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Bei abnehmendem Mond. Jörg M. PönnighausЧитать онлайн книгу.

Bei abnehmendem Mond - Jörg M. Pönnighaus


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in Kipingo wohnte Magnus also in einem recht großen Ziegelsteinhaus mit Wellblechdach. Verheiratet war er auch, aber seine Frau war nicht mitgekommen, als sie ihn jetzt mit einem Speer durch den Kopf gebracht hatten.

      Wir standen rum. Es war eben ein sehr merkwürdiger Anblick.

      In Ifakara hatten sie neulich einem jungen Mann der versuchte hatte, Reis zu stehlen, beide Augen ausgestochen und den Penis abgeschnitten und ihm in den Mund gestopft. Da war ein Speer durch den Kopf ja noch geradezu vorteilhaft!

      Irgendwann kam die Polizei. Mit ihrem neuen weißen Landrover. Sie sahen sich Magnus kurz an.

      »Den kennen wir«, sagte der dickere von den beiden Polizisten, »das geschieht dem recht so.«

      Dann gingen sie wieder.

      In dem Hause von Magnus wurden später neun Fahrräder gefunden. Seine Frau hatte das Weite gesucht.

      Dunkelblau

      [24. August 2006]

      Ich hatte es eilig. Es war schon nach drei Uhr. Ich hatte mir fünf Stunden lang Patienten angeschaut und mir für jeden Zeit genommen, hatte jeden ausführlich befragt, hatte jeden untersucht und hatte mit jedem besprochen, was zu tun war. Auch wenn mir manche Beschwerden einfach unsinnig vorgekommen waren (Bauchschmerzen, die den Rücken hochsteigen und dann von hinten in die Brust gehen). Denn viele kamen von weit weither. Auf steinigen Pfaden. Und nun war ich müde. Ich wusste, in Taveta würden noch einmal Patienten auf mich warten. Der Pater dort, Pater Liume, hatte mich gebeten, noch Zeit auch für seine Patienten zu haben. Und da konnte ich ja nicht nein sagen. Aber Pastor Swales Kirche musste ich mir noch schnell anschauen. Da kam ich nicht dran vorbei. Sie war ja mit Pastor Schmidts (Kirchenkreis Elbe-Fläming) Hilfe gebaut worden und dem musste ich nun endlich wieder einmal berichten, wie weit die Kirche gediehen war.

      Ich fuhr mit dem Motorrad bis zum Fuß von dem kleinen Hügel, auf dem sie steht. Sie war fertig. Auch innen war sie nun gestrichen. Sie war freilich noch leer. Nur vorne stand ein Tisch mit einem Kreuz darauf. Na schön. Die Bänke für die Besucher waren in Arbeit, ich hatte Pastor Swale ja 1,2 Millionen TSH dafür gegeben. Vor einem Monat. Gut gut. Ich verabschiedete mich von Pastor Swale, ich hatte es ja eilig. Ging zurück zum Motorrad, zur Honda 125 S. Kuandika, der Mechaniker, und ich waren gestern bis Taveta mit zwei Motorrädern gefahren. Heute Morgen dann aber nur noch mit einem weiter bis Tanganjika Masagati. Ich hatte (ganz unnötigerweise) gedacht, wir müssten vorsichtig sein mit dem Benzin, weil wir nur einen 5 Liter Reservekanister mitgenommen hatten. Und von Taveta bis Masagati sind es ja nur 15 Kilometer. Und Kuandika sieht ja eher aus wie ein Floh und stört nicht weiter auf dem Rücksitz. Er nimmt so gut wie keinen Platz weg. Und sein Gewicht kann man vergessen.

      Ich war ein gutes Jahr nicht in Masagati gewesen. Zuletzt war ich im Mai 2005 oder so hier gewesen. Damals hatte ich für die 97 Kilometer von Lugala bis Taveta 8 Stunden gebraucht. Gestern hatten wir ›nur‹ 6 Stunden gebraucht. Der Weg war immer noch fürchterlich gewesen, aber wir hatten die Motorräder nicht mehr durch tiefen Schlamm schieben müssen.

      Ich fuhr los. Der Motor der Honda brummte sanft und Vertrauen erweckend. An der Schule vorbei und ein paar Häusern. Dann nach links über die Brücke aus oben gegabelten Baumstämmen und Bambus. Der Weg war breit genug für ein Auto. Auf dem Weg entlang schlängelte sich dann ein Pfad, der von Fahrrädern benutzt wurde und glatt gefahren war. Autos kamen hier ja praktisch nie her. Und diesem Pfad auf dem Weg folgte ich natürlich auch mit dem Motorrad.

      Die lange Steigung, die ich nur im ersten Gang schaffen konnte. Auf der anderen Seite der steile Abhang, auf dem die Honda, wenn ich von Taveta kam, immer aufgab. Jedenfalls wenn wir zu zweit auf einem Motorrad saßen. Dann das lange Tal entlang. Ich überholte einen Mann mit seiner Frau auf dem Fahrrad. Sie war, ja weshalb eigentlich, bei mir gewesen. Sie waren aus Ipinde, 25 km von Masagati. Es waren zu viele Patienten gewesen, ich konnte mich schon nicht mehr daran erinnern, was sie alle hatten. Bei zwei Patienten hatte ich den Verdacht gehabt, sie könnten HIV positiv sein. Und sie waren es auch. Ich hatte ihnen raten können, nach Lugala zu kommen, um die CD4 Zellen zu zählen und um mit einer Behandlung anzufangen, so das schon sinnvoll war.

