Bei abnehmendem Mond. Jörg M. PönnighausЧитать онлайн книгу.
dafür gebe. Aber dass sich der Nerv vielleicht erholen würde. Mit viel Glück. Denn eigentlich habe sich der Nerv inzwischen schon erholen müssen. Und die Fußsohlen sollten sie nach dem Baden dünn mit Vaseline einreiben.
Ich dachte, ich wäre im falschen Film.
Der vierte Patient. Eine Frau knapp dreißig mit ihrem Kind auf dem Arm. Sie zeigte mir ihre hypopigmentierten Hautflecken. Ihr sei eine Salbe verschrieben worden. Ja, hier im Gesundheitsposten. Aber die habe sie nirgends bekommen können. Auch nicht in Mlimba.
Lepra. Multibazilläre Lepra. Ganz offensichtlich. Schon zwei verdickte Nerven. Aber noch keine offensichtlichen Nervenschäden.
»Wenn Sie jetzt sofort nach Lugala kommen, können wir Ihnen noch helfen. Wenn wir jetzt sofort mit der Behandlung anfangen, können wir Sie noch heilen, ohne dass Sie zu Schaden kommen! Warten Sie nicht. Kommen Sie. So weit ist Lugala auch nicht. Es lohnt sich!«
Ich war plötzlich froh. Der Tag, die Mühe hatten sich gelohnt (wenn die Frau kam). Meine Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen.
Der Himmel war plötzlich ganz blau.
Kinderwunsch
[26. August 2006]
Ob Gynäkologen in Deutschland auch dauernd von Patientinnen aufgesucht werden, die entweder einen unerfüllten Kinderwunsch haben oder Schmerzen beim Bumsen oder sowohl als auch? Dann bin ich nur froh, dass ich kein Gynäkologe geworden bin. Moses und ich müssen uns jedenfalls mindestens einmal jede Woche mit einer solchen Patientin befassen. Und wir können uns dann nicht hinter einem Wall aus Laborergebnissen verschanzen. Wir können nur die Spermien beim Mann zählen und, so wir Urografin haben, nachschauen, ob die Tuben bei der Frau durchlässig sind. Na ja, wir können auch eine Spekulumuntersuchung machen und einen Schallkopf auf den Bauch halten. Aber dabei findet sich ja nur höchst selten etwas Pathologisches. Das ist praktisch reine Zeitverschwendung. Und Urografin haben wir mal wieder nicht. Gab es nicht in Dar es Salaam, als ich im Juni dort war.
Und wenn die Tuben nun nicht durchlässig sind? Moses operiert dann gerne, und vor Jahren soll mal eine Frau nach einer solchen Operation schwanger geworden sein. Ich mache diese Versuche, die Tuben operativ zu öffnen, nicht mehr. Ich empfinde diese Operationen als Betrug. Ich habe mal einen Gynäkologen, der für eine Woche nach Lugala kam, gefragt, wie hoch die Erfolgsrate von Tubenoperationen in seinen Händen sei. Null, antwortete er mir, aber die Frauen haben nach einer solchen Operation für zwei drei Jahre wieder Freude und Hoffnung; und das ist auch viel wert.
Das ist natürlich ein Argument. Und vielleicht wirklich ein Grund, Frauen mit verschlossenen Tuben zu operieren. Aber wie gesagt, ich mache es nicht mehr.
Gestern hatte ich auch wieder eine solche Frau mit Kinderwunsch und Schmerzen beim Bumsen. Margreth hieß sie. Knapp dreißig war sie und seit sieben Jahren verheiratet.
»Und wie lange haben Sie denn schon Schmerzen beim Bumsen?«
»Seit meiner Heirat.«
Ich sah vor mich hin. Bei der Spekulumuntersuchung war mir die Vagina sehr trocken vorgekommen.
»Fragen Sie die Frau doch mal, ob Sie sich vielleicht die Vagina dauernd mit Seife auswäscht«, sagte ich zu Mwahija, die mir gestern bei der endlosen Zahl von Patienten half.
Die Frau bestand darauf, dass sie sich zwar unten rum mit Seife wusch, dass sie sich die Vagina aber nicht mit Seife auswusch (wie manche Frauen das hier tun).
»Hm.«
Mwahija ist aus Tukuyu. Eine schlanke, hoch gewachsene Nkhonde. Sie ist Muslimin und entsprechend ist ihr Name auch ein moslemischer Name und kein Nkhonde Name. Ich mag sie, auch wenn sie manchmal ein wenig langsam ist. Ihre Rehaugen sind das schönste an ihr. Bisweilen scheint ein wenig Trauer in ihnen verborgen zu liegen. Sie hat seit Jahren einen Freund, der inzwischen wohl auf die Polizeischule in Dar es Salaam geht. Wenn er fertig ist, wird Mwahija Lugala vermutlich so schnell wie möglich den Rücken kehren.
