100.000 Tacken. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.
schön und großzügich, ja? Alle sehr gut geschnitt’n. Wunderbar zu vermiet’n. Dat is’ reinstes Betongold, glaum Se mir.“
Großzügig. Gut zu vermieten. Gut geschnitten. Betongold. Na siehste, blinzle ich Steffi zu. Sag ich’s doch!
Steffi und ich starren das graue Gebäude erst mal noch eine Weile von außen an, bevor wir dem gesprächigen Herrn Makler folgen.
Es ist wirklich sehr schön, das kann man nicht anders sagen. Ein Jugendstil-Eckhaus aus dem Jahr 1896, wie Herr Dunkeloh nach einem Blick in seine Aktenmappe aufgeregt zu berichten weiß. Es gefällt uns. Wir mögen alte Häuser. Sie haben Geschichte, sie sind stolz und erfahren und haben eben eine Menge mitgemacht. Denen kann so schnell nichts mehr passieren. Steffi sieht das genauso.
Sie nickt mir zu und das heißt eigentlich: haben wollen. Das hieß es auch vor einigen Jahren, als wir unser Haus in Leckede zum ersten Mal gesehen haben. Wir sahen uns an und hatten dasselbe gute Gefühl. Jawoll, das ist es! Wir wollen es beide.
„Unser“ Haus hier in Arnsberg ist grau und groß. Ziemlich groß sogar, wenn man so direkt davor steht. Zu groß? Wir wissen es noch nicht. Aber wir haben keine Angst vor ihm.
Nun ja, es ist auch ziemlich grau, aber nicht mehr überall so ganz grau, wenn man genauer hinsieht. An manchen Stellen blättert das edle Grau schon ein wenig ab und müsste mal erneuert werden. Und die Dachrinnen … naja, und auch der Stuck ist an einigen Stellen nicht mehr ganz vollständig …
Herr Dunkeloh bemerkt unsere leicht irritierten Blicke und geht sofort auf Makler-Verteidigungskurs.
„Dat sin nur Kleinichkeit’n, woll, verährtes Ehepaar Knippschild.“ Wieso er uns jetzt verährt, wo er uns doch gar nicht kennt? Aber egal. „Dat hat Ihn’ ’n guter Handwärksbetrieb in paar Tage gemacht, woll. Ich kann Ihn’n da einige ämpfehl’n. Dat is’ nur äußerlich, woll. De Substanz is’ gut!“
Diesen Satz werden wir noch des Öfteren zu hören bekommen, es scheint also wichtig zu sein, dat de Substanz ehm gut is’. Das wissen wir dann schon mal. Na, schauen wir uns doch mal alles an.
Wir bemerken noch anerkennend die schönen alten Fenster mit echten Holzsprossen, die sehr gut zum Haus passen. Holz. Kein Plastik, kein Alu. Man müsste sie halt auch mal streichen. Na gut. Kann man alles machen.
Ein kunstvoller, weißer Stuckengel ziert den Bereich an der Ecke des Hauses über dem Eingang des griechischen Grillrestaurants, das hier seine … naja, zugegeben, etwas fettige Heimat hat. Vom Engel sieht man nur den halben Kopf, weil das Schild des Restaurants, also eher des Imbisses Takis Orakel den schönen Engel leider verdeckt. Schade.
Dieses Takis Orakel verbreitet ansonsten einen recht intensiven, aber eigentlich ganz leckeren Frittenöldunst über den gesamten Eingangsbereich. Und als ich nachdenklich die dicken Schwaden so betrachte, die aus dem Inneren dieser mediterranen Imbisshöhle wabern, stelle ich mir nur ganz kurz und etwas erschrocken vor, wie das ganze Stadtviertel mit einem leichten Fettfilm überzogen wird, Autos nicht mehr glänzen, Brillen beschlagen und alte Leute auf dem Bürgersteig vor dieser Spezialitätenrestauration auf dem schmierigen Bürgersteig ausrutschen, sich das Genick oder den Oberschenkelhals brechen … ach, man soll nicht immer alles so schwarz sehen.
Der Geruch des Etablissements jedenfalls verbreitet sich über die ganze Straße, wahrscheinlich, um hungrige Kunden anzulocken, sodass Herr Dunkeloh uns auch jetzt eifrig zum Hauseingang treibt, als er bemerkt, dass wir nur noch ganz vorsichtig und flach die Atemluft durch die Nase einziehen, um unsere Lungen nicht übermäßig mit den Rückständen der Pommes-Frites und Gyros-Herstellung des Hauses Takis zu belasten. Wir lächeln ihm dennoch mutig und voller Zuversicht zu.
Der Eingang zu den Wohnungen befindet sich an der Seite. Na, dann gehen wir doch endlich mal rein.
Aus dem übergroßen Schlüsselbund, den Herr Dunkeloh jetzt aus seiner Mappe zieht, gleich den richtigen herauszufinden, erweist sich schon mal als nicht ganz einfach. Wer weiß, wann er überhaupt das letzte Mal hier war, um den Kasten gutgläubigen Interessenten aufzuschließen.
