Der kleine Fürst Staffel 14 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
wo genau er sich aufhält«, sagte Anna erbittert.
Oben auf dem Hügel lag Togo bereits vor der fürstlichen Gruft und wartete auf sie.
»Hallo, Tante Lisa und Onkel Leo«, sagte Anna. Konrad blieb stumm, er machte sich auch nicht darüber lustig, dass Anna mit zwei Toten sprach.
»Chris ist auf Klassenfahrt«, fuhr Anna fort, »deshalb sind Konny und ich gekommen, damit ihr euch nicht verlassen fühlt.« Sie sprach weiter, völlig unbefangen. Sie erzählte ihrer toten Tante und ihrem toten Onkel, was ihrer Ansicht nach interessant für sie war, denn sie wusste, dass Christian es ebenso machte, nur sprach er nicht laut, wie sie es jetzt tat, sondern in Gedanken. Über ›die Affäre‹ freilich verlor sie kein Wort, es hatte ja auch keinerlei neue Entwicklung gegeben. Dass er ein Interview geben wollte, hatte Christian seinen Eltern vor seiner Abreise gewiss noch selbst erzählt.
Konrad stand die ganze Zeit ruhig neben seiner Schwester, ohne Anzeichen von Ungeduld oder Unwillen. Auch als Anna schließlich sagte: »Wir kommen morgen wieder. Chris ist fast eine Woche weg, aber er denkt an euch – genauso, als wäre er hier. Aber ich glaube, das wisst ihr sowieso«, rührte er sich noch nicht, sondern wartete geduldig auf ein Zeichen von Elisabeth und Leopold, wie es sein Cousin immer tat.
Früher hatte sich Konrad gelegentlich über Christians unbeirrbaren Glauben, dass seine Eltern ihn hören konnten, lustig gemacht, doch das tat er schon lange nicht mehr. Irgendwann einmal hatte er gesagt, es gebe so vieles auf der Welt, das man sich mit dem Verstand nicht erklären könne, da sei es wohl auch denkbar, dass die Verbindung zwischen Menschen auch nach dem Tod nicht abreiße.
Es raschelte in den Büschen hinter ihnen. Als sie sich umdrehten, kam ein kleines Häschen zum Vorschein, das nicht sonderlich erschrocken wirkte, obwohl Togo mittlerweile neben ihnen stand und normalerweise jeden Hasen in die Flucht schlug. Doch auch für den jungen Boxer galten auf dem Hügel andere Gesetze als im Park und im Wald. Er rührte sich nicht, sondern hielt sich weiterhin dicht bei Anna.
Das Häschen erhob sich auf die Hinterläufe und schnupperte, gleich darauf machte es einen Satz und verschwand.
Als sie den Hügel verließen, lächelte sowohl Anna als auch Konrad. Vielleicht war das Häschen ein Zeichen von Christians Eltern gewesen, vielleicht auch nicht. Aber die Vorstellung, dass Elisabeth und Leo es geschickt hatten, war viel zu schön, um nicht daran zu glauben.
»Verrückt, oder?«, fragte Anna, als sie sich dem Schloss näherten. »Chris sagt immer, es geht ihm besser, wenn er seine Eltern besucht hat, und ich fühle mich jetzt auch irgendwie …«
»… erleichtert?«, fragte Konrad.
»Ja. Wenn man da oben steht, hat man wirklich den Eindruck, dass sie alles hören und sehen, und das ist einfach schön, finde ich.«
Früher hätte Konrad gelacht und eine spöttische Bemerkung gemacht, jetzt nickte er nur, denn er empfand wie seine Schwester.
*
Caroline übernachtete mit den Jugendlichen in ihrer Unterkunft, das tat sie immer, es stärkte den Zusammenhalt. Von hier aus hätte sie ohne Weiteres zu ihrer Wohnung fahren können, doch in aller Regel verzichtete sie darauf. Es war wichtig, mit einer Gruppe, die sie führte, auch abends zusammen zu sein, da gab es oft die interessantesten Gespräche, und sie hoffte, so würde es auch dieses Mal sein.
Das Grillen war ein voller Erfolg, zumal das Wetter mitspielte. Die Tour dieses Tages war recht gut verlaufen. Drei Mädchen und zwei Jungen hatten sich böse Blasen gelaufen, aber trotzdem bis zum Ende durchgehalten. Caroline hatte die Blasen ordentlich verpflastert und angeregt, über andere Schuhe nachzudenken. Es gab Geschäfte in der Nähe, wo man gute Wanderschuhe kaufen konnte, wenn man genug Geld dabei hatte. Immerhin ein Mädchen und ein Junge waren ihrem Rat gefolgt und hatten gleich noch Wandersocken dazugekauft. Für die anderen musste man sehen, wie es weiterging. Unfälle hatte es nicht gegeben, ihre kleinen Vorträge waren erstaunlich interessiert aufgenommen worden.
