Märchen aus China. Richard WilhelmЧитать онлайн книгу.
wäre nichts an der Stelle. Er blickte sich um, und richtig war er draußen. Da war er hocherfreut, ging wieder hinein und bedankte sich.
Der Priester sprach: »So, nun geh heim! Du musst es aber vorsichtig wahren, sonst verliert sich die Kraft.«
Darauf gab er ihm Wegzehrung und entließ ihn.
Zu Hause angekommen, rühmte sich Wang, dass er einen Heiligen getroffen habe, und dass die stärksten Wände für ihn kein Hindernis mehr seien. Seine Frau glaubte es nicht. Da wollte er ihr seine Kunst vor Augen führen, trat einige Schritte von der Mauer zurück und lief darauf zu. Er stieß mit dem Kopf an die harte Wand, prallte ab und brach zusammen. Die Frau hob ihn auf und sah nach ihm. Da hatte er an seiner Stirn eine Beule von der Größe eines Eis. Die Frau machte sich über ihn lustig. Er aber war beschämt und wütend und schalt auf den alten Priester als einen gewissenlosen Menschen.
35. Der geizige Bauer
Es war einmal ein Bauer, der führte Birnen nach dem Markt. Weil sie sehr süß und duftend waren, hoffte er einen guten Preis dafür zu bekommen. Ein Bonze in zerrissener Mütze und zerfetzten Kleidern trat an den Wagen heran und bat um eine. Der Bauer wies ihn ab, doch der Bonze ging nicht. Da ward der Bauer böse und begann ihn zu beschimpfen. Der Bonze sprach: ,,In Eurem Wagen habt Ihr viele hundert Birnen. Ich bitte Euch ja nur um eine. Das bringt Euch doch nicht großen Schaden. Warum werdet Ihr gleich so böse?«
Die Umstehenden sagten, er solle ihm doch eine der geringeren geben und ihn gehen lassen. Aber der Bauer wollte durchaus nicht. Ein Handwerker sah es von seinem Laden aus, und weil ihm der Lärm lästig war, so holte er Geld, kaufte eine und gab sie dem Bonzen.
Der Bonze bedankte sich und sprach: »Unsereiner, der die Welt verlassen hat, darf nicht knickrig sein. Ich habe schöne Birnen und lade Euch alle ein mitzuessen.« Es sagte einer: »Wenn du Birnen hast, warum isst du denn nicht deine eigenen?« Er sprach: »Ich brauche erst einen Kern zum Stecken.« Damit begann er die Birne schmatzend aufzuessen. Als er fertig war, hielt er einen Kern in der Hand, nahm seine Hacke von der Schulter und grub ein Loch von ein paar Zoll. Er steckte den Kern hinein und bedeckte ihn mit Erde. Dann verlangte er von den Marktleuten Suppe, um ihn zu begießen. Ein paar Neugierige holten in einer Straßenherberge heißes Wasser, und der Bonze begoß damit den Kern. Tausend Augen waren auf die Stelle geheftet. Schon sah man einen Keim herauskommen. Allmählich wuchs er und war im Augenblick zu einem Baum geworden. Zweige und Laub sprossten hervor. Er blühte, und alsbald waren die Früchte reif: lauter große, duftende Birnen, die in dichten Mengen am Baum hingen. Der Bonze stieg auf den Baum und gab sie den Umstehenden. Im Augenblick war der Baum leer gegessen. Da nahm er seine Hacke und hackte den Baum ab. Krach, krach, ging es eine Weile, da war er ab. Er nahm den Baum auf die Schulter und ging mit gemächlichen Schritten weg.
Als der Bonze seinen Zauber hatte spielen lassen, da hatte auch der Bauer sich unter die Zuschauer gemischt. Mit langem Hals und stieren Augen hatte er dagestanden und seinen Birnenhandel ganz vergessen. Als der Bonze weg war, da sah er sich nach seinem Wagen um. Die Birnen waren alle fort. Da merkte er, dass, was jener verteilt hatte, seine eignen Birnen gewesen waren. Er sah näher zu, da fehlte an dem Wagen auch die Deichsel. Man konnte ganz deutlich sehen, dass sie frisch abgehackt war. Er ward aufgebracht und lief, so schnell er konnte, dem Bonzen nach. Als er um eine Ecke kam, lag das fehlende Stück der Deichsel unten an der Stadtmauer. Da merkte er, dass der abgehackte Birnbaum seine Deichsel war. Der Bonze aber war nirgends zu finden. Und der ganze Markt brach in lautes Gelächter aus.
36. Strafe des Unglaubens
Es war einmal ein Mann, der hieß We Be Yang. Er ging mit drei Jüngern in den Wald und kochte dort das Lebenselixier. Da er aber wußte, dass nicht alle seine Jünger von ganzem Herzen seinen Lehren glaubten, beschloss er sie zu prüfen. Er sprach zu ihnen: »Das Lebenselixier ist nun zwar fertig, doch weiß ich noch nicht, ob es Kraft hat. Ich will zuerst davon dem Hunde geben, um zu sehen, wie es wirkt.« Er gab dem Hunde davon, der starb. Da sprach We Be Yang: »Wie schwierig ist es, das Lebenselixier fertig zu bekommen! Nun habe ich’s fertig, und der Hund stirbt daran. Das ist ein Zeichen, dass es mir nicht vergönnt ist, Unsterblichkeit zu erlangen. Weib und Kind habe ich verlassen und bin in die Berge gegangen, um geheimen Sinn zu verstehen. Ich schäme mich, nun wieder heimzukehren. Lieber will ich sterben.«
Danach aß er auch von dem Lebenselixier. Kaum hatte er es im Munde, so war er tot.
Seine Jünger sahen sich erschrocken an und sprachen: »Man macht das Lebenselixier, um ewig zu leben; statt dessen bringt es nur den Tod, wie geht das zu?«
Es war aber einer unter den Jüngern, der sagte: »Unser Meister ist kein gewöhnlicher Mensch. Vielleicht hat er nur unseren Glauben prüfen wollen.«
Er aß auch von dem Lebenselixier, aber auch er verschied.
Da sagten die beiden anderen Jünger untereinander: »Die Sache ist unheimlich, wir wollen lieber gehen.«
So kehrten sie denn heim, um Särge zu kaufen für die beiden Toten. Kaum waren sie weg, so erhob sich We Be Yang. Er brachte auch den Jünger und den weißen Hund zum Leben zurück, und alle drei gingen miteinander zur Unsterblichkeit ein. Unterwegs aber erschienen sie den beiden anderen Jüngern. Als die sie sahen, beklagten sie ihre Torheit. Aber ihre Reue kam zu spät.
37. Morgenhimmel
Es war einmal ein Mann, der war schon zweihundert Jahre alt; aber er war noch immer frisch und stark wie ein Jüngling. Da gebar ihm seine Frau ein Kind, und als das Kind drei Tage alt war, starb sie. Der Vater gab das Kind der Nachbarin und sagte, sie solle dafür sorgen. Dann ging er fort von Hause und verschwand. Als das Kind der Nachbarin ins Haus gebracht ward, da wurde es gerade am Morgenhimmel hell. Darum nannten sie es Morgenhimmel. Wie das Kind drei Jahre alt war, sah es oft zum Himmel hinauf und sprach mit den Sternen. Eines Tages war es fort, und es dauerte viele Monate, bis es wieder nach Hause kam. Die Frau gab ihm Schläge. Aber es ging wieder fort und kam erst nach einem Jahr wieder heim. Die Mutter war erschrocken und fragte es: ,,Wo bist du denn das ganze Jahr gewesen?« Der Knabe sprach: »Ich war nur geschwind am Purpurmeer. Dort wurden meine Kleider vom Wasser rot. Deshalb ging ich an die Quelle, wo die Sonne einkehrt, und wusch sie mir. Am Morgen ging ich weg. Zu Mittag kam ich wieder. Was sprichst du denn von einem Jahr?«
Die Frau fragte weiter: ,,Und wo kamst du denn vorüber?«
Der Knabe sprach: »Als ich meine Kleider gewaschen hatte, da ruhte ich ein wenig in der Totenstadt und schlief ein. Der Königvater des Ostens gab mir rote Kastanien und Morgenrotsaft zu essen. Nun war ich satt. Dann ging ich zum dunklen Himmel und trank vom gelben Tau. So war auch mein Durst gestillt. Ich begegnete einem schwarzen Tiger. Auf dem wollte ich heim reiten. Ich schlug ihn aber zu sehr. Da biss er mich ins Bein. Deshalb kam ich her, um es dir zu sagen.«
Noch einmal lief der Knabe von zu Hause weg viele tausend Meilen weit, bis er an den Sumpf kam, wo der große Urnebel wohnt. Dort begegnete er einem alten Manne mit gelben Augenbrauen und fragte ihn, wie alt er sei. Der Alte sprach: »Ich habe mir das Essen abgewöhnt und lebe von Luft. Die Pupillen in meinen Augen haben allmählich einen grünen Schein bekommen, mit dem kann ich alle geheimen Dinge sehen. Alle tausend Jahre drehe ich meine Knochen um und wasche das Mark. Alle zweitausend Jahre schabe ich meine Haut, dass die Haare abgehen. Ich habe schon dreimal mein Mark gewaschen und fünfmal meine Haare abgeschabt.«
Morgenhimmel diente später dem Kaiser Wu vom Hause Han. Der Kaiser, welcher Zauberkünste liebte, war ihm sehr zugetan. Eines Tages sagte er zu ihm: »Ich möchte gern, dass meine Lieblingsfrau nicht alt wird. Kann man das?«
Morgenhimmel sprach: »Nur ich weiß ein Mittel, nicht alt zu werden.«
Der Kaiser fragte, welche Kräuter man essen müsse. Morgenhimmel erwiderte: »Im Nordosten wächst der Lebenspilz. Die dreibeinige Krähe in der Sonne möchte immer herunter und davon fressen. Der Sonnengott aber hält ihr die Augen zu und läßt sie nicht weg. Wenn Menschen davon essen, werden sie unsterblich, wenn Tiere davon essen, werden sie betäubt.«