.
Aus Westfalen übernahm man die deftige Zubereitungsart, aus dem Bergischen Land Backwaren und die sogenannte Bergische Kaffeetafel. Da kommen süße und herzhafte Speisen auf den Tisch: Schwarz- und Graubrot, Hefeblatz, süße Aufstriche, Wurst und Schinken. Ein absolutes Muss: Bergische Waffeln mit heißen Kirschen und Sahne. Getrunken wird natürlich Kaffee und zum Abschluss gern noch ein Korn.
Was viele vielleicht auch nicht wissen: Das älteste erhaltene römische Kochbuch aus dem 3. oder 4. Jahrhundert wurde hier geschrieben. Also mitgeschrieben. Denn Marcus Gavius Apicius, einer der mutmaßlichen Autoren, lebte im heutigen Köln. Das Buch heißt De re coquinaria. Und für alle Nicht-Lateiner die Übersetzung: »Über die Kochkunst.« Apicius selbst steuerte typische Gerichte aus Köln und dem Umland bei.
Gesagt und schon getan. Anders als am Vormittag ist das Brauhaus jetzt rappelvoll. Der Lärmpegel pendelt im mittleren Hörschadenbereich. Logisch, die vielen Leute an den großen Tischen wollen ja nicht nur trinken und essen, sondern sich auch unterhalten. Und das geht nur, wenn sie sich verstehen. Entsprechend laut reden oder, besser gesagt, schreien sie sich an.
Ulla liebt es. Die Atmosphäre brodelt. Ein Gewusel sondergleichen. Bunt gemischt das Publikum. Jung und Alt, arm und reich, Touris, Immis und Kölner*innen. Dazwischen wirbeln Köbesse mit ihren Tabletts. Die Tabletts heißen hier Kränze, weil sie kranzrund sind. Meistens aus Kunststoff mit eingestanzten Öffnungen, passend jeweils für ein Kölschglas.
Obwohl das Brauhaus riesig ist, bezweifelt Ulla, dass sie einen Platz finden werden, sonst würden die vielen Leute hier doch nicht Kölsch trinkend rumstehen. Doch Stefan marschiert bereits zuversichtlich vornweg. Es geht vom Schankbereich in den ersten Gastbereich, um eine Ecke in den nächsten und so weiter. Ein freier Tisch? Weit und breit nicht in Sicht. Aber Stefan scheint das Offensichtliche nicht wahrhaben zu wollen. Suchend blickt er sich um. Was Ulla nicht weiß: Er sucht keinen freien Tisch, sondern ein freies Fleckchen an einem besetzten Tisch. Aber selbst da ist es eng.
Jetzt kommt der Köbes ins Spiel. Er nimmt Stefan und Ulla ins Visier, hebt zwei Finger, und auf Stefans Nicken bedeutet er ihnen: Folgt mir. Nicht lange fackeln. Der Köbes eilt beherzten Schrittes durch die engen Stuhlreihen, bleibt an einem voll besetzten Tisch stehen und ruft: »Levve Lück. Ovends danze und springe und morjends de Botz net finge.« (Abends tanzen und springen und morgens die Hose nicht finden.) Eine kölsche Aufforderung, dass es höchste Zeit ist, den Platz zu räumen. Die Gäste lachen schallend und erheben sich. Bezahlt beim Köbes haben sie bereits, denn sie wollten wirklich gehen.
Ulla und Stefan setzen sich und haben auch schon ein frisches Kölsch vor sich stehen. Ulla blättert in der Speisekarte. Hier, das ahnt Ulla schon, heißt sie natürlich nicht Speisekarte, sondern: Kölsche Fooderkaart. Ulla hat Bärenhunger. Bären gibt es nicht, aber der Halve Hahn reizt sie.
»Wirklich?«, hakt Stefan nach.
Ulla weiß selbst, dass Fettiges, besonders am Abend, schwer im Magen liegt. Trotzdem: Sie hat Heißhunger auf ein halbes Hähnchen.
Leck mich en de Täsch, wat für ’n Malör
Nur leider bekommt Ulla kein halbes Brathähnchen, sondern ein dunkles Roggenbrötchen, was in Köln unter Röggelchen läuft, eine dicke Scheibe mittelalten Gouda, Zwiebelringe, Butter und Senf.
Wieso der Halve Hahn Halve Hahn heißt, weiß man nicht genau. Aber wie immer in Köln kursieren dazu diverse Legenden.
Eine geht so: Auf einer Hochzeit in einem Wirtshaus sollten alle Gäste ein halbes Brathähnchen bekommen. Nur leider hatte sich der Gastgeber mit den Kosten übernommen, was ihm immerhin frühzeitig auffiel. Er bat den Wirt um eine Alternative.