100.000 Tacken. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.
gar nichts. Lieber die Finger davon lassen, wenn man keine Ahnung hat. Das hat übrigens Onkel Günter auch immer gesagt.
Aber auf der Bank bringt es ja auch nichts. Zinsen gibt’s nicht mehr zur Zeit und manche der Superreichen müssen jetzt sogar Geld bezahlen, wenn sie ihre Vermögen auf der Bank in Sicherheit wissen wollen. Das weiß ich. Geld muss arbeiten, sagt man ja immer. Aber wie?
Oh, oh, es ist verdammt nicht leicht, plötzlich über einen Haufen Geld zu verfügen, das überhaupt nicht auf dem Plan stand.
Erst kürzlich habe ich noch von einem ganz seltsamen Syndrom gelesen, das Lottogewinner und plötzlich zu Geld gekommene ganz normale Menschen überfällt und sie regelrecht zugrunde richten kann. Es stürzt sie in bodenlose Depressionen bis hin zum Selbstmord, weil sie einfach nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen. So weit sollte es doch wohl nicht kommen. Ich denke auch an glücklose Lottogewinner, die ein paar Monate Ferrari gefahren sind und jetzt in der Fußgängerzone sitzen und uns zittrig ihren leeren Plastikbecher entgegenhalten oder mit gefrorenen Lippen verzweifelt eine schiefe Melodie in eine rostige Mundharmonika blasen. Ich habe auch davon gelesen, dass ganze Familien zerbrochen sind, weil sie mit dem plötzlichen Reichtum nicht klarkamen, weil sie sich zerstritten haben oder weil sie eben nicht wussten, wie sie ihr verdammtes Geld anlegen sollten.
Richtig anlegen. Das kann ein großes Problem sein. Das spüre ich jetzt auch. Ein ganz neues Problem, das ich vorher gar nicht hatte.
Steffi und ich sehen uns noch mal kopfschüttelnd und unsicher lächelnd an, wir können es noch gar nicht so richtig glauben und schon gar nicht locker darüber reden. So verrückt ist es. Fast hunderttausend Tacken – einfach so. Und wir schlafen nicht so besonders in dieser Nacht.
Da fängt es also schon an mit dem enormen Psychodruck, dem Fluch des Geldes.
In meinem Traum sitze ich auf einem dicken Kartoffelsack, in dem das ganze Geld steckt. Ich habe es in aller Eile da reingestopft, weil mir ein paar fragwürdige Herren in dunklen Anzügen auf den Fersen waren, die soeben aus der gläsernen Eingangstür der Leckeder Sparkasse gestürmt sind und mein Geld zu gerne hätten. Das sehe ich ihnen an. Es sind Angestellte der Sparkasse. Sie haben alle das rote Sparkassen-S auf der Stirn. Von der roten Schrift laufen ihnen dicke Tropfen wie Blut übers Gesicht.
Ein paar Scheine flattern einfach so um mich herum, weil sie nicht mehr in den Sack passen. So etwa wie bei Dagobert Duck, den auch immer ein paar lose Geldscheine umschwirren, was ihn regelmäßig wahnsinnig macht. Er will sein Geld eben immer schön zusammenhalten, damit er abends in seinem Geldspeicher auch schön weich darin baden kann, ohne sich die Entenknie am Geldspeicherboden aufzuschürfen. Er hat immer Sorgen um sein vieles Geld. Und ich jetzt auch.
Ich sitze also da, auf diesem prallen Sack und die schwarzen Sparkassen-Männer kommen näher. Sie haben stark gegelte Fri-suren, wie ich jetzt erkennen kann, wirken einigermaßen schmierig und mafiös und tra-gen schwere goldene Ringe an den Handge-lenken und flache schwarze Aktenmappen unter ihren muskulösen Armen, so wie ich Herrn Beckebanz von unserer Sparkasse in Leckede eigentlich noch nie gesehen habe. Aber er ist auch dabei. Ich erkenne ihn deutlich.
Die bösen Männer winken mir zu und lächeln dabei äußerst hinterhältig wie besonders gewiefte Gebrauchtwagenverkäufer. Und sie kommen unaufhaltsam näher. Sie wollen an den Sack. Sie sind jetzt überall.
Ich versuche, den schweren Sack zu schultern und ihnen zu entkommen, aber da platzt er auf, der ganze Geldsegen quillt heraus und lässt sich vom plötzlich aufkommenden Wind in die Luft wirbeln. Ich versuche, alles wieder einzufangen, aber es flattert mir Schein für Schein davon. Eine große Wolke fliegenden Geldes verdunkelt die ganze Szene.
