100.000 Tacken. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.
In der Redaktion des Sauerlandbeobachters herrscht ein wildes Durcheinander. Irgendetwas scheint passiert zu sein. Und es ist kalt. Viel zu kalt.
„Morgen Alex!“, ruft Ulli Müllenbach, mein lieber Kollege hier beim Sauerlandbeobachter. Ulli schreibt sehr flott, ist immer engagiert und wirft sich auch immer voll rein. Meistens ist es ihm sogar egal, worum es geht. Er fährt einfach immer volle Kraft. Manchmal übertreibt er auch ein wenig, aber er ist ein guter Schreiber und ein prima Kerl. Ich mag ihn gut leiden.
„Komm ma gleich zu Don Camillo rübber. Is‘ wat passiert!“
„Was denn?“, frage ich und schließe erst mal ärgerlich das Fenster in meinem Büro. Frau Brzskravic, unsere Putzfrau, lässt es immer offen stehen, wenn sie mit unseren Büros fertig ist.
„Frisch Lufft gutt fierr alte Sesselstinkärr!“, sagt sie immer, aber zu viel davon ist nichts für mich. Vor allem, wenn die frische Luft gerade mal so fünf Grad hat. Und mehr ist jetzt, Anfang Dezember, auch nicht zu erwarten. Außerdem schließen die verdammten Fenster auch nicht mehr so richtig und sind sowieso immer kalt. Ist eben ein alter Kasten hier direkt am Marktplatz von Leckede, in dem unsere Redaktion schon seit vielen Jahren überlebt, aber recht gemütlich. Wir haben uns dran gewöhnt und uns gefällt’s. Die Heizkörper sind heute allerdings auch eiskalt. Eigentlich sollte die Heizung doch jetzt um diese Jahreszeit auf Hochtouren laufen.
„Was ist denn mit der Heizung los?“, frage ich Ulli verärgert, denn ein kaltes Büro kann ich einfach nicht ausstehen.
„Kaputt!“, sagt er.
„Wie, kaputt?“
„Keine Ahnung. Monteur kommt gleich!“
„So ein Mist!“
„Bis gleich beim Don!“
„Was ist denn jetzt passiert?“, rufe ich Ulli noch hinterher, aber er ist schon weg. „Na gut … ich komme gleich!“
Herkules trottet schnaufend den Gang entlang und schielt neugierig wie immer in mein Büro.
„Hallo Herkules, mein Großer, komm mal her, ich hab auch was für dich“, sage ich und er wedelt freudig mit dem Schwanz, weil er damit schon gerechnet hatte. Herkules ist eine imposante graue Dogge, noch recht jung, aber trotzdem schon ein Riese und der Hund von Anke Niggeloh.
„Morgen Anke!“
„Morng Alex, alles klar?“
„Sicher.“
Herkules verschlingt das Stück, das ich ihm gegeben habe, mit einem Happ und dann schnüffelt er alles ab und sucht nach weiteren Leckerchen, aber heute habe ich nur dieses eine für ihn. Es war ein halbes Rindersteak, das wir am Wochenende leider nicht besonders gut hinbekommen haben. Aber dem Hund hat’s eindeutig gut geschmeckt.
„Is‘ ja ‘ne dolle Sache, nä?“, sagt Anke dann und zieht ihre buschigen Augenbrauen hoch.
„Was denn? Das mit der Heizung?“
„Ja, dat auch, aber ich merke, du weiß‘ nonnix. Na, dann komma schnell mit zu Don Camillo.“
„Ja, ich komme.“
Don Camillo ist mein Partner bei diesem kleinen Blatt und sozusagen der Herr der Finanzen. Er ist Geschäftsführer, ich der Redaktionsleiter. Don Camillo versteht eine Menge von Geld und Einnahmen und Ausgaben, Kosten und Gewinnen, Vorsteuer, Mehrwertsteuer und so was. Ich weiß nur, wie man gute Artikel schreibt und den Dingen auf der Spur bleibt. Aber wir ergänzen uns ganz gut. Ach ja, Don Camillo heißt er natürlich nicht wirklich. Er heißt Heinz-Josef Camillo Montebello. Sein Vater war Italiener. Don Camillo hat sich da eben so angeboten.
„Morng allerseits!“, rufe ich in die Runde der Kollegen in Dons Büro. Außer Ulli und Anke sind noch Peter Wichmann, unser Grafiker und Fotograf, und Elke Hagenkordt da. Ebenfalls Redakteurin. Wir sind ein gutes Team und verstehen uns alle so weit ganz prima.