»Vielleicht sollte unsere Patientin mal mit einem Nachbarn bumsen, um auszuprobieren, ob es mit dem auch weh tut.«
Mwahija fragte Margreth, ob das Bumsen mit ihrem Freund auch wehtue.
Margreth stritt energisch ab, dass sie einen Freund habe. Sie schlafe nur mit ihrem Mann.
»Hm. Vielleicht sollte sie mal mit einem anderen Mann ausprobieren, ob es mit dem auch weh tut.«
Mwahija schlug Margreth vor, es doch mal mit einem anderen zu probieren. Dann wisse sie, ob sie die Schmerzen wegen ihrem Mann habe oder ob es an ihr liege. Vielleicht sei das Ding von ihrem Mann ja besonders groß und sie habe deshalb Schmerzen beim Bumsen. Das komme ja vor. Oder das Ding von ihrem Mann sei besonders dick.
Ich grinste in mich hinein.
Aber Margreth meinte, das Ding von ihrem Mann sei weder besonders lang noch besonders dick. Daran könne es nicht liegen.
Sei sie sich sicher? Sei sie sich sicher, dass das Ding von ihrem Mann nicht besonders groß sei?
Ganz sicher!
Aber es sei doch trotzdem sinnvoll, es mal mit einem anderen Mann auszuprobieren. Das sei doch ein guter Vorschlag von mir. Wenn es mit einem anderen nicht wehtue, dann müsse es eben doch an ihrem Mann liegen. Dann sei dessen Ding vielleicht doch zu groß. Ob sie es sich mal genau angeschaut habe?
Margreth überlegte.
Sie war etwas rot geworden unter ihrer schwarzen Haut; aber der Vorschlag schien auch ihr Sinn zu machen.
Ich ging, um zu schauen, ob eine Patientin von der Entbindungsabteilung so weit war, dass ich bei ihr eine Sekundärnaht machen konnte. Außerdem überließ ich die weitere Diskussion ja am besten Mwahija und der Patientin. Frauen besprachen das ja wohl besser unter sich.
Bei der Patientin von der Entbindungsabteilung war die Dammschnittnaht aufgegangen, und es war alles ganz bös infiziert. Die Hebammen, aber auch die clinical officers, können Dammschnitte und Dammrisse einfach nicht sauber nähen. Es ist ein Kreuz. Wie viel Zeit ich damit verbringen muss, Sekundärnähte zu machen. Die Frau lag auf dem Tisch.
Als ich zu Margreth und Mwahija zurückkam, waren die beiden fertig mit der Diskussion. Margreth ging.
Vielleicht würde ein anderer sie vielleicht sogar schwanger machen können? Obwohl, das war unwahrscheinlich, denn sie hatte erzählt, ihr Mann habe schon sechs Kinder mit einer anderen Frau. Da stimmte bei ihm wohl alles. Aber da war der Druck natürlich auch entsprechend groß, dass sie nun endlich auch schwanger wurde.
Tja, Leben ohne Kinder.
Das taugt hier eben einfach nichts.
Ich habe freilich das Gefühl, die Leute finden es ist nicht gar so schlimm, wenn ihre Kinder sterben. Nur schwanger muss die Frau werden können. Darum scheint es zu gehen.
Ob er noch lebt?
[27. August 2006]
Es gibt hier viele Patienten mit Verbrennungen. Vor allem Kinder. Es liegt fast immer wenigstens ein Kind mit Verbrennungen auf Station I. Wenn Kinder sich mit heißem Wasser verbrannt haben, ist es meist nicht so schlimm und heilt die Verbrühung unter entsprechender Behandlung in zwei drei Wochen folgenlos wieder ab. Verbrennungen mit heißem Uji, Maisbrei, gehen oft sehr viel tiefer. Und wenn ein Kind ein Tuch um hatte und das an der Kochstelle Feuer fing, dann ist es immer schlimm. Dann wird immer eine Hautverpflanzung erforderlich.
Die Behandlung für Patienten mit Verbrennungen habe ich selbst gestrickt: Zunächst wird eine feuchte Wundbehandlung mit Kaliumpermanganat gemacht und dann, wenn das tote Gewebe weitgehend abgestoßen wurde, folgt die Spalthautverpflanzung. Wahrscheinlich wäre es besser, die Hautverpflanzung früher zu machen. Aber ich fürchte, bei Kindern jedenfalls, den Blutverlust, der mit einer scharfen Trennung von totem und lebendem Gewebe einhergehen würde. Wir müssen eh meist eine Bluttransfusion machen, und wenn ich dann noch das nekrotische Gewebe mit dem Skalpell entfernen würde …
Erwachsene mit