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Slumlords. Alexander BroicherЧитать онлайн книгу.

Slumlords - Alexander Broicher


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Kannst du vorbeikommen?«

      Ich hasste solche Ansagen, die im Vagen blieben. Mein Herz begann, schneller zu schlagen.

      »Was ist los?«, setzte ich ihn unter Druck.

      »Deine Mutter ist überfallen worden.«

      »Was? Ist sie okay?«

      »Ich würde sagen, den Umständen entsprechend.« Seine Stimme zitterte nicht vor Aufregung, sondern vom Bourbon, den er wohl zum Frühstuck getrunken hatte.

      »Gib sie mir mal ans Telefon«, forderte ich ihn auf.

      »Sie hat sich hingelegt…«

      Ich checkte die Uhrzeit auf meinem Phone. Dann hielt ich es mir wieder ans Ohr. «Hör zu, ich muss hier noch was erledigen. Bin in zwei Stunden bei euch.«

      Meine Mutter hatte versucht, ihre Prellungen im Gesicht zu überschminken, damit ich mir keine Sorgen machte. Sie hockte erschöpft auf dem Sofa, während ich auf und ab latschte. Natürlich war ich wütend auf die Täter. Ich hatte meinen Totschläger in der Jacke, falls die drei Typen immer noch im Haus rumlungerten. Die Jungs wären tot. Aber was ging meine Mutter allein in den Keller? Wie blauäugig und weltfremd sie manchmal war! Selbst ich betrat die verschachtelten Flure nur ungern, weil da Penner nächtigten, Kiffer abhingen oder Cracksüchtige. Die hatten keinen Bock auf Publikum, wenn sie ihre Pfeifen rauchten. Und sie schlugen dir für zwei Euro den Schädel ein. Insofern war meine Mutter glimpflich davongekommen.

      »Kannst du mir mal erklären, was du da unten wolltest?«, fragte ich sie gestresst.

      »Altkleider entsorgen.« Ihre Stimme war dünn.

      »Mach es doch wie die Zigeuner aus dem elften Stock: Schmeiß deinen Müll einfach vom Balkon runter«, empfahl ihr mein Vater.

      »Die werfen ihren Müll aus dem Fenster?«

      »Klar! Frag Zbigniew, der hat denen das verboten, interessiert die aber nicht!«

      Zbigniew war der Hauswart. Ein Skinhead aus Krakau mit einem Tattoo auf dem Hals von seinem polnischen Fußballverein. Wenn er Mietern eine Ansage machte, wussten alle, dass er nicht die Hausverwaltung anrief, wenn seine Anweisungen nicht befolgt wurden. Er regelte so was persönlich auf dem kleinen Dienstweg. Mit einem Schlag in den Magen oder in die Fresse. Aber bei der Großfamilie aus Rumänien oder Albanien fruchtete das nicht. Die hausten mit mindestens zehn Leuten in einer Dreizimmerwohnung. Wahrscheinlich hatte Zbigniew keinen Bock, von denen mal wie Abfall vom Balkon geworfen zu werden. Elf Stockwerke runter.

      »Wenn zukünftig etwas in den Keller gebracht werden soll, werde ich das zusammen mit Vater erledigen«, machte ich meiner Mutter klar.

      Sie nickte und fing an zu weinen. Was mich jedes Mal traf wie ein Faustschlag. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. Auch, um mich selbst zu trösten. Ich sammelte mich. Blickte meinen Vater an, der mit überkreuzten Beinen im Sessel saß. Dann wandte ich mich an meine Mutter. »In der heutigen Zeit muss man leider immer und überall auf der Hut sein.« Ich redete auf sie ein wie diese Sozialarbeiter, die ich früher schon gehasst habe.

      »Ich will hier weg«, schluchzte sie.

      »Jetzt geht das wieder los!« Es regte meinen Vater auf.

      »Ich halte das nicht mehr aus!«

      »Einen alten Baum verpflanzt man nicht!«, bellte er zurück.

      Womit er nicht nur sich meinte, sondern zwei alte Jugendfreunde, die hier auch seit über 40 Jahren wohnten. Mit denen er sich zum Skat und zum Saufen traf. Oder zum Reden über die alten Zeiten, als sie zusammen eine kleine Gang waren, die in der Nähe immer Klauen gingen. In Supermärkten und in Klamottenläden.