Gut, ab und zu gibt es auch mal richtig Streit, weil zum Beispiel Peter sich ein Büro mit Elke teilt und ab und zu einfach mal vergisst, dass ja überall Rauchverbot herrscht, auf dessen Einhaltung Elke strengtens achtet. Tja. Da fliegen schon mal die Fetzen, denn Peter muss einfach immer rauchen, und er kann ja nicht den ganzen Tag draußen stehen. Wer soll denn dann die Arbeit machen?
Und auch Anke und der Don geraten immer wieder mal aneinander, weil Anke eben Herkules hat, den sie nicht alleine zuhause lassen kann und der hin und wieder schon mal ein wenig Unruhe oder auch mal einen unangenehmen Geruch in der Redaktion verbreiten kann. Er ist eben noch jung und da passiert schon mal ein kleines Malheur, wenn Anke vergisst, früh genug mit ihm rauszugehen. Nur: Ein kleines Malheur hat bei so einer Dogge dann schon mal gewaltige Dimensionen.
Natürlich ist Herkules auch jetzt wieder dabei und läuft direkt schwanzwedelnd ausgerechnet zum Don.
„Och Anke, muss denn dä Hund schon widder hier … oh näää!“ Der Don dreht sich etwas angewidert ab und vermeidet es, in die Nähe der sabbernden Lefzen dieses riesigen, tapsigen Monstrums zu kommen. „Anke, bitte, nimm den wech!“
„Hooch, is‘ ja schon gut!“, sagt Anke beleidigt und dann sagt sie zu ihrem Hund: „Herkules, Platz!“, aber er platzt nicht, sondern begrüßt erst mal freudig die anderen in der Runde. So viel Zeit muss sein.
Wir versuchen, ihn so gut, wie das bei so einem Riesenhund geht, zu ignorieren und ich frage den Don jetzt, was denn eigentlich los sei.
„Heizung kaputt!“, sagt er als Erstes, fasst zur Sicherheit noch mal die Rippen seines Heizkörpers an und schüttelt verärgert den Kopf. Er hat seinen Mantel an.
„Hab ich schon gemerkt“, antworte ich ihm ebenfalls ziemlich ärgerlich.
„Monteur kommt gleich.“
„Und was noch?“, frage ich, denn wegen einer kaputten Heizung wird er uns ja wohl nicht in sein Büro bestellt haben.
Da leuchten seine Augen auf und er beugt sich ein wenig über seinen Schreibtisch zu uns herüber. Aha, es ist also tatsächlich was passiert.
„Falschgeld in Leckede!“, haut er dann raus und lässt seine Faust dabei eindrucksvoll auf den Schreibtisch krachen. „Ha, is‘ dat wat, Leute?!“
Ja, das ist was. Allerdings. Hat’s noch nie gegeben.
„Falschgeld? Erzähl mal, Don, wer hat’s entdeckt? Wo ist es aufgetaucht?“, frage ich höchst interessiert, denn es passiert nun mal eben leider nicht besonders viel in Leckede-Hintersten. Eigentlich nie überhaupt irgendwas. Deshalb freue ich mich natürlich ganz besonders, hier möglicherweise einen richtigen Kriminalfall zu haben. Ich sehe schon die fette Headline und den Artikel mit ein paar schönen Falschgeldbildern, ein paar Geschädigten, vielleicht sogar schon einem Verdächtigen …
Der Don lehnt sich genussvoll zurück und beginnt.
„Juwelier Dorenkamp hat sich heute morgen bei de Polizeiwache gemeldet und ’n falschen Fuffziger abgegeben, woll. Kam ihm irgendwie komisch vor. Papier war anders als sonst oder wat, un da issser ehm zur Polizei gegangen. Und: Es is‘ tatsächlich Falschgeld! Vorweihnachtszeit. Da wäre wohl Saison für sowwat. Getz hatter natürlich Pech, weil er von diesen scheiß Fuffzigern wohl noch ’n paar andere hat. Die darf er getz alle abliefern und kricht nix ersetzt. Vielleicht hätter se lieber ausgeben soll’n. Hahaha … der olle Kurzhöfer hätte se doch alle genomm’, der Blindfisch, der merkt donnix!“, lacht der Don, aber Elke Hagenkordt sagt empört: „Das ist doch nicht lustig, Heinz-Josef!“ Sie nennt ihn nicht Don.
Heinz Kurzhöfer ist der Leiter des Edeka-Lebensmittelmarktes in Leckede und schon ziemlich alt und schwer tüddelig.
„Schulligung. Natürlich nich.“ Der Don räuspert sich.
„Und? Gibt’s schon ‘ne Spur?“, frage ich, und der freundlich sabbernde Herkules scheint auch interessiert, denn er spitzt aufmerksam die Ohren.
„Nee, nonnix.