Der kleine Fürst war während der ganzen Zeit mit dem Sommersprossigen zusammen gewesen, von dem sie mittlerweile wusste, dass er Manuel hieß. Ein netter, schüchterner Junge mit traurigen Augen, der jedoch überraschend strahlend lächeln konnte, wenn ihm etwas gefiel oder er eine interessante Entdeckung machte. Auch Christian von Sternberg hatte traurige Augen, er wirkte in sich gekehrt. Beide Jungen waren dennoch hilfsbereit, sie trugen zum Beispiel die Rucksäcke von zwei Mädchen, die sich Blasen gelaufen hatten und gegen Ende der Tour sichtlich mit den Tränen kämpften.
Sehr sympathisch, dachte Caroline. Auch die beiden Lehrer waren guter Dinge, stellten ihr eine Menge Fragen und schienen aufrichtig am Naturpark Kellerwald interessiert zu sein.
»Wieso sind Sie eigentlich ausgerechnet hierhergekommen?«, fragte Caroline. »Wäre Bayern für Sie nicht näher gewesen? Landschaftlich ist das auch sehr reizvoll.«
»Wir wollten mal etwas Neues erkunden«, antwortete Martina Früh. »Nach Bayern sind schon so viele Klassen gereist, die nachfolgenden wissen immer schon, was sie dort erwartet, weil die Älteren es ihnen erzählen. Außerdem schadet es den Jugendlichen nicht, wenn sie sehen, was ihre Heimat sonst noch zu bieten hat. Wir haben auch über eine Nordseeinsel nachgedacht, uns dann aber doch anders entschieden. Hier gibt es viel zu sehen und zu entdecken, und es ist, abgesehen vom Reichtum der Natur, eine eher arme Gegend. Auch das fanden wir wichtig.«
Nach dem Essen spielte noch ein Junge Gitarre, es wurde ein bisschen gesungen, dann siegte die Müdigkeit nach der ungewohnten Bewegung an frischer Luft, in kleinen Gruppen zogen sich die Jugendlichen zurück. Es sollte schließlich am nächsten Morgen früh weitergehen.
Caroline half den Wirtsleuten beim Aufräumen und bestellte dann noch ein Glas Wein. »Das scheint eine nette Gruppe zu sein, Caro«, sagte die Wirtin.
»Ja, sehr nett«, bestätigte Caroline. Sie kannte alle Herbergen rund um den See, in denen Gruppen aufgenommen wurden und duzte sich mit den meisten Wirtsleuten. »Allerdings ist die Gruppe ziemlich groß. Bis zwanzig geht es, aber darüber hinaus kann es schwierig werden. Bis jetzt ist aber alles gut gegangen.« Sie nahm ihr Weinglas. »Ich sehe noch mal draußen nach, ob auch wirklich nichts liegen geblieben ist.«
Es war eine sternenklare Nacht, sie sog die Luft tief ein. Die Kälte spürte sie nicht, im Gegenteil. Ihr war warm, sie fühlte sich wohl. Sie bewegte sich gern, für sie war die heutige Tour nicht viel mehr als ein Spaziergang gewesen. Sie freute sich schon auf den nächsten Tag, dann würde sich zeigen, wie belastbar die Jugendlichen waren.
Sie hörte Schritte hinter sich, dann fragte eine leise Stimme: »Störe ich dich?«
Sie drehte sich um, der kleine Fürst stand an der Tür. »Überhaupt nicht, Chris, ich genieße nur noch ein bisschen die Abendluft und trinke ein Glas Wein dazu. Danach werde ich wunderbar schlafen.«
Der Junge trat näher. »Kann es sein, dass du meine Tante kennst? Sofia von Kant?«
»Woher weißt du das?«, fragte sie überrascht.
»Sie hat von dir gesprochen. Ich habe deinen vollen Namen auf einer der Listen gesehen, da ist es mir wieder eingefallen. Ihr arbeitet manchmal zusammen, oder?«
»Ja, wir treiben ehrenamtlich Geld für Bedürftige ein«, erklärte Caroline. »Und wir arbeiten gut zusammen, deine Tante und ich, wir haben eine ähnliche Herangehensweise.«
Er nickte nur. »Das war ein schöner Tag heute.«
»Findest du? Das freut mich.«
Der Lichtschein aus der Wirtsstube fiel auf sein Gesicht, sie sah, dass er lächelte. »Morgen wird es wohl nicht mehr ganz so gemütlich sein, oder?«
Sie musste lachen. »Nein, nicht ganz«, gab sie zu, »aber um dich und Manuel muss ich mir wohl keine Sorgen machen. Ich habe euch beobachtet, ihr seid gute Wanderer, alle beide. Er ist wohl dein Freund?«
»Ja, das ist er«, sagte der kleine Fürst. »Bleibst du noch ein bisschen hier? Dann hole ich mir auch noch was zu trinken, ich kann nämlich noch nicht schlafen, und ich liege nicht gern wach im Bett.«
»Nur