      Ich hätte meine Mutter sofort mitnehmen und bei mir unterbringen können, nur leider war meine Küche eine Backstube für Kokain. Und Mama würde niemals meinen Vater unversorgt zurücklassen, denn er war nahezu unfähig, etwas anderes als Tütensuppe zu kochen, Wäsche zu waschen oder die Bude turnusmäßig zu reinigen. Er hing an diesem versifften Ghetto wie ein Junkie an der dreckigen Nadel. Ihn hier wegzubewegen wäre für ihn wie ein Alkoholentzug. Mit einer stinknormalen Bude in einem ruhigen Viertel brauchte ich ihn nicht zu ködern, da musste ich schon kistenweise Champagner auffahren, um den trägen Sack von WhiskyCola runter zu kriegen. Seinem geliebten Arme-Leute-Gesöff. Doch bevor meine Mutter hier vor die Hunde ging, spendierte ich ihr lieber einen Monat in einem Luxushotel in der Innenstadt. Um Zeit zu gewinnen, in der ich ein cooles Apartment für meine Eltern anmieten konnte. Was mich scheiße viel Kohle kosten würde. Meine Eltern. Hakan. Die Inkasso-Schläger. Julia. Mein Lifestyle. Frankfurt verschlang immer nur Geld, Geld, Geld.

      6

      Ein gewohnheitsmäßiger Kokser zog eine Line in etwa einer Sekunde in seinen Schädel. Das war exakt die Zeit, die ein Trading-Computer der Investmentbanker brauchte, um fünfzig geschäftliche Transaktionen hintereinander durchzuführen. Eine fucking Sekunde! Hochfrequenzhandel war ein Business voll auf Speed. Es klang so unmenschlich wie mein Handy, das mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf schepperte. Fuck! Ich hatte vergessen, es auszumachen. Bestimmt meinte ein überspannter Yuppie, ich würde für eine Nase jetzt quer durch die Stadt zu ihm fahren, damit er sich was reinfegen kann. Einfach ausschalten war kacke, also ging ich ran.

      »Ich habe sie«, erklärte mir Hakan atemlos.

      »Was? Die Kohle?«, murmelte ich verpennt.

      »Die Adresse«, keuchte er. »Von der Society-Nutte.«

      Luisa Strahlenberg. Shit. Er machte also ernst. »Hör zu, diese zwei Deutsch-Russen haben mich besucht«, versuchte ich, ihn von seinem Film abzulenken. »Nette Leute. Die haben mir 500 für dich geboten.«

      »Hast du einen Keller?«

      »Unten im Haus. Wo sich so ein Keller eben meistens befindet.«

      »Nee, Mann. Ich brauche ein leer stehendes Gebäude, wo ich die Frau verstecken kann, bis die Millionen fließen.«

      »Hakan«, ich versuchte es auf die Freundschaftliche, »Entführer werden fast immer bei der Geldübergabe geschnappt. Oder die bauen dir einen Sender in die Tasche ein und orten dich.«

      »Du hast Recht«, sagte er. »Man wird fast immer geschnappt. Aber eben nicht immer.« Dann legte er auf.

      Dies war genau das Problem mit den Dauerkoksern, dass sie einen Tunnelblick kriegten und einen obendrein mit reinzogen in eine geplante Entführung. Und das bloß, weil man einem alten Kumpel helfen wollte. Der mich wahrscheinlich in seiner beschissenen Lage für ein paar Gramm Kokain verraten und verkaufen würde.

      Das kühl eingerichtete Café »Dow Jones« war gegen elf Uhr noch leer. In gut einer Stunde würden die Banker zum Mittagstisch einfallen, dann wollte ich weg sein. Ich bestellte das französische Frühstück Deluxe und nahm mir ein Fashion Magazine, das im Zeitschriftenregal stand. Hundert Seiten bunter Bilder mit Girls und Boys und Mode. Es erinnerte mich, der Controllerin eine SMS zu schicken. Julia antwortete nach ein paar Minuten, dass sie sich auf heute Abend freue. Ich hatte bei einem Italiener einen Tisch reserviert. Italien war ihr Lieblingsland. Sie hatte sogar mal einen Sprachkurs gemacht. Meine Kenntnisse waren da eher begrenzt: Pasta. Amore. Ficki-ficki.

      Dann rief Harro an. Er wollte am Freitag einen Tisch für drei Personen in der Bar reservieren. Ganz offiziell. Bedeutete, er würde vorbeikommen und drei Gramm abholen. Ich schätzte vorausschauende Kunden. Und Harro machte bei mir einen stabilen Jahresumsatz. Bestimmt 7000. Schon deshalb hatte ich kein Interesse daran, dass mir Hakan mit einer Amokaktion dazwischenfunkte. Es würde mich einen äußerst solventen Stammkunden kosten, wenn Harro ein fettes Lösegeld abdrücken musste, statt davon mein Kokain zu kaufen. Allmählich wurde Hakans Zustand geschäftsschädigend. Vielleicht sollte ich Harro einen versteckten Hinweis geben, dass Gerüchte im Umlauf waren, dass eine reiche Frau aus der Frankfurter Society entführt werden sollte? Aber dann würde er mich so lange aushorchen, bis ich Namen nannte. Und Hakan wollte ich nicht anschwärzen. Er war eine arme Sau. Auf zwei Gramm am Tag. Aber ich konnte ihn auch nicht einfach so machen lassen.


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