      Auf der anderen Seite vom Tal Hügel mit abgeholzten kahlen Flecken. Aber es war noch alles grün, und irgendwie sah es nicht so schlimm aus wie vor einem Jahr.

      Gelegentlich eine Hütte, gelegentlich ein Hund, der uns bellend ein Stück folgte. Ein Quertal von rechts. Der Pfad schlängelte sich durch abgeerntete Reisfelder. Die Reisernte sei dieses Jahr so gut gewesen wie seit Jahren nicht, hatte Pater Liume erzählt. Doch nun wüssten die Leute nicht, wohin mit dem Reis. Keine Händler, die ihn aufkauften. Die Straße bis Taveta war so schlecht, dass keiner sich traute, seinen Lastwagen auf diese achsenbrechende Strecke zu schicken. Nur ein paar junge Männer, die Reis auf Fahrrädern nach Mlimba schafften. Zur Bahnstation dort. Und mit den berühmten süßen Apfelsinen wüssten sie dieses Jahr auch nicht, wohin damit. Sie würden auf den Bäumen verfaulen, weil niemand komme, um sie aufzukaufen.

      Hinter einer holprigen kleinen Brücke wollte ich irgendetwas zu Kuandika sagen. Er war nicht da. Ich saß allein auf dem Motorrad. Ich war völlig verdutzt. Traute fast meinen Augen nicht. War er gar nicht aufgestiegen? War ich ohne ihn losgefahren, weil ich es so eilig gehabt hatte? War er unterwegs vom Motorrad gefallen? Aber das konnte doch nicht sein. Und wenn doch, hatte er sich womöglich beim Sturz etwas gebrochen? Ich wendete und fuhr zurück.

      Das lange Tal entlang. Durch das Quertal. Das lange Tal entlang, immer auf dem Pfad, der sich auf dem Weg entlang schlängelte. Fast bis zum Fuß von dem steilen Anstieg. Da hüpfte Kuandika mir entgegen. Lachte. Ja, er war hinten rüber vom Motorrad gefallen. Beim langen Anstieg, als ich über einen Hubbel fuhr. Nein, ihm war nichts passiert, er hatte sich nicht verletzt. Ja, es war wirklich alles in Ordnung. Ich schüttelte den Kopf. Ich wendete wieder, ließ Kuandika wieder aufsteigen, fuhr wieder los.

      Immer wieder lange Täler entlang.

      Durch Quertäler.

      Über die große Brücke.

      Ich hatte es eilig.

      Rechts schon der Mnyera. Ein schönes Land: noch bewaldete Hügel, sanfte Täler, Apfelsinenbäume entlang dem Weg, in denen die »Goldorangen glühten«.

      Schade, dass ich es so eilig hatte.

      Taveta. Hoch zur großen Kirche und zum ehemaligen Kloster, in dem jetzt nur noch Pater Liume wohnte. Die schweizer Mönche waren in den fünfziger Jahren fort gegangen. Nur ihre Bücher hatten sie zurückgelassen. »Wie Gott Mensch wurde«.

      Die Patienten saßen draußen auf Bänken. Nicht ganz so viele, wie ich befürchtet hatte. Manche waren wohl auch nach Masagati gekommen, um mich dort zu sehen. Ich bat Kuandika mir zu helfen. Den Gesundheitsposten hatte Pater Liume schließen müssen. Der clinical officer, den ihm die Regierung (der Distrikt Medical Officer) geschickt hatte, hatte gesagt, er müsse erst einmal seine Eltern besuchen. Und die Krankenschwester war nach Ifakara gegangen, um ihre kranke Mutter zu pflegen. Hatte sie gesagt.

      »Hier will einfach niemand arbeiten …«

      Der erste Patient: Eltern, die ihr Kind brachten. Es lahmte auf dem linken Bein. Ja, es hatte eine intramuskuläre Spritze bekommen. Hier im Gesundheitsposten. Im Mai. Und seitdem lahmte es.

      Ich erklärte, dass ein Nerv durch die Spritze beschädigt worden sei. Dass es keine Behandlung dafür gebe. Aber dass sich der Nerv vielleicht erholen würde. Mit ein bisschen Glück.

      Der zweite Patient: Ein Vater, der sein Kind brachte. Es lahmte auf dem rechten Bein. Ja, es hatte eine Spritze in den Popo bekommen. Hier im Gesundheitsposten. Im April. Und seitdem lahmte es.

      Ich erklärte, dass ein Nerv durch die Spritze beschädigt worden sei. Dass es keine Behandlung dafür gebe. Aber dass sich der Nerv vielleicht erholen würde. Mit ein bisschen Glück.

      Der dritte Patient: Ein Vater, der sein Kind brachte. Es lahmte auf dem linken Bein und hatte eine Fissur an der Ferse. Ja, es hatte eine Spritze bekommen. Ins Gesäß. Hier im Gesundheitsposten. Im Oktober letzten Jahres. Und seitdem lahmte es.

      Ich


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