Ich renne hinterher und hüpfe in grotesken Verrenkungen hoch, den Scheinen hinterher, recke mich dem entflatternden Reichtum entgegen, die Männer lachen, aber das Geld lässt sich nicht wieder einfangen. Es ist einfach futsch. Doch Herr Beckebanz hält plötzlich einen riesigen schwarzen Staubsauger in seinen klobigen, schwieligen Händen, die ich auch noch nie an ihm bemerkt habe, wenn ich mal an seinem Schreibtisch saß, saugt die ganze Kohle mit einem gemeinen Lächeln auf und verschwindet mit dem Staubsauger lachend wieder in seiner Sparkasse.
Als ich mich entsetzt und so plötzlich auf diese Weise völlig verarmt umdrehe, sehe ich meine arme kleine Familie in Lumpen und zitternd auf dem Gehweg vor dem Kaufhof sitzen und die vorbeieilenden Passanten an den gebügelten Hosenbeinen zupfen. Steffi und Max sind ausgemergelt und fast verhungert. Ich will zu ihnen hin, ihnen helfen, aber die schwarzen Männer in den Anzügen haben mich nach Mafiaart mit den Füßen in einen Betonkübel gesteckt. Der Beton ist schon hart geworden, hält mich gnadenlos fest und eine goldene Betonmischmaschine dreht langsam ihre letzten Runden.
Ja, Beton ist etwas, auf das man sich hundertprozentig verlassen kann. Die schwarzen Männer lachen und lachen … schweißgebadet werde ich wach und sehe Steffi müde blinzeln.
„Kann auch nicht schlafen“, murmelt sie und irgendwann stehen wir dann einfach auf. Aber ich glaube, jetzt habe ich eine Idee.
Beton! Gold! Hundertprozentig!
„Wir kaufen ein Haus!“, beginne ich das Frühstück am Sonntagmorgen vor der ersten Scheibe Brot in unserer kleinen familiären Runde.
„Aber wir haben doch ein Haus!“, meint Max und er hat ja recht. Wir wohnen hier seit einigen Jahren schon in diesem alten, liebevoll restaurierten und renovierten Gehöft in Leckede-Hintersten, ganz hinten, oder eben mitten im Sauerland, wie schon gesagt, und fühlen uns eigentlich sehr wohl darin. Es ist groß, schön und alt. Es passt gut zu uns.
„Nein, ein Haus für andere“, sage ich, „ein Mietshaus!“
„Warum das denn?“, fragt Steffi, weil sie auf diesen Gedanken vielleicht noch gar nicht gekommen ist.
Und ich sage nur verheißungsvoll: „Betongold.“ Zack. Das muss erst mal reichen. Dann schmiere ich mir lässig ein Käsebrot mit Marmelade und denke an meine Zukunft als Immobilientycoon mit einer imposanten Goldkette um den Hals und einer schweren teuren Uhr am Handgelenk. Ich blicke vom Balkon der Prestige Suite des Carlton Hotels in Cannes auf meine sich sanft in der Dünung wiegende stahlblaue Yacht und erlaube Max, mit dem Bentley einmal die Croisette rauf- und runterzufahren.
„Aber nicht so schnell, Max!“
„Was?“, fragt der.
„Ach nichts.“
„Betongeld?“, fragt Max dann, aber Steffi scheint schon so ungefähr zu verstehen, was ich meine.
„BetonGOLD“, verbessere ich Max. „Seht mal“, sage ich und fühle mich jetzt noch mehr wie ein gerissener Jongleur der Hochfinanz, der seinen unwissenden Jüngern etwas Wissenswertes über den komplizierten Umgang mit Geld erklärt. Dabei ist es doch ganz einfach.
„Wir kaufen von dem Onkel-Günter-Geld ein Mietshaus für mehrere Familien und dann kassieren wir die Mieten, solange die Hütte steht. Unser ganzes Leben ist damit praktisch jetzt schon abgesichert. Unser Geld arbeitet!“
Das ist wahrscheinlich übertrieben und das Geld von Onkel Günter wird dafür nicht ganz reichen, wir müssten uns also noch etwas leihen, außerdem ist alles etwas zu rosig gesehen … aber es hört sich doch schön an.
„Naja“, meint Steffi, „wir könnten natürlich auch den Kredit für unser eigenes Haus hier in Leckede damit abbezahlen.“
Ja, da hat sie natürlich recht. Das könnte man machen. Aber es ist eigentlich nicht das, was ich mir als soeben erstandener Großinvestor vorstelle. Und außerdem denke ich auch jetzt, vielleicht erstmalig wieder, an die Worte meines Vaters mit dem erhobenen Zeigefinger. An später denken!, Vorsorgen! und so was. Die Familie absichern! Tja, das könnte ich jetzt machen.
Und darum sage ich: „Aaach, nein, Steffi, der Kredit läuft doch von ganz alleine, und es dauert ja auch nur noch ein paar Jährchen, dann sind wir ihn schon los. Nein. Wir IN-VES-TIE-REN!“, posaune ich in staunende Gesichter und ich finde auch, dass es sich aus meinem Munde noch etwas seltsam anhört. Ungewohnt. Egal. Geld verändert eben Menschen.