Kurz flammt in mir wieder ein kleiner, schneller und böser Gedanke auf, dass wir möglicherweise seit langer Zeit die einzigen sind, die sich überhaupt für diese Hütte interessieren … Ach, was. Schnell wische ich diesen unsinnigen Gedanken wieder weg. Das kann ja gar nicht sein. Bei so einem prachtvollen Objekt werden die Interessenten Schlange stehen. Wir sollten also nicht zu lange überlegen.
Nach einer Weile des Suchens und Ausprobierens hat Herr Dunkeloh den richtigen Schlüssel dann gefunden und schließt mit einem ermunternden Nicken erwartungsvoll auf. Ein klebrig glänzender Schweißfilm überzieht bereits seine blasse Stirn.
Wir folgen ihm gespannt und voller Erwartung durch die leicht quietschende Haustür in das Dunkel des Flurs und ich stoße mir das Schienbein an einem sportlichen Kinderwagen, der da vor sich hin wartet, weil Herr Dunkeloh nicht gleich den Schalter für das Flurlicht findet.
„Ah, verdammt, wer hat denn hier …!“, will ich gerade losfluchen, schon so, wie ein richtig böser, grantiger Tyrann von Hausbesitzer, als Herr Dunkeloh mich mit dem so dahingemurmelten Wort „Bewegungsmälder“ beruhigen will. Was? Ach so. Ich weiß schon, er meint, man könnte so einen Sensor einbauen, der dann direkt das Flurlicht anschaltet, wenn einer zur Haustür reinkommt. Ja, das wäre sehr vernünftig. Gute Idee.
Ich sehe mich ganz kurz in einem grellenGedankenblitz schon als neuer Master of Grauer Kasten Gesetze entwerfen und gebieterisch Pamphlete über Kinderwagenstellverbote an die Treppenhauswände nageln, wie einst Martin Luther, der sicher nichts gegen Kinderwagen hatte, aber ja auch Missstände beseitigen und die Welt ein wenig verbessern wollte. Will ich auch. Wenigstens in unserem Treppenhaus.
Ach, es ist ja nur ein Kinderwagen. Leute, wir haben Kinder im Haus! Das ist doch wunderbar!
Das Flurlicht brennt endlich, aber nicht auf allen Etagen, was Herrn Dunkeloh jetzt schon fast einen Punktabzug einbringen könnte. Aber wir wollen uns unser Haus ja nicht durch solche Kleinigkeiten vermiesen lassen.
Es ist schön, und das soll es auch bleiben. Basta! Wir wollen es haben! Oder, Steffi? Ja, du willst es doch auch! Das sehe ich doch.
„Ach, dat müsste dann au ma gemacht wärd’n“, sagt Dunkeloh entschuldigend und wir winken nur generös ab. Ist ja weiter nichts.
Interessiert, voller keimender Vorfreude und auch schon mit so etwas wie Besitzerstolz schauen wir uns in unserem Haus um, und da geht das Flurlicht nach einer geschätzten halben Minute auch schon wieder aus. Als ich das Licht wieder einschalten will, verwechsle ich den Lichtschalter mit einer Klingel und ich höre nur von drinnen eine weibliche Stimme: „Haust du ab, du Arsch. Stinks du wieder Ouzo un Takis! Komms du ssuruck, wenn nüschtern!“
„Oh, ich dachte, hier ist niemand zuhause“, drehe ich mich verwundert zu Herrn Dunkeloh um. „Aber wenn man die Dame richtig versteht, dann erwartet sie wohl auch noch kurzfristig ihren Gatten zurück.“
„Ja, ich … äh … dachte au, datte Frau Göktürk nich zuhause is’“, stammelt Herr Dunkeloh fast so, als hätte er gehofft, sie wäre nicht zuhause. Etwas unsicher lächelt er uns zittrig an. „Na, dann könn’n we ja vielleicht doch ma kurz inne … äh … Wohnung kuck’n.“
„Hallo, Frau Göktürk, hier Härr Dunkeloh von Dunkeloh und Wöbkemeier, ja?“, ruft Herr Dunkeloh gegen die immer noch geschlossene Tür, die sich aber dann plötzlich einen kleinen Spalt öffnet. „Ich hier … mit neue Besitzer von Haus!“
„Wat willssu, Dünkelöh?“, fragt eine tiefe rauhe Stimme, die bedrohlich durch den kleinen Spalt knurrt. Türken haben eben überall Ös und Üs in ihrer Sprache, jetzt also auch Herr Dünkelöh. Hinter der Tür scheint alles böse und dunkel. Nein, dünkel.
„Wir vielleicht ma schnell kuck’n könn’n … in Wohnung, Frau Göktürk?! Besichtigung?! Neue Besitzer?! Haus verkaufen?!“ Er spricht nicht nur wie ein Idiot, er spricht auch ganz laut.
„Was