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Der Golem. Gustav MeyrinkЧитать онлайн книгу.

Der Golem - Gustav Meyrink


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       WIE ICH IN PRAG GOLD MACHEN WOLLTE

       ANHANG

       DER DICHTER DES GOLEM

       von Bô Yin Râ

       »IM SPIEGEL«

       von Bô Yin Râ

       GUSTAV MEYRINK UND DIE PHANTASTISCH-IMAGINATIVE LITERATUR

       Nachwort von Marco Frenschkowski

       Die drei Wellen der deutschen Phantastik

       Eine biographische Skizze

       Der Golem und das Judentum als Chiffren des Phantastischen

       Gustav Meyrinks Erstveröffentlichungen in Buchform

DER GOLEM

      SCHLAF

      Das Mondlicht fällt auf das Fußende meines Bettes und liegt dort wie ein großer, heller, flacher Stein.

      Wenn der Vollmond in seiner Gestalt zu schrumpfen beginnt und seine rechte Seite anfängt zu verfallen – wie ein Gesicht, das dem Alter entgegengeht, zuerst an einer Wange Falten zeigt und abmagert –, dann bemächtigt sich meiner um solche Zeit des Nachts eine trübe, qualvolle Unruhe.

      Ich schlafe nicht und wache nicht, und im Halbtraum mischt sich in meiner Seele Erlebtes mit Gelesenem und Gehörtem, wie Ströme von verschiedener Farbe und Klarheit zusammenfließen.

      Ich hatte über das Leben des Buddha Gotama gelesen, ehe ich mich niedergelegt, und in tausend Spielarten zog der Satz, immer wieder von vorne beginnend, durch meinen Sinn:

      »Eine Krähe flog zu einem Stein hin, der wie ein Stück Fett aussah, und dachte: Vielleicht ist hier etwas Wohlschmeckendes. Da nun die Krähe dort nichts Wohlschmeckendes fand, flog sie fort. Wie die Krähe, die sich dem Stein genähert, so verlassen wir – wir, die Versucher – den Asketen Gotama, da wir den Gefallen an ihm verloren haben.«

      Und das Bild von dem Stein, der aussah wie ein Stück Fett, wächst ins Ungeheuerliche in meinem Hirn:

      Ich schreite durch ein ausgetrocknetes Flußbett und hebe glatte Kiesel auf.

      Graublaue mit eingesprengtem glitzerndem Staub, über die ich nachgrüble und nachgrüble und doch mit ihnen nichts anzufangen weiß – dann schwarze mit schwefelgelben Flecken, wie die steingewordenen Versuche eines Kindes, plumpe, gesprenkelte Molche nachzubilden.

      Und ich will sie weit von mir werfen, diese Kiesel, doch immer fallen sie mir aus der Hand, und ich kann sie aus dem Bereich meiner Augen nicht bannen.

      All jene Steine, die je in meinem Leben eine Rolle gespielt, tauchen auf rings um mich her.

      Manche quälen sich schwerfällig ab, sich aus dem Sande ans Licht emporzuarbeiten – wie große schieferfarbene Taschenkrebse, wenn die Flut zurückkommt, und als wollten sie alles daransetzen, meine Blicke auf sich zu lenken, um mir Dinge von unendlicher Wichtigkeit zu sagen.

      Andere – erschöpft – fallen kraftlos zurück in ihre Löcher und geben es auf, je zu Wort zu kommen.

      Zuweilen fahre ich empor aus dem Dämmer dieser halben Träume und sehe für einen Augenblick wiederum den Mondschein auf dem gebauschten Fußende meiner Decke liegen wie einen großen, hellen, flachen Stein, um blind von neuem hinter meinem schwindenden Bewußtsein herzutappen, ruhelos nach jenem Stein suchend, der mich quält – der irgendwo verborgen im Schutte meiner Erinnerung liegen muß und aussieht wie ein Stück Fett. Eine Regenröhre muß einst neben ihm auf der Erde gemündet haben, male ich mir aus – stumpfwinklig abgebogen, die Ränder von Rost zerfressen –, und trotzig will ich mir im Geiste ein solches Bild erzwingen, um meine aufgescheuchten Gedanken zu belügen und in Schlaf zu lullen.

      Es gelingt mir nicht.

      Immer wieder und immer wieder mit alberner Beharrlichkeit behauptet eine eigensinnige Stimme in meinem Innern – unermüdlich wie ein Fensterladen, den der Wind in regelmäßigen Zwischenräumen an die Mauer schlagen läßt: Es sei das ganz anders; das sei gar nicht der Stein, der wie Fett aussehe.

      Und es ist von der Stimme nicht loszukommen.

      Wenn ich hundertmal einwende, alles das sei doch ganz nebensächlich, so schweigt sie wohl eine kleine Weile, wacht aber dann unvermerkt wieder auf und beginnt hartnäckig von neuem: Gut, gut, schon recht, es ist aber doch nicht der Stein, der wie ein Stück Fett aussieht. Langsam beginnt sich meiner ein unerträgliches Gefühl von Hilflosigkeit zu bemächtigen.

      Wie es weiter gekommen ist, weiß ich nicht. Habe ich freiwillig jeden Widerstand aufgegeben, oder haben sie mich überwältigt und geknebelt, meine Gedanken?

      Ich weiß nur, mein Körper liegt schlafend im Bett, und meine Sinne sind losgetrennt und nicht mehr an ihn gebunden.

      Wer ist jetzt »ich«, will ich plötzlich fragen; da besinne ich mich, daß ich doch kein Organ mehr besitze, mit dem ich Fragen stellen könnte; dann fürchte ich, die dumme Stimme werde wieder aufwachen und von neuem das endlose Verhör über den Stein und das Fett beginnen. Und so wende ich mich ab.

      TAG

      Da stand ich plötzlich in einem düsteren Hofe und sah durch einen rötlichen Torbogen gegenüber – jenseits der engen, schmutzigen Straße – einen jüdischen Trödler an einem Gewölbe lehnen, das an den Mauerrändern mit altem Eisengerümpel, zerbrochenen Werkzeugen, verrosteten Steigbügeln und Schlittschuhen und vielerlei anderen abgestorbenen Sachen behangen war.

      Und dieses Bild trug das quälend Eintönige an sich, das alle jene Eindrücke kennzeichnet, die tagtäglich so und so oft wie Hausierer die Schwelle unserer Wahrnehmung überschreiten, und rief in mir weder Neugierde noch Überraschung hervor.

      Ich wurde mir bewußt, daß ich schon seit langer Zeit in dieser Umgebung zu Hause war.

      Auch diese Empfindung hinterließ mir trotz ihres Gegensatzes zu dem, was ich doch vor kurzem noch wahrgenommen und wie ich hierher gelangt, keinerlei tieferen Eindruck.

      Ich muß einmal von einem sonderbaren Vergleich zwischen einem Stein und einem Stück Fett gehört oder gelesen haben, drängte sich mir plötzlich der Einfall auf, als ich die ausgetretenen Stufen zu meiner Kammer emporstieg und mir über das speckige Aussehen der Steinschwellen flüchtige Gedanken machte.

      Da hörte ich Schritte die oberen Treppen über mir vorauslaufen, und als ich zu meiner Tür kam, sah ich, daß es die vierzehnjährige, rothaarige Rosina des Trödlers Aaron Wassertrum gewesen war. Ich mußte dicht an ihr vorbei, und sie stand mit dem Rücken gegen das Stiegengeländer und bog sich lüstern zurück.

      Ihre schmutzigen Hände hatte sie um die Eisenstange gelegt – zum Halt –, und ich sah, wie ihre nackten Unterarme bleich aus dem trüben Halbdunkel hervorleuchteten. Ich wich ihren Blicken aus.

      Mich ekelte vor ihrem zudringlichen Lächeln und diesem wächsernen Schaukelpferdgesicht.

      Sie muß schwammiges, weißes Fleisch haben wie der Axolotl, den ich vorhin im Salamanderkäfig bei dem Vogelhändler gesehen habe, fühlte ich.

      Die Wimpern Rothaariger sind mir widerwärtig wie die eines Kaninchens.

      Und ich sperrte auf und schlug rasch die Tür hinter mir zu.

      Von


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