Fürstenkrone 11 – Adelsroman. Viola LarsenЧитать онлайн книгу.
Leben aufbauen, darf sie sich nicht aus Abschiedsschmerz und Angst vor der Fremde gegen seinen Willen auflehnen.
Noch einmal rinnen ein paar Tränen über Sabrinas schmale Wangen, aber sie wischt sie energisch fort und flüstert vor sich hin: »Ich muss Wolfhart unendlich dankbar sein für alles, was er für mich getan hat. Er hat ja recht, ich bin kein Kind mehr, sondern ein erwachsenes Mädchen und muss es lernen, mich draußen im Leben zurechtzufinden.«
Als sie sich nun langsam umwendet, um ins Schloss zurückzukehren, umfasst ihr Blick noch einmal liebevoll und zugleich fast schon abschiednehmend das blühende Heideland. Sie blickt zum Schloss hin, das sie zärtlich und innig liebt, und ein wehmütiges Lächeln umspielt ihren jungen Mund.
Mit einem Mal drängt es sie, all das, was sie nun empfindet, ihrer Geige anzuvertrauen, und im gleichen Augenblick trifft sie wie ein Blitzstrahl die Erkenntnis, was sie in ihrem zukünftigen Leben einzig tun kann und wird. Sie will Geigerin werden, eine wirkliche, echte Künstlerin, so, wie Marcus Mauri, ihr Vater, ein Künstler war.
Sie will ihren Entschluss Fürst Wolfhart unverzüglich mitteilen.
Sie trifft den Fürsten in der Halle. Er steht an dem runden Klubtisch vor dem Kamin und ist damit beschäftigt, seine Jagdgewehre zu überprüfen.
»Ich möchte mit dir sprechen, Wolfhart«, sagt Sabrina leise, aber fest.
Der Fürst zeigt sich keineswegs überrascht.
Er macht eher den Eindruck, als habe er erwartet, dass Sabrina ihn aufsuche, um ihre Zukunftspläne mit ihm zu besprechen.
»Ich höre, Sabrina«, sagt er ruhig. »Hoffentlich stört es dich nicht, wenn ich meine Arbeit dabei zu Ende bringe?«
Sabrina schüttelt den Kopf mit dem langen, schweren Haar. »Gewiss nicht, Wolfhart!« Sie schweigt sekundenlang und sieht angespannt vor sich hin. Aber dann richtet sie sich auf und blickt den Fürsten voll und ernst an. »Wie du es gewünscht hast, Wolfhart, habe ich darüber nachgedacht, was ich beginnen könnte, um eine wirkliche Lebensaufgabe zu finden. Vielleicht hältst du meine Wünsche und mein Ziel für vermessen, aber ich glaube, dass ich den richtigen Weg gefunden habe. Ich – ich möchte Künstlerin werden!«
Fürst Wolfhart nickt, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen oder Sabrina anzusehen. Abermals wirkt er so, als habe er gar keine andere Mitteilung erwartet.
»Bist du dir darüber im Klaren, Sabrina«, fragt er ruhig, »was es bedeutet, sein Leben der Kunst zu verschreiben? Es bedeutet eiserne Arbeit, unermüdliches Streben nach Vollkommenheit, ewigen Kampf um Gestaltungskraft und in gewissem Sinne Ruhe- und Heimatlosigkeit. Wenn du Künstlerin werden willst, Sabrina, so, wie dein Vater ein echter, wirklicher Künstler war, musst du es lernen, auf viele Wünsche zu verzichten und deine ganze Persönlichkeit, dein ganzes Sein ausschließlich in den Dienst der Kunst zu stellen. Ich zweifle nicht daran, dass du Talent genug besitzt, um dich selbst aufzugeben und der Kunst ganz zu dienen. Aber wenn du diesen schweren, dornenvollen Weg beschreiten willst, musst du noch viel, viel lernen!«
Sabrina nickt. »Ich weiß, Wolfhart, und ich bitte dich, mir den Weg zu weisen, den ich gehen muss, um mein Ziel zu erreichen.«
Fürst Wolfhart öffnet rasch den Mund, als wolle er Sabrina einen Vorschlag unterbreiten, aber dann schließt er den Mund wieder und schweigt. Wollte er vielleicht sagen, dass niemand berufener dazu sein könne, Sabrinas reiches Talent zur Entfaltung zu bringen, als er, der große weltberühmte Dirigent Wolfhart Fürst von Ravenhill?
Wie um solchen Gedanken zu wehren, streicht er sich flüchtig über die Stirn und sagt rasch: »Ich kenne einen prächtigen Lehrer in Luzern, einen alten Musikprofessor. Wenn du bei ihm in die Lehre gehst, Sabrina, wirst du eines Tages vielleicht die Vollkommenheit deines Vaters erreichen können.« Rasch beugt er sich wieder über das leichte Jagdgewehr, das er in den Händen hält. »Ich werde ihm sofort schreiben, und wie ich meinen Walter Braman kenne, wird er hocherfreut sein, wenn ich ihm eine begabte Schülerin empfehle. Wenn er dir also recht ist, Sabrina, und wenn du mit meinem Vorschlag einverstanden bist, werde ich mich noch heute mit ihm in Verbindung setzen.«
»Ich bitte dich darum, Wolfhart«, sagt Sabrina leise. »Ich werde dir dankbar sein.«
Fürst Wolfhart nickt nachdenklich. Er legt das Jagdgewehr auf den Tisch zurück und greift zu einem schweren Hirschfänger. Dabei scheint er mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.
Erschrocken richtet Sabrina sich auf, als Wolfhart in diesem Augenblick einen leisen Schmerzenslaut ausstößt.
»Was ist, Wolfhart?«, fragt sie bestürzt.
»Wie ungeschickt von mir«, murmelt er zornig. »Ich habe mich an der rechten Hand verletzt.«
Sabrina nimmt seine Rechte behutsam in ihre beiden Hände. Vom Daumenansatz zieht sich ein breiter, klaffender Schnitt bis zur Handwurzel hin.
»Um Gottes willen, deine Hand, Wolfhart!«, flüstert sie bebend. »Wie konnte das nur geschehen?«
Fürst Wolfhart gibt keine Antwort. Er zuckt nur stumm mit den Schultern und deutet auf den Hirschfänger, dessen Schneide tief in seine Hand gedrungen ist.
Die Wunde blutet heftig. Ängstlich blickt Sabrina zu Fürst Wolfhart empor, denn sie weiß, dass die Hände das kostbarste Gut des großen Dirigenten sind.
»Sei so lieb, Sabrina, und rufe Fräulein Tabea«, bittet Fürst Wolfhart und drückt sein Taschentuch auf die Wunde, das schnell von Blut durchtränkt ist. »Sie soll Verbandszeug mitbringen.«
Während Sabrina aus der Halle eilt, versucht Fürst Wolfhart, seine Hand zu bewegen. Aber diese schmerzt so sehr, dass er den Versuch gleich wieder aufgibt.
Und dann ist Fräulein Tabea zur Stelle.
»Mein Gott, wie konnte das nur geschehen?«, jammert sie, und als sie die Wunde sieht, entscheidet sie sofort: »Der Arzt soll kommen! Sönke soll sich gleich auf den Weg machen!«
»Unsinn!«, wehrt Fürst Wolfhart ab. »Wegen einer Schramme ruft man keinen Arzt!«
»Das ist mehr als eine Schramme, Durchlaucht!«, erwidert Fräulein Tabea und wirft einen grimmigen Blick auf den Hirschfänger. »Es könnte ja eine Sehne verletzt sein, und schon deshalb müssen wir den Arzt rufen!«
»Bitte, Wolfhart!«, schaltet sich auch Sabrina ein. »Tante Tabea hat recht! Es wäre schrecklich, wenn du durch einen solch dummen Zufall ernstliche Schwierigkeiten hättest.«
Da erhebt Fürst Wolfhart keinen Widerspruch mehr. Nur als Sabrina die Halle verlässt, um Sönke zum Arzt zu schicken, murrt er: »Einfach lächerlich, ein solches Theater um diesen unbedeutenden Schnitt zu machen!«
Fräulein Tabea achtet jedoch nicht auf seine Worte, sondern verbindet seine Hand ruhig weiter.
»Es wird höchste Zeit, dass wir endlich ein Telefon auf Schloss Ravenhill bekommen«, bemerkt sie schließlich. »Man ist im Ernstfall ja völlig von der Welt abgeschnitten. Ehe vor sechs Jahren die Leitung für Strom zu uns gelegt wurde, hausten wir ja zudem noch in ägyptischer Finsternis. Aber das Telefon ist wirklich eine dringende Notwendigkeit, gnädiger Herr, sonst ist man verkauft, verraten und verloren in diesem unheimlichen Gespensterschloss.«
»Gespensterschloss?«, fragt Fürst Wolfhart missbilligend und mit zusammengezogenen Brauen. »Ich glaube, liebes Fräulein Tabea, Sie scherzen.«
»Ich scherze nicht! Es ist nicht geheuer im Schloss. Früher habe ich ja nie etwas bemerkt, aber jetzt spukt es tatsächlich.« Sie dämpft ihre Stimme etwas, als fürchte sie sich, die unheimlichen Gespenster aufzuwecken. »In der bewussten Nacht von Freitag auf Samstag wird es immer unruhig im Falkenverschlag. Nicht nur ich habe es bemerkt, auch Sönke und die anderen. Wir haben einmal dort nachgesehen, aber wir konnten bei Tageslicht nichts entdecken. Alles stand an seinem Platz, die Kette der Falkenstange hing ruhig herab, und die Bretterwand, die zum Freigehege führt, war lückenlos vernagelt. Drei Nächte lang hielt Sönke damals im Verschlag Wache, doch es blieb alles ruhig. Aber in der Nacht des darauffolgenden Freitags begann es wieder. Es war schaurig! Die Kette